EXKLUSIV

Markus Juppe zur Elementarversicherung: Pflicht, Preise und politische Verantwortung

Dr. Christian Juppe, Vorstand Komposit
Foto: Versicherungskammer Bayer
Dr. Markus Juppe:

Die Versicherungskammer Bayern verbindet öffentlichen Auftrag und regionale Verankerung mit einem klaren Kurs in der Elementarversicherung. Komposit Vorstand Dr. Markus Juppe erklärt im Gespräch mit Cash., wie Erhöhung der Versicherungsdichte, Prävention und staatliche Rückversicherung zusammenwirken sollen – und was das für Prämien und Kunden bedeutet..

Herr Dr. Juppe, die Versicherungskammer Bayern ist Teil des Konzerns Versicherungskammer und Mitglied im Verband der öffentlichen Versicherer. Was heißt dieser öffentliche Auftrag und die regionale Verankerung heute ganz konkret, wenn es um Klimarisiken, Elementarschäden und die Absicherung von privaten wie gewerblichen Risiken geht?

Juppe: Wir schauen insbesondere aus unserem regionalen Schwerpunkt und aus unserer Historie als Gebäudeversicherer mit einem großen Gebäudebestand sehr genau auf die Entwicklung rund um den Klimawandel und die Klimafolgenanpassung. Und in dem Kontext fällt uns – wie allen anderen auch – anhand der Zahlen auf: Die Schadenereignisse werden häufiger und intensiver. Das ruft natürlich den Gebäudeversicherer auf den Plan, der sich fragt: Wie wird es weitergehen? Wie geht es in Zukunft mit der Absicherung von Gebäuden weiter? Und weil wir Teil der öffentlichen Versicherer sind – im Eigentum der Sparkassen-Finanzgruppe – und als ehemalige nachgelagerte Behörde eines Ministeriums politisch nah dran sind, engagieren wir uns in der Diskussion, wie es rund um die Elementarschadenversicherung weitergeht.

Die Bundesregierung arbeitet an einer Elementarschadenpflicht in der Wohngebäudeversicherung. Wie bewerten Sie den Ansatz insgesamt – und welche Punkte sind in der Ausgestaltung aus Ihrer Sicht noch kritisch offen?

Juppe: Wir beurteilen den Ansatz, den die Bundesregierung im Koalitionsvertrag skizziert hat, grundsätzlich als richtig und geeignet, um die Probleme der Klimafolgenanpassung und der Auswirkungen auf Wohngebäude und Bürger anzugehen. Entscheidend ist: Es reicht nicht, nur die Versicherungsdichte anzuheben. Um die Verträge dauerhaft bezahlbar zu halten, braucht es auch Prävention und eine staatliche Beteiligung – etwa über einen staatlich ausgestalteten Rückversicherer und möglicherweise einen Stop-Loss. Sonst haben wir wieder die Lage, die wir heute kennen: Es passiert eine Elementarkatastrophe und die Betroffenen stehen finanziell schnell mit dem Rücken zur Wand.

Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen spricht sich klar für eine Pflichtversicherung aus. Was spricht aus Ihrer Sicht für diesen Ansatz und was dagegen?

Juppe: Für uns ist vor allem wichtig, dass die Versicherungsdichte steigt. Wie das im Detail ausgestaltet wird, ist eine Aufgabe der Experten im Bundesjustizministerium. Ich glaube, man kann eine Pflicht verfassungskonform ausgestalten – möglicherweise in Kombination mit einer Opt-out-Lösung, um die Verhältnismäßigkeit zu sichern. Wir wissen ja: Eine Verpflichtung zum Schutz des eigenen Eigentums ist in Deutschland eher unüblich und juristisch nicht einfach umzusetzen.

Ich kenne Diskussionsrunden, da gab es teils klare Ablehnung gegenüber einer Pflicht.

Juppe: Da wird gerne gesagt: „Wir sind gegen eine Pflicht, weil sie keine Schäden vermeidet.“ Der Satz ist richtig, aber er löst das Problem nicht. Wenn wir Klimafolgen dauerhaft bewältigen wollen, brauchen wir eine massive Anhebung der Versicherungsdichte. Wenn wir nach jedem Ereignis die unversicherten Kunden anschreiben und ihnen eine Elementarversicherung anbieten, steigt die Dichte jährlich vielleicht um einen Prozentpunkt. Für eine signifikante Steigerung müssen Bestandsverträge auf Elementarschutz umgestellt werden – wie auch immer das juristisch umgesetzt wird.

Nehmen wir an, eine Pflicht kommt. Was bedeutet das für Vertrieb und Kunden konkret?

Juppe: Im ersten Schritt – je nach Ausgestaltung – wird das viel Arbeit für Unternehmen und Vertriebspartner. Man muss einen erheblichen Teil der Bestände anschreiben und erklären, was künftig gilt: automatischer Einschluss, Opt-out, Ablauf. Für den Kunden heißt das: Er wird mehr Beitrag zahlen, bekommt aber auch deutlich mehr Versicherungsschutz für seinen größten Vermögensgegenstand. Aus meiner Sicht ist das richtig.


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Die Schäden durch Naturkatastrophen nehmen zu, zuletzt etwa 2024 in Bayern und Baden-Württemberg. 2025 war weniger stark von Extremwetterlagen geprägt. Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse aus den Ereignissen und sind wir ausreichend auf künftige Extremwetter vorbereitet?

Juppe: Wir sind als Versicherer grundsätzlich gut vorbereitet. Wir kennen unsere Risiken, unsere Portfolios, haben ordentliche Rückversicherungskonstruktionen – bis hin zu einem eigenen Cat-Bond. Außerdem gibt es im Lager der öffentlichen Versicherer einen Pool, der ähnlich einer Rückversicherung funktioniert. Aber wir können nicht verhindern, dass Prämien perspektivisch steigen, wenn Ereignisse häufiger und intensiver werden – es sei denn, wir schaffen durch Prävention eine Risikominderung.

In Schleswig-Holstein gibt rund 1.400 Gebäude, die praktisch nicht versicherbar sind. Gibt es ähnliche Entwicklungen auch in Bayern?

Juppe: Das kann ich so nicht im Detail beurteilen. Unsere Position ist: Deutlich mehr als 99 Prozent der Gebäude sind am Point of Sale versicherbar – über Daten, Zonierungen und Kartierungen. Für den kleinen Rest braucht es individuelle Prüfung. Grundsätzlich können Sie jedes Risiko versichern – es ist am Ende eine Preisfrage. Bei Zone-4-Risiken mit hoher Starkregenklasse kalkulieren wir teils erhebliche, sechsstellige Schäden über gar nicht so lange Intervalle. Das lässt sich dann relativ klar in eine Prämie übersetzen. Das sind, salopp gesagt, fast Florida-Verhältnisse, bei denen vielfach von einem Totalverlust des Gebäudes alle zehn Jahre ausgegangen wird.

Auch Politik und Kommunen sind in der Pflicht. Sie müssten verhindern, dass überflutungsgefährdete Gebiete weiter als Wohngebiete ausgewiesen werden. Das Ahrtal ist da ein extremes Beispiel. Über 8.000 Häuser wurden dort zerstört. Gerade einmal 40 Häuser entlang des Flusses dürfen nach der Überschwemmung nicht wieder aufgebaut werden. Ist das zu verantworten?

Juppe: Ich antworte diplomatisch: Wir werben auch seit einiger Zeit – ich auch persönlich – dafür, dass eben auch die Politik, die lokalen Behörden überprüfen, wo man noch bauen sollte und vor allen Dingen, wie man dort bauen sollte. Wir kennen einzelne Beispiele aus dem Ahrtal, wo wirklich einigermaßen hochwasserresistent gebaut wird: Die Gebäude werden nicht unterkellert, im Erdgeschoss befindet sich ein Carport, der Wohnraum findet erst ab dem ersten Stock statt, die Elektroinstallation, die Heizungsinstallation ist nicht im Keller. Also man kann einigermaßen resilient bauen, man muss es aber eben dann auch tun, und es muss dann auch Vorschrift werden. Wir werben intensiv dafür, auch gerade die Bauordnungs- und Bauplanungsvorschriften hin auf mehr Klimafolgenanpassung und Elementar-Resilienz auszuarbeiten. Das ist ein Handlungsstrang, den wir weiterhin verfolgen.

Ich war 2022 an der Ahr. Wenn Wasser elf, zwölf Meter hoch steht, hilft auch resilienter Aufbau nur noch begrenzt.

Juppe: Das ist lokal sehr unterschiedlich. Es gibt dort Wiederaufbau-Beispiele, bei denen man wirklich den Kopf schütteln muss: Tiefgarageneinfahrten auf Ahr-Niveau, 20 Zentimeter darüber ein Radweg. Beim nächsten Starkregen läuft das wieder voll. Da braucht es Hochwassersperren oder mindestens den berühmten „Buckel“ vor der Abfahrt. In Asien sieht man an jeder Ecke, wie man dort mit Starkregen umgeht und baut. Wir müssen auch so wieder aufbauen – wenn wir überhaupt wieder aufbauen und nicht an anderer Stelle neu.

Der GDV schlägt mit der „Elementar Re“ einen Pool für Hochrisikogebäude vor mit gedeckelten Prämien und einem solidarischen Ausgleich. Glauben Sie, dass dieses Modell langfristig tragfähigen Schutz gewährleisten kann?

Juppe: Der staatliche Rückversicherer beziehungsweise die „Elementar Re“ ist noch in der Diskussion. Wir warten auf den Vorschlag des Bundesjustizministeriums, der GDV arbeitet parallel dazu. Zwei Aspekte sind wichtig. Erstens: Es braucht möglicherweise eine Kappung von besonders hohen Beiträgen in stark exponierten Lagen. Wir sehen bei bestimmten Gebäuden bereits fünfstellige Beiträge. Das würde unter dem Aspekt der Bezahlbarkeit für den Bürger Sinn machen. Andererseits wirkt so eine Kappung vermutlich gegen die Motivation zur individuellen Prävention: Wenn ein Kunde eigentlich 10.000 Euro zahlen müsste, aber bei 1.000 Euro gedeckelt wird, investiert er vermutlich nicht mehr in Schutzmaßnahmen – Fenster, Kellerschacht-Abdeckungen, bauliche Nachrüstungen. Zweitens: Die Ausgestaltung für das Poolen der höchsten Risiken ist noch in der Diskussion auf Ebene der Verbände und der Politik. Wir favorisieren, dass die Elementar Re wie ein Rückversicherer funktioniert, an den Portfolioteile zediert werden können – fakultativ oder obligatorisch, das ist noch offen. Und darüber hinaus müsste ein staatlicher Layer verhindern, dass nach Ende des Rückversicherungsschutzes Extremaufwand wieder voll in die Bilanzen der Versicherer zurückschlägt.

Mehr als 400.000 Wohngebäude gelten als Hochrisikoobjekte und sollen künftig in der Elementar Re gebündelt werden. Was würde das Modell konkret für Sie bedeuten? Würden Sie Hochrisikobestände abgeben und wie wirkt sich das auf Kalkulation und Tarife aus?

Juppe: Dazu wissen wir noch zu wenig, weil die Ausgestaltung offen ist. Kurzfristig führt eine Pflicht absehbar zu einer Parallelverschiebung der Kennzahlen: Beitrag steigt, Rückversicherungsbedarf steigt, im Optimalfall steigt der Ertrag in ähnlicher Größenordnung. Natürlich setzt das zum Beispiel ein ausreichendes und angemessen bepreistes Angebot an Rückversicherungskapazität voraus. Sonst bricht das ganze Konstrukt zusammen. Das ist diffiziler, als es klingt, aber grundsätzlich machbar. Was uns stärker umtreibt, ist die Perspektive in zehn oder 20 Jahren. Darum werben wir so stark für Ansätze staatlicher Beteiligung bei Extremereignissen und Prävention. Grundsätzlich gilt: Jedes Risiko muss zu seinem individuellen Risiko bepreist werden. Wie teure Extremrisiken solidarisch abgefedert werden, ist noch unklar – aber in die risikobasierte Kalkulation darf nicht pauschal eingegriffen werden.

Der GDV sieht einen staatlichen Stop-Loss bei Extremereignissen über 30 Milliarden Euro vor. Ist diese Schwelle realistisch?

Juppe: Ja, das ist realistisch. Entscheidend ist aber, wie man das ausgestaltet und definiert – und dass regionale Großereignisse berücksichtigt werden. Die können einzelne Versicherer massiv treffen, ohne deutschlandweit die 30 Milliarden zu erreichen. Wir werben deshalb für einen regionalen Aspekt in der Ausgestaltung.

Der GDV-Ansatz sieht außerdem Elementarschutz als Standard mit Opt-out vor – wer verzichtet, soll keine Hilfen mehr bekommen. Halten Sie das politisch für durchsetzbar?

Juppe: Wir haben in Bayern sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Mittlerweile gibt es seit einigen Jahren das Übereinkommen, dass Bürger, die versicherbar gewesen wären, keine Fluthilfen oder keine Sonderhilfen in Anspruch nehmen können. Also ja, ich halte das für realistisch, und es muss auch sein, um die Bürger zu motivieren, sich zu versichern.

Lassen Sie uns abschließend einen Blick nach vorne wagen. Was sind Ihre wichtigsten Leitplanken für die kommenden Jahre in Elementar? Wo wollen Sie Maßstäbe setzen?

Juppe: Wir wollen unseren Kunden weiterhin den Versicherungsschutz bieten, den sie brauchen – und den sie dauerhaft bezahlen können. Deshalb engagieren wir uns in diesen Themen. Es steht für uns überhaupt nicht zur Debatte, uns zurückzuziehen. Unser Anspruch ist: dauerhaft bezahlbarer Versicherungsschutz für unsere Kunden.

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