Wie genau werden die neuen Typklassen ermittelt? Welche Schadenbilanzen und welchen Zeitraum nutzt der GDV?
Ziller: Die Schadenbilanzen der vergangenen drei Jahre sind die Grundlage für die Typklasseneinstufungen. Dabei wird untersucht, wie oft es bei den in Deutschland zugelassenen Modellen zu Schäden kommt und wie hoch die durchschnittlichen Kosten für Reparatur oder Werterstattung sind. Dafür sind die Versicherungsleistungen für jedes in Deutschland zugelassene Automodell relevant. Da moderne Tarife auch neuere Schadenarten berücksichtigen und dafür spezifische Leistungen beinhalten, fließen auch diese Schäden in die Typklassen ein. Elementarschäden sind Bestandteil der Teilkaskoversicherung, wobei die abgedeckten Naturereignisse von Versicherer zu Versicherer variieren. Deshalb fließen sie gemeinsam mit anderen Teilkasko-Risiken über die Häufigkeit und die Kosten in die Einstufung ein. Ausschlaggebender sind Naturereignisse allerdings für die Regionalklassen des GDV.
Welche Fahrzeugsegmente – Kleinwagen, SUVs oder E-Autos – sind besonders von Auf- oder Abwertungen betroffen und wie erklären Versicherer diese Unterschiede?
Ziller: Der GDV nennt selbst den Kleinwagen Renault Clio 1.3, den VW ID.4 Pure 125 und den Ford Focus 1.0 aus der Kompaktklasse und den SUV Renault Austral 1.3 als Beispiele für höhere Umstufungen. Diese Vielfalt zeigt, dass sich nicht pauschal beurteilen lässt, ob bestimmte Fahrzeugsegmente besonders von Auf- oder Abstufungen betroffen sind. Entscheidend sind immer Schadenhäufigkeit und -höhe und jedes Segment und jede Antriebsart hat eigene spezifische Herausforderungen.
In der Vollkasko sind SUVs und Fahrzeuge aus der Oberklasse häufig in höhere Typklassen eingestuft. Sie verfügen in der Regel über leistungsstarke Motoren und sind mit aufwendigerer und teurerer Technik ausgestattet. Dadurch sind Reparaturen und Kalibrierungen komplexer und teurer, was die Schadenhöhe je Unfall erhöht. Kleinwagen sind hingegen in der Vollkaskoversicherung eher in niedrige Typklassen eingestuft. Günstigere Ersatzteile und einfachere Reparaturen halten die Schadenhöhe moderat. Die Einstufung in der Haftpflicht hängt dagegen stark von der Nutzergruppe ab: Kleinwagen sind bei Fahranfängern beliebt, was zu häufigeren Haftpflichtschäden führen kann.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Versicherungsnehmer, wenn ihr Fahrzeug stark in eine ungünstigere Typklasse eingestuft wird? Gibt es Wechseloptionen, Sonderkündigungsrechte, Möglichkeiten zur Reduzierung des Risikos, damit sich die Typklasse weniger stark auswirkt?
Ziller: Zur Prämienberechnung ziehen die Versicherer mehr als 50 Merkmale heran. Die Typklassen sind eines davon. Allerdings unterscheidet sich die Gewichtung der einzelnen Merkmale und somit auch der Einfluss der Typklasse auf die Prämie von Versicherer zu Versicherer.
Erhöht der Versicherer die Prämie, haben Versicherungsnehmer immer ein Sonderkündigungsrecht und können zu einer günstigeren Kfz-Versicherung wechseln. Das gilt auch, wenn der Beitrag aufgrund der Einstufung in eine höhere Typ- oder Regionalklasse steigt. Darüber hinaus können Versicherungsnehmer ihr Risiko durch einige Anpassungen reduzieren. Die wichtigsten Stellschrauben sind hier die Fahrleistung, die Vereinbarung einer Selbstbeteiligung oder deren Erhöhung und die Begrenzung des Fahrerkreises – insbesondere, wenn junge Fahrer mitversichert sind, die das Auto nicht mehr nutzen.
Für Autofahrer, die in Gegenden mit gut ausgebautem Werkstattnetz wohnen, lohnt sich zudem ein Tarif mit Werkstattbindung. Auch die Vereinbarung einer jährlichen Zahlweise senkt den Beitrag. Auf wichtige Leistungen sollten Autofahrer hingegen nicht verzichten. Und das müssen sie auch nicht zugunsten des Preises. Wie unsere regelmäßigen Tariftests zeigen, gibt es leistungsstarke Tarife auch schon zum günstigen Preis.
Wie stabil sind die Typklassen über die Jahre? Gibt es Prognosen, wie sich künftige Trends (z. B. steigende Reparaturkosten, Digitalisierung in der Fahrzeugtechnik, zunehmende Umweltereignisse) auf die Typklassen auswirken könnten?
Ziller: Sprünge um mehr als einer Klasse sind eher die Ausnahme. Dennoch ist ein leichter Aufwärtstrend erkennbar: Mehr Fahrzeuge werden hoch- als herabgestuft.
Stärkere Umstufungen werden auch von den Innovationszyklen der Hersteller und Bewegungen auf dem Automobilmarkt beeinflusst. Bei der Einführung neuer Modelle schätzt der GDV das Schadenrisiko auf Basis vergleichbarer Modelle und anhand von Daten aus Crashtests. In den ersten Jahren nach der Markteinführung kann es deshalb zu stärkeren Umstufungen kommen. Aktuell sind beispielsweise einige neue Modelle chinesischer Hersteller in besonders hohe Typklassen eingestuft. Diese Marken sind erst kürzlich in den deutschen Markt eingetreten.
Daher können die Schadenquoten für einzelne Modelle nicht auf Basis ähnlicher Pendants desselben Herstellers ermittelt werden. Hier sind in den nächsten Jahren aufgrund zunehmender Erfahrung höhere und regelmäßigere Umstufungen wahrscheinlicher in dieser Zeit, auch wenn größere Sprünge von mehr als ein bis zwei Klassen die Ausnahme bleiben. Solche Bewegungen konnten wir jüngst auch bei Elektrofahrzeugen beobachten, die zunächst in niedrigere Typklassen eingestuft waren. Mit zunehmender Erfahrung zeigt sich, dass die Schadenhäufigkeiten zwar niedriger, die Reparaturkosten jedoch höher sind.
Davon abgesehen rechnen wir für den Gesamtmarkt mit moderat steigenden Typklassen, insbesondere bei technisch aufwendigen Premium-Modellen. Haupttreiber sind die steigenden Reparaturkosten durch komplexere Technik, teurere Ersatzteile und höhere Werkstattlöhne. Hinzu kommen häufigere Extremwetterereignisse wie Hagel oder Starkregen, die vor allem die Teilkasko belasten. Zwar reduzieren Assistenzsysteme die Unfallzahlen, verursachen aber höhere Schadenskosten. Dank künstlicher Intelligenz, Big Data und Predictive Analytics wird sich künftig die Risikoeinschätzung verbessern, sodass sich Typklasseneinstufungen langfristig noch stärker stabilisieren.
Wird sich die Spreizung zwischen günstigsten und teuersten Typklassen wahrscheinlich vergrößern oder eher abnehmen und wie sollten Autofahrerinnen und Autofahrer vorgehen, um rechtzeitig von möglichen Einsparungen in der kommenden Wechselsaison zu profitieren?
Ziller: Grundsätzlich erwarten wir für alle Fahrzeuge künftig eine größere Stabilität: Verlässlichere Einstufungen werden zu weniger Umstufungen pro Jahr führen. Bis jedoch KI-gestützte Risikomodelle einen hohen Reifegrad erreicht haben, werden die Unterschiede zwischen günstigen und teuren Typklassen vorübergehend leicht größer. Insbesondere Premium- und Oberklassemodelle werden weiter nach oben rutschen, weil ihre Schäden komplexer sind und die Reparaturen deutlich teurer ausfallen. Auch Preissteigerungen bei Ersatzteilen und steigende Werkstattkosten werden noch einige Jahre die Schadenbilanzen belasten. Kleinere, einfachere Fahrzeuge bleiben hingegen stabiler, da die Schadenbilder wegen der weniger komplexen Teile weniger variieren.
Unabhängig von den Typklassen gilt für Autofahrer: frühzeitig vergleichen, Fristen im Blick behalten und Sonderkündigungsrechte nutzen. Denn auch wenn sich die Typklasse selbst nicht beeinflussen lässt, können mit dem passenden Tarifwechsel steigende Beiträge trotz ungünstiger Einstufung deutlich abgefedert werden. Das gilt ganz besonders für die bevorstehende Wechselsaison. Nach zwei Jahren marktdeckender Preissteigerungen sind die ersten Versicherer nun zurück in der Gewinnzone – der GDV geht für die aktuelle Saison von einer Combined Ratio unter 100 aus – und gehen mit wettbewerbsfähigen Preisen in die Wechselsaison. Andere Unternehmen müssen hingegen weitere Preisanpassungen vornehmen. Für Autofahrer verspricht das hohe Sparpotenziale und attraktive Wechselangebote.
Die Fragen stellte Jörg Droste, Ressortleiter Versicherungen bei Cash.