Souveränität neu gedacht: Warum Resilienz und Sicherheit zum Investmentthema werden

Foto: Edmond de Rothschild
Anthony Penel (li.), Portfolio Manager European Equities und Aymeric Gastaldi, Portfolio Manager International Equities, bei Edmond de Rothschild AM.

Souveränität bedeutet mehr als militärische Verteidigung. Energie, Gesundheit, Cybersecurity und kritische Infrastruktur rücken ins Zentrum politischer und wirtschaftlicher Strategien und bieten Anlegern neue Chancen. Ein Kommentar von Aymeric Gastaldi, Portfolio Manager International Equities, und Anthony Penel, Portfolio Manager European Equities bei Edmond de Rothschild AM.

„Lange Zeit wurde Souveränität als die Fähigkeit eines Nationalstaats definiert, seine Grenzen zu verteidigen und aufrechtzuerhalten. Jüngste Krisen haben dieses Verständnis jedoch erheblich erweitert. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel und zunehmende geopolitische Spannungen haben die tiefgreifenden Verwundbarkeiten unserer Gesellschaften offengelegt. Insofern ist das bisherige Konzept der Souveränität ins Wanken geraten. Heute geht Souveränität weit über die militärische Verteidigung hinaus.

Sie umfasst auch die Fähigkeit eines Landes oder einer Region, in Krisen- und Konfliktsituationen widerstandsfähig zu bleiben und sich anzupassen. Vor diesem Hintergrund hat sich das Konzept der ‚umfassenden Verteidigung‘ herausgebildet. Es zielt darauf ab, neben der physischen Sicherheit auch die wirtschaftliche, technologische, gesundheitliche und energetische Sicherheit zu gewährleisten.Dieser ganzheitliche Ansatz stärkt die Resilienz gegenüber externen, komplexen und unvorhersehbaren Schocks und sichert somit das Funktionieren des Staates unter allen Umständen.

Zwei mögliche Wege zur Erreichung der souveränen Zielsetzung für Anleger

Angesichts zunehmender geopolitischer Risiken müssen Staaten ihre Verteidigungsstrategien und ihre Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten neu überdenken. Dies erfordert ein frühzeitiges Erkennen und Antizipieren von Risiken, wie beispielsweise Naturkatastrophen, Gesundheitsbedrohungen, die Sicherung strategischer Ressourcen und Cyberangriffe. Investitionen in Cybersicherheit, öffentliche Gesundheit und kritische Infrastruktur sind konkrete Beispiele dafür, wie Regierungen sich auf Schocks vorbereiten und deren Auswirkungen abfedern können.


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Ebenso entscheidend sind langfristige Investitionen in die Verteidigung. Die NATO-Staaten scheinen die Notwendigkeit solcher Ausgaben erkannt zu haben. Die Militärausgaben sollen in naher Zukunft um mindestens 75 Prozent steigen. Insgesamt entspricht das 5 Prozent des BIP. Davon sind 3,5 Prozent für militärische Zwecke im engeren Sinne. Bisher waren es nur 2 Prozent. Jüngste Warnungen von Mark Rutte, dem NATO-Generalsekretär, vor der Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts auf europäischem Boden innerhalb der nächsten fünf Jahre, unterstreichen einmal mehr, wie wichtig es ist, die Grundfesten unserer Gesellschaften zu stärken. Durch Investitionen in diese lange vernachlässigten Schlüsselbereiche können Regierungen ihre Widerstandsfähigkeit stärken und das Wohlergehen sowie die Sicherheit ihrer Bevölkerung gewährleisten.

Nach demselben Prinzip ist auch die wirtschaftliche Souveränität von entscheidender Bedeutung – insbesondere in Europa, wo strategische Unabhängigkeit unerlässlich geworden ist. Der Draghi-Bericht entwirft eine auf Wettbewerb, Innovation sowie einer industriellen und technologischen Aufrüstung basierende Vision. Im Mittelpunkt steht, massiv in kritische Wertschöpfungsketten zu investieren, disruptive Innovationen zu fördern und die Energiewende voranzutreiben. So kann Europa seinen Einfluss und seine Position auf der Weltbühne wieder behaupten.

Mit dieser Strategie soll ein wirtschaftlicher Rahmen geschaffen werden, der geopolitischen Veränderungen standhält und Europa eine aktive Rolle auf der internationalen Bühne sichert. Die Rückgewinnung der Kontrolle über diese Schlüsselbereiche ist unerlässlich, um Abhängigkeiten zu vermeiden, die künftiges Wachstum und Stabilität gefährden könnten.

Schutz und Wettbewerbsfähigkeit sind dabei zwei zentrale Anforderungen, die dasselbe Ziel verfolgen. Die Stärkung der Souveränität basiert auf der Verbindung von Resilienz und wirtschaftlicher Stärke. Investitionen in die Verteidigung sichern Sicherheit und Stabilität, die wiederum die Voraussetzungen für Innovation und zukunftsgerichtete Investitionen schaffen. Durch die enge Verzahnung von Verteidigungs- und Wirtschaftssouveränität können sich Staaten wappnen, um in einem dauerhaft instabilen geopolitischen Umfeld zu bestehen.

Souveränität als Investmentthema

Souveränität ist schon lange kein exklusives Betätigungsfeld für Politiker mehr. Vielmehr hat sie sich zu einem strukturellen Investmentthema an der Schnittstelle von Wirtschaft, Geopolitik und Gesellschaft entwickelt. Der Begriff beschränkt sich nicht mehr nur auf militärische Belange, sondern umfasst inzwischen auch die Bereiche Energie, Gesundheit, Daten, Innovation und kritische Infrastruktur. Diese Sektoren bilden das Fundament unserer kollektiven Autonomie.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Kapitalallokation zu einem Akt der Souveränität entwickelt. Investoren können hier echten Einfluss nehmen. Sie können gezielt in Bereiche investieren, die für unsere Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind. So tragen sie dazu bei, dass Regierungen und Volkswirtschaften die Herausforderungen dieses Jahrhunderts meistern. Resilienz und wirtschaftliche Stärke sind dabei keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille: einer nachhaltigen Souveränität, die sowohl schützt als auch vorausschaut.

Dieses Thema ist mehr als nur ein konjunktureller Trend. Es geht um tiefgreifende Veränderungen, die sich über mehrere Jahre hinweg entfalten werden. Zugleich erfordert es ein starkes außerfinanzielles Engagement. Als Investor kann man zur Resilienz und Freiheit unserer Demokratien beitragen und mittels der Marktmechanismen positive externe Effekte schaffen. So können beispielsweise die Kapitalkosten für kritische Unternehmen gesenkt werden, wodurch der Weg zu widerstandsfähigeren Gesellschaften geebnet wird.

In Souveränität zu investieren bedeutet, finanzielle Rendite und gesellschaftliche Verantwortung zu vereinen. Oder, um Antonio Gramsci zu zitieren: ‚Souveränität vereint auf vernünftige Weise den Pessimismus des Verstandes mit dem Optimismus des Willens‘.“

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