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Pflichtjahr für Rentner? Experten raten von Fratzscher-Vorstoß ab

Michael Heuser
Foto: Diva
Michael Heuser, wissenschaftlicher Leiter des Diva

Der Ökonom Marcel Fratzscher schlägt die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahrs für Rentner vor. Was von Cash. befragte Altersvorsorge-Experten davon halten.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte im „Spiegel“ kritisiert, Lösungen von Problemen wie Personalmangel in Bereichen wie Pflege, Gesundheit oder Verteidigung würden häufig den Jungen aufgebürdet und eine fairere Verteilung der Lasten gefordert. „Wir brauchen mehr Solidarität der Alten mit den Jungen“, sagte Fratzscher.

„Wir sollten ein verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner einführen. Gesundheitlich werden das manche nicht können, aber dafür gibt es auch bei jungen Leuten Regelungen“, schlug er vor. Mit Blick auf den Verteidigungsbereich erläuterte Fratzscher, benötigt würden technische Fähigkeiten. „Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?“


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Für Professor Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP), ist ein verpflichtendes soziales Jahr für Rentner jedoch der falsche Ansatz. „Wer gesund und arbeitsfähig ist, sollte angesichts des Fachkräftemangels im Beruf bleiben; wer es nicht ist, kann die körperlich fordernde Pflegearbeit ohnehin nicht leisten“, sagt er. Grundsätzlich müsse das Thema Generationengerechtigkeit zwar angesprochen und strapaziert werden. „Im ersten Schritt müsste man diesbezüglich jedoch zum Beispiel die geplante Beibehaltung des Rentenniveaus von 48 Prozent ansprechen, denn hier zahlen die Jungen die Rechnung für die Älteren. Warum das DIW diesen Punkt, der am offensichtlichsten gegen eine Generationengerechtigkeit spricht, nicht kritisiert, kann ich mir nicht erklären“, so Hauer.

Auch Professor Dr. Michael Heuser, wissenschaftlicher Direktor des Diva (Deutsches Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung), geht hart mit Fratzscher ins Gericht. „Seine Vorschläge sind geeignet, Aufmerksamkeit zu erregen. Sozial und ökonomisch sind sie aber zu kurz angelegt“, kritisiert er. „Fratzschers Grundtenor: Die Babyboomer-Generation, die in diesen Jahren in Rente geht, sei an allem schuld. Sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt, zu viel verfrühstückt in Konsum und Sozialstaat, zu wenig investiert in Infrastruktur, Klimaschutz, Verteidigungsfähigkeit. Das kann ein Standpunkt sein.“ Den Babyboomern aber „Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität“ vorzuwerfen, heiße mangelnde Anerkennung der Leistungen dieser Generation. „Dieselben Babyboomer übergeben ihren Kindern und Enkeln einen geeinten europäischen Kontinent mit größten Freiheiten. Sie haben nicht ‚die Friedensdividende verfrühstückt‘, sondern sie erarbeitet und kamen in ihren jungen Jahren einer allgemeinen Wehr- oder Zivildienstpflicht nach. Und dass sich Ältere zwischen 60 und 76 Jahren zu einem Drittel ehrenamtlich engagieren, zeugt ebenfalls vom Gemeinschaftssinn dieser Generation.“

Auch zum Stopfen von Fachkräfte-Löchern im Arbeitsmarkt – in der Pflege, Gesundheit, Verteidigung – sind die Fratzscher-Vorschläge aus Heusers Sicht wenig geeignet: „Wir sollten nicht Profis mit jahrzehntelanger beruflicher Erfahrung in Rente gehen lassen, um sie dann in einem Sozialjahr jenseits ihrer Fähigkeiten einzusetzen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Menschen in Deutschland heute im Durchschnitt fast zwei Jahre früher als vorgesehen in Ruhestand gehen.“ Der bessere Weg wäre, es attraktiver zu machen, sich länger im angestammten Beruf zu engagieren, und es unattraktiver zu machen, vorzeitig in Rente zu gehen, meint Heuser. „Das würde dem Fachkräftemangel vermutlich deutlich besser begegnen als ein soziales Pflichtjahr für Rentner.“

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