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Thorsten Saal, Morgen & Morgen: „Pflichtversicherung lässt Produktwelt nicht verarmen“

Foto: Morgen und Morgen
Thorsten Saal: "Versicherer stehen vor der Herausforderung, steigende Schadenkosten durch Prämienanpassungen und Rückversicherungsschutz zu kompensieren, ohne die Kundenakzeptanz zu verlieren."

Wie stabil ist der Markt für Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen? Morgen & Morgen Bereichsleiter Mathematik und Rating Thorsten Saal erklärt, warum Qualität und Leistungsdichte zunehmen, welche Herausforderungen durch Schadeninflation entstehen – und worauf Makler bei der Produktauswahl besonders achten sollten.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung in den Sparten Hausrat und Wohngebäude – insbesondere im Hinblick auf Qualität, Prämienhöhe, Leistungsdichte?

Saal: Das aktuelle M&M Rating Wohngebäude 2025 zeigt eine positive Entwicklung: 75 Tarife erhielten die Höchstwertung von fünf Sternen – 15 mehr als im Vorjahr. Dies deutet auf eine zunehmende Produktqualität und Leistungsdichte hin. Gleichzeitig beobachten wir einen Prämienanstieg. Diese Entwicklung ist auf gestiegene Schadenaufwendungen und die Notwendigkeit einer auskömmlichen Kalkulation zurückzuführen. Der Anpassungsfaktor, der Basis für die Prämienberechnung ist, stieg 2023 um 14,7 Prozent, 2024 um 7,5 Prozent und 2025 um 2,5 Prozent.


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In der Hausrat-Versicherung gab es bei einigen Versicherern Beitragsanpassungen, die einhergingen mit Leistungserweiterungen, zum Beispiel bei den folgenden Punkten: Vermögensschäden durch Online-Banking-Betrug, die Mitversicherung von Balkonkraftwerken und von E-Ladestationen auf dem Grundstück, die Erstattung von Mehrkosten für energetische Modernisierung von Haushaltsgeräten und Gebäudebeschädigungen nach Fehlalarmen von Rauch- oder Gasmeldern. Damit tragen die Versicherer veränderten Bedürfnissen der Kunden Rechnung.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage am Markt für Wohngebäudeversicherungen ein – insbesondere angesichts steigender Schadenaufwände durch Extremwetterereignisse. Wo liegen für Versicherer vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Szenarien, die großen Herausforderungen?

Saal: Die Zunahme von Extremwetterereignissen führt zu erheblichen Schadenaufwendungen. Bereits im ersten Halbjahr 2024 wurden laut GDV Naturgefahrenschäden in Höhe von 3,9 Milliarden Euro registriert. Für das Gesamtjahr 2024 erwarten Versicherer Schäden von mindestens sieben Milliarden Euro. Versicherer stehen vor der Herausforderung, steigende Schadenkosten durch Prämienanpassungen und Rückversicherungsschutz zu kompensieren, ohne die Kundenakzeptanz zu verlieren. Zudem erfordert die zunehmende Schadenkomplexität eine Weiterentwicklung der Risikomodelle und Produktgestaltung.

Welche Trends beobachten Sie bei Schadenquoten und Kostenquoten in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung – und wie bewerten Sie deren Einfluss auf die Stabilität der Anbieter?

Saal: Auch wenn sich die durchschnittliche Schaden-Kosten-Quote, die Combined Ratio, die nach der Unwetterkatastrophe im Ahrtal 2021 in die Höhe geschnellt war, langsam wieder einpendelt, bleibt die finanzielle Lage vieler Versicherer angespannt, da die gestiegenen Prämieneinnahmen oft nicht ausreichen, um die wachsenden Schadenaufwendungen und Betriebskosten zu decken. Einige Versicherer reagieren mit Beitragsanpassungen und Effizienzsteigerungen. Dennoch bleibt die finanzielle Stabilität vieler Anbieter unter Druck, insbesondere wenn die Schadeninflation anhält.

Stichwort Schadeninflation: Von welchen Steigerungen sprechen wir in der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung?

Saal: Die Schadeninflation wirkt sich erheblich auf die Versicherungsbranche aus. In der Wohngebäudeversicherung stieg der Anpassungsfaktor 2023 um 14,7 Prozent, 2024 um 7,5 Prozent und 2025 um 2,5 Prozent. Dies reflektiert steigende Bau- und Reparaturkosten, die wiederum höhere Prämien erfordern.

Das aktuelle M&M-Rating Wohngebäude zeigt einen deutlichen Anstieg bei den Top-bewerteten Tarifen. Wo sehen Sie derzeit die größten qualitativen Unterschiede zwischen den Produkten der Anbieter?

Saal: Umfassende Elementardeckung, innovative Zusatzbausteinen und modulare Struktur, diese Merkmale ermöglichen eine individuelle Anpassung des Versicherungsschutzes und erhöhen die Produktqualität. Immer mehr Versicherer bieten Zusatzbausteine, wie zum Beispiel Haus- und Wohnungsschutzbrief mit diversen Notfall-Leistungen, Erneuerbare Energietechnik inklusive Einschluss des Ertragsausfalls bei Photovoltaikanlagen, Reisegepäck oder Unbenannte Gefahren an. Im Bereich der Elementardeckung bieten einzelne Versicherer einen optionalen Zusatzbaustein „Starkregen-Plus“ an, der im Falle von Starkregen nicht nur Schäden durch Überschwemmung, sondern auch Schäden durch eindringendes Niederschlagswasser oder die Überflutung von Balkonen und Dachterrassen einschließt.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht nachhaltige Produktansätze, digitale Services oder Smart-Home-Lösungen bei Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen?

Saal: Zum Beispiel bieten immer mehr Versicherer Hausrat-Tarife an, bei denen im Schadenfall die Mehrkosten für die energetische Modernisierung von Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen, Waschtrockner, Trockner, Kühlschränke, Gefrierschränke und Geschirrspüler mitversichert sind. Und in der Wohngebäudeversicherung sind es Leistungseinschlüsse, wie Mehrkosten für behördlich nicht vorgeschriebene energetische Modernisierung oder Mehrkosten durch umweltschonende Baustoffe, mit denen dem Thema Nachhaltigkeit Rechnung getragen wird. Als Beispiel zu nennen wäre eine papierlose Hausratversicherung, bei der eingesparte Kosten für ökologische Projekte gespendet werden.

Weitere Versicherer bieten einen Nachlass für Papierlos- oder Digital-Tarife. Hierbei verzichten die Kunden auf den postalischen Versand von Unterlagen und nutzen stattdessen digitale Kommunikation. Digitale Services ermöglichen es den Kunden, ihre Versicherungsverträge online abzuschließen, zu verwalten und Schäden digital zu melden. Diese Services bieten erhöhte Flexibilität und schnellere Bearbeitungszeiten. Immer mehr Versicherer bieten auch spezielle Smart-Home-Bausteine an, um vernetzte Geräte und smarte Haustechnik umfassend abzusichern.

Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Diskussion um eine mögliche Elementarpflichtversicherung? Sind die Pläne ein Gamechanger?

Saal: Die Diskussion um eine mögliche Elementarpflichtversicherung ist zweifellos ein bedeutendes Thema – aber von einem echten „Gamechanger“ zu sprechen, wäre verfrüht. Aktuell dominieren politische Absichtserklärungen und Positionspapiere, ein konkretes, einheitliches Konzept liegt bislang nicht vor. Besonders deutlich wird die Kluft zwischen den Befürwortern einer Pflichtversicherung – vor allem in von Hochwassern betroffenen Bundesländern – und Skeptikern wie dem GDV, der richtigerweise auf die Notwendigkeit eines umfassenden Risikomanagements hinweist: Versicherung allein schützt nicht vor Schäden.

Inwiefern würde eine solche Regulierung aus Sicht eines Ratinghauses die Vergleichbarkeit und Bewertung von Produkten verändern?

Saal: Aus Sicht eines unabhängigen Ratinghauses wie Morgen & Morgen hätte die Einführung einer Pflichtversicherung durchaus relevante Auswirkungen: Zum einen hinsichtlich der Vergleichbarkeit: Würde der Elementarschutz durch gesetzliche Vorgaben vereinheitlicht, könnte die Vergleichbarkeit der Produkte steigen, weil Basisdeckungen in diesem Punkt ähnlich ausgestaltet wären. Zudem hätte es Folgen für die Differenzierung: Trotz einer Standardisierung beim Obligatorium bliebe ausreichend Raum für Wettbewerb: Leistungen im Detail, Selbstbehalte, Serviceleistungen bei Schadenregulierung, Präventionsanreize und Zusatzdeckungen wären weiterhin differenzierbar und müssten weiterhin bewertet werden. Schauen wir auf die Produktlandschaft, erwarten wir nicht, dass eine Elementarpflicht die Produktvielfalt verarmen lässt. Vielmehr würde sich der Fokus stärker auf qualitative Unterschiede und die Kundenorientierung verlagern.

Eine Elementarpflichtversicherung könnte die Bewertungslogik im Detail verändern, etwa durch neue Gewichtungen einzelner Leistungskriterien. Der grundsätzliche Bedarf an unabhängiger Analyse und Vergleichbarkeit würde aber eher steigen als sinken – denn Standardisierung in der Pflicht schafft neue Transparenzbedürfnisse im Wettbewerb.

Wo liegen aktuell für Vermittler und Makler bei der Auswahl hochwertiger Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen die aktuellen Herausforderungen?

Saal: Für Vermittler und Makler liegt die zentrale Herausforderung aktuell in der wachsenden Komplexität und Vielfalt der Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen. Viele Tarife bieten auf den ersten Blick hohe Leistungen – die entscheidenden Unterschiede verbergen sich aber oft im Detail der Bedingungen und Ausschlüsse. Insbesondere beim Thema Elementarschutz, aber auch bei Obliegenheiten und Leistungseinschränkungen sollten Vermittler sehr genau hinschauen. Entscheidend ist und bleibt eine individuelle Risikoanalyse des Kunden, verbunden mit einer gezielten Auswahl nach Bedingungsqualität, Deckungsumfang und Transparenz. Zusatzbausteine wie Elementarschäden oder unbenannte Gefahren sind heute oft unverzichtbar, sollten aber nicht isoliert betrachtet werden. Der gesamte Bedingungsrahmen muss passen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die regelmäßige Überprüfung bestehender Verträge. Der Markt entwickelt sich dynamisch – viele neue Tarife bieten heute besseren Schutz zu vergleichbaren oder sogar günstigeren Konditionen. Tools wie der M&M Tarif-Optimierer helfen schnell und effizient dabei, Optimierungspotenziale aufzudecken und im Beratungsgespräch zu diskutieren. Vermittler, die diese Chancen aktiv nutzen, sichern nicht nur die Zufriedenheit ihrer Kunden, sondern stärken auch ihre eigene Beratungsqualität und Wettbewerbsposition.

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