Schwellenländer: Die Stunde schlägt für START, nicht FAANG

Finger, der auf einen Button drückt, der den Namen Emerging Markets trägt.
Foto: PantherMedia/ photonphoto
Schwellenländer haben vor allem im Tech-Sektor Nachholbedarf.

Die Aktien der Schwellenländer (EM) zeigen endlich Anzeichen für das Ende der 11-jährigen relativen Herabstufung gegenüber den entwickelten Märkten (DM). Nun stellt sich die Frage, wie die erwartete Erholung der EM-Aktien aussehen wird, wenn dies das Ende des Abwärtszyklus ist.

Am Ende der Asienkrise, gefolgt von SARS (SARS-CoV-1 von 2002-03), war die Herabstufung der Schwellenländer mit einem Rückgang von mehr als 50 Prozent auf Dollar-Basis ähnlich stark und schmerzhaft. Die anschließende Erholung von 2003 bis 2008 um etwa 400 Prozent bis Ende Dezember 2007 war jedoch eine Outperformance, wie sie seit der Verneunfachung Japans von 1982 bis 1990, als das Land zum MSCI DM und zur Welthandelsorganisation (WTO) aufstieg, nicht mehr gesehen wurde. Wir glauben, dass sich diese Outperformance wiederholen kann und dass die relative Outperformance dieses Mal durch Crossover-Liquiditätsströme und die Umkehrung der extrem negativen Stimmung angetrieben wird. 

Eine neue Ära für Schwellenländer: Im Fokus START

Wie sieht die geeignete Vermögensaufteilung aus, um dieses Potenzial zu nutzen? Wir glauben, dass eine gute Mischung aus Wachstum zu einem vernünftigen Preis (GARP) und Wert (Value) angemessen ist. GARP ist in der Indexzusammensetzung gut abgestützt, da der Konsum- und der Technologiesektor stärker vertreten sind und daher mehr strukturelle und säkulare Themen bietet. Angesichts der anziehenden Inlandsnachfrage, der Reformpakete und der Erwartung niedrigerer gewichteter durchschnittlicher Kapitalkosten (WACC), da die konventionellen Zentralbanken der Schwellenländer ihre restriktive Geldpolitik lockern, ist es wahrscheinlich, dass GARP im Jahr 2023 ein starker Nutzniesser sein wird. Daher lohnt es sich START (Samsung Electronics, Tencent, Alibaba, Reliance und TSMC) noch stärker in den Blick zu nehmen. 

Die START-Unternehmen sind unseres Erachtens stärker diversifiziert als FAANG (Facebook/Meta, Amazon, Apple, Netflix und Google/Alphabet) und verfügen über solide Wachstums-, Wettbewerbs- und Technologievorteile mit dominanter Marktpositionierung in ihren Branchen. Dank ihrer sehr überzeugenden Kapitalausstattung sind sie auch in einer guten Position für eine aktionärsfreundliche Renditepolitik. START macht 18 Prozent des MSCI EM-Index aus und bietet eine hervorragende Gelegenheit, in die Transformationsgeschichte der Schwellenländer zu investieren – als Investment-Grade-Nachzügler, der für globale Value-, Growth- und Rendite-Anleger attraktiv ist

Samsung Electronics liefert wichtige Bausteine fürs digitale Zeitalter

Samsung Electronics ist ein weltweit führendes Unternehmen mit einer überlegenen vertikalen Integration in den Bereichen Halbleiter, Telekommunikation und digitale Konvergenz – wichtige Bausteine für das digitale Zeitalter. Der Vorsprung des Unternehmens bei Foundry- und Speicherchips wurde in letzter Zeit durch eine zyklische Anpassung aufgehoben, doch angesichts des zunehmenden Siliziumeinsatzes in modernen Geräten und Produkten und der rationalen Branchenstrukturen (Oligopol bei Foundry- und zunehmend auch bei Speicherchips) erwarten wir in Zukunft starke Erträge. Ein wichtiger Treiber für Aktien ist der Speicherzyklus, und da die Talsohle voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2023 erreicht wird, wäre es vernünftig, den Boden der Aktienkurse vor dieser Talsohle (d. h. sehr kurzfristig) im Einklang mit früheren Zyklen zu sehen. Wir sind der Ansicht, dass eine selbstinitiierte sowie eine von der Regierung angestoßene Reform der Unternehmensführung die Aktionärsrenditen verbessern wird, während der hohe Barmittelbestand das Unternehmen in eine gute Position für positive Akquisitionen versetzt.

Tencent Holdings mit größter Online-Community in China

Mit seiner starken Präsenz in den Bereichen Spiele, soziale Medien und Zahlungsverkehr dominiert Tencent den Online-Verkehr in China und wird wahrscheinlich einer der Hauptnutznießer der Post-Covid-Ära sein. Als größte Online-Community in China sind seine Haupteinnahmequellen Mehrwertdienstleistungen einschließlich PC- und Handyspiele, Fintech und Online-Werbung. Die zunehmende Monetarisierung seiner Social-Media-Plattformen (E-Commerce/Videokonten) könnte mittels eines verbesserten Margenprofils in einen breiteren Aufschwung münden, der zusätzlich noch verstärkt werden kann durch die Hinwendung der Regierung zu einer eher unterstützenden Haltung gegenüber Plattformunternehmen und durch die jüngste Lockerung bei den Spiele-Zulassungen. Die Aktie hat sich von den extremen Tiefstständen im Oktober 2022 erholt, wird aber immer noch am unteren Ende der historischen Bewertungsspannen gehandelt, während sie womöglich in einen Aufschwung bei Margen und Gewinnwachstum eintritt. 

Alibaba: Datenbasierte Investitionen sollten sich jetzt auszahlen

Strenge Covid-Beschränkungen über einen langen Zeitraum hinweg haben in China zu einer starken Anhäufung überschüssiger Ersparnisse geführt (Schätzungen zufolge zwischen 750 Mio. und 2 Mrd. US-Dollar), die im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung eingesetzt werden dürften. Alibaba könnte hiervon als marktbeherrschender und profitabelster E-Commerce-Anbieter besonders profitieren. Die jüngste Hinwendung der Regierung zu einer unterstützenden Haltung in diesem Bereich ist ein starker Rückenwind in einer Zeit, in der die Bewertungen durch die Regulierung und den allgemeinen Abschwung unter Druck geraten sind. Durch die Nutzung seiner Datenintelligenz hat das Unternehmen in den letzten Jahren in den Offline-Einzelhandel, in Lebensmittellieferdienste, in Logistik und in das Cloud Computing expandiert, was den adressierbaren Markt erheblich vergrößert hat. Allerdings haben diese Initiativen auch die Marge in einer Zeit der allgemeinen wirtschaftlichen Malaise unter Druck gesetzt. Es wird erwartet, dass diese Verluste in den nächsten Jahren deutlich schrumpfen werden. Zusammen mit der allgemeinen Erholung ergibt sich daraus für die kommenden Jahre ein starkes Gewinnwachstumsprofil, und das in einer Zeit, in der die Bewertungen auch nach der Erholung des Aktienkurses von den Tiefstständen im Oktober 2022 weiterhin niedrig sind.

Reliance Industries mit ambitionierten Zielen bei erneuerbaren Energien

Reliance ist eine unserer bevorzugten Transformationsgeschichten. Das Unternehmen, ursprünglich aus der Energiegewinnung und -verarbeitung kommend hat sich zu einem modernen, technologieorientierten und umweltbewussten Unternehmen mit Kundenkontakt entwickelt. Mehr als 80 Prozent der Investitionsausgaben sollen in den nächsten Jahren in die Geschäftsbereiche neue Energien, Telekommunikation und Einzelhandel fließen. Das Ziel, bis 2035 kohlenstoffneutral zu werden, ist im Vergleich zu den Mitbewerbern kühn. Das Unternehmen will ein vollkommenes Ökosystem umweltfreundlicher Energien schaffen und konzentriert sich dabei auf die Herstellung integrierter Photovoltaik-Module, Wasserstoff-Elektrolyseure sowie von Brennstoffzellen und Batterien zur Energiespeicherung aus dem Netz. Es hat strategische Partnerschaften mit Innovatoren in diesen Bereichen aufgebaut und bisher rund 1,5 Mrd. US-Dollar investiert, um seine Technologie weiterzuentwickeln. Wir sehen auch Chancen für einen Börsengang von Jio und/oder dem Einzelhandel innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre.

Taiwan Semiconductor (TSMC) Hauptakteur der neuen Computerrevolution

TSMC ist mit einem Marktanteil von ca. 60 Prozent im Foundry-Bereich und einem starken Wettbewerbsvorteil bei den führenden Netzpunkten fest als Hauptakteur der neuen Computerrevolution positioniert. Marktanteile, multiple Architekturen, Chip-Plattformen, Design-Teams und die steigende Nachfrage nach fortschrittlicher Technologie haben zu einem stetigen Anstieg der Eigenkapitalrendite (ROE) geführt, die im Jahr 2022 30 Prozent überschritten hat. Die Ergebnisse des Unternehmens für das vierte Quartal 2022 und die Prognosen für 2023 waren ein „Reset“, um den aktuellen Bestandsaufbau und das langsamere Nachfrageumfeld sowie ein schwaches erstes Halbjahr 2023 widerzuspiegeln, das nun weitgehend in den Bewertungen berücksichtigt ist. Die Branchenstruktur und neue Technologieangebote sollten eine gesunde Eigenkapitalrendite im Jahr 2023 unterstützen, obwohl dieses Jahr ein Tiefpunktjahr ist und die diesjährige Eigenkapitalrendite 7 Prozent über dem vorherigen Tiefpunkt liegt. TSMC prognostiziert für 2023 eine Erholung um 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein nachhaltiges Wachstum, das durch die nächste Generation von Chips (3 nm), High Performance Computing, Fortschritte bei KI-Chips, Konnektivität (Edge/5G+) und industrielle Anwendungen (EV, automatisiertes Fahren) angetrieben wird.

Zu den Hauptrisiken, die wir generell in Bezug auf Schwellenländeraktien beobachten, gehören falkenhaft eingestellte Zentralbanken, die die derzeitige Inflationserleichterung übersehen und die Zinssätze über die Erwartungen hinaus weiter anheben könnten, obwohl sich das Wachstum in den Industrieländern eindeutig abschwächt. Dies würde die Wahrscheinlichkeit und die Tiefe einer potenziellen Rezession erhöhen, die in der Regel mit anderen Risikoereignissen einhergeht bzw. diese auslöst. Auslöser für eine falkenhafte Haltung könnte ein Ereignis sein, das die Energiepreise höher treibt als erwartet, was im derzeitigen geopolitischen Umfeld durchaus möglich ist. Auch die allgemeine Geopolitik stellt einen Unsicherheitsfaktor dar, denn die Ukraine befindet sich derzeit in einer Pattsituation mit Spielraum für Fehler. Nach dem chinesischen Parteikongress scheint sich das Verhältnis zwischen den USA und China in gewisser Weise zu entspannen, obwohl eine Eskalation dieses Verhältnisses nach wie vor ein Risiko darstellt und für START mit drei von fünf Titeln in der Region Greater China einen erheblichen Nachteil darstellen würde. 

Autor Tim Love ist Investment Director bei GAM Investments.

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