EXTRA bAV: Zwischen Hoffnung und Hemmnissen 

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Künftig wollen beide Gesellschaften gemeinsam bAV-Lösungen entwickeln und anbieten.

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz II soll die betriebliche Altersvorsorge attraktiver machen. Doch anstatt Schwung zu bringen, droht das System an seiner eigenen Komplexität zu ersticken. Was die Branche bräuchte, wären Klarheit, Einfachheit – und den polititschen Mut, das System neu zu denken.

Die betriebliche Altersvorsorge (bAV) steht an einem Wendepunkt. Nach Jahren der Stagnation hofft die Bundesregierung mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz II (BRSG II) auf eine Initialzündung. Doch der Aufbruch könnte ausbleiben. Zu viele Regeln, zu viele Modelle, zu wenig Vertrauen. Die bAV bräuchte keinen weiteren Reformschritt, sondern einen echten Neustart. Denn je länger Politik und Verbände über Durchführungswege, Fördermechanismen und Sozialpartnermodelle diskutieren, desto mehr verliert das System an Breite. Vor allem im Mittelstand verzichten (zu) viele Arbeitgeber auf Versorgungsangebote. Eigentlich ein Unding. Und wer sich engagiert, stößt immer noch auf komplizierte Prozesse und ein kaum durchschaubares Regelwerk.

Zwar ist die bAV gefragt und dank der Zinswende können Versicherer wieder attraktivere Garantien darstellen: Doch ob der höhere Höchstrechnungszins, der mehr Spielraum in der Kalkulation, schafft, auch langfristig zu mehr Durchdringung beitragen wird, bleibt abzuwarten. 

Fakt ist: „Die bAV hat aktuell klar Rückenwind“, sagt Bernd Steinhart, Vertriebsvorstand der Global Finanz AG. Auch die Versicherer spüren diese Dynamik. „Im Neugeschäft geht es von Rekordjahr zu Rekordjahr, vor allem bei arbeitgeberfinanzierten Abschlüssen“, ergänzt Robert Dickner, Direktionsbevollmächtiger und Leiter bAV & Vorsorge beim Volkswohl Bund. Doch trotz positiver Tendenzen bleibt die bAV ein System mit Handbremse. Zu kleinteilig, zu erklärungsbedürftig

Seit dem ersten BRSG im Jahr 2017 hat sich die Zahl möglicher Kombinationen aus Zusageformen und Durchführungswegen auf rund 700 erhöht. Ein bürokratisches Gebilde, das selbst Fachleute überfordert. Arbeitgeber fürchten Rentenanpassungspflichten, Nachfinanzierungsrisiken und juristische Fallstricke. Tugce Yörükoglu, Analystin beim Ratinghaus Ascore, sieht im Alltag die Folgen: „Viele Beschäftigte haben inzwischen mehrere bAV-Verträge, wissen aber kaum noch, welche Leistungen sie tatsächlich abdecken.“ Das Resultat lautet: Verdruss statt Vertrauen – und ein System, das seinen eigentlichen Zweck zunehmend verfehlt. Das BRSG II bringt neue Instrumente, allen voran den automatischen Einstieg mit Opt-out. Die Idee: Wer nicht widerspricht, spart automatisch. Das klingt erst einmal gut: „Die Teilnahme an der bAV würde deutlich steigen“, sagt Yörükoglu. Großbritannien zeige, wie stark dieser Hebel wirken kann. 

Doch die Euphorie ist bei Versicherern und Vertrieben mehr als gedämpft. „Die rechtlichen Hürden sind zu hoch, das Modell wird in Deutschland kaum funktionieren“, warnt Dickner. Und Steinhart geht weiter: „Wir brauchen eine verpflichtende bAV, die für alle gilt.“ Eine Forderung, die sicherlich provoziert. Aber ohne Druck wird die Betriebsrente kaum flächendeckend wachsen. 

Spannend wird zu sehen, welche Wirkung die Geringverdienerförderung nach Paragraph 100 Einkommensteuergesetz entfalten wird. bAV-Experte Steinhart nennt sie sogar „die stärkste geförderte Sparform in Deutschland“. Weil, wie Dickner ergänzt, der Förderbetrag immer fließt – unabhängig davon, ob ein Unternehmen Gewinne erziele oder nicht. Für kleine Betriebe könnte das ein seltener Anreiz in einem sonst schwer zugänglichen System werden. Wenig Hoffnung ruht dagegen auf den Sozialpartnermodellen, die einst als zukunftsweisend galten. In der Praxis bleiben sie ungenutzt. „Das Sozialpartnermodell wird nie funktionieren“, urteilt Steinhart knallhart. Fehlende Garantien, unklare Leistungen und hohe Verwaltungsaufwände hätten jede Attraktivität erstickt. Auch Dickner sieht „ein völlig überfrachtetes System“, das für den Mittelstand keine Lösung bietet. Das klingt eher nach einem toten Pferd, dem auch frischer Hafer nicht helfen wird. 

Wo sich alles Experten einig sind: Die bAV braucht weniger Paragrafen und mehr Praxisnähe. So fordern Arbeitgeber einfache, digitale Abläufe, Beschäftigte wünschen Transparenz und Verlässlichkeit. „Wir brauchen endlich Klarheit – in den Systemen, im Arbeitsrecht, in der Auslegung zentraler Begriffe“, wünscht sich Volkwohl Bund-Mann Dickner. Und Steinhart mahnt, den Kunden dabei nicht aus dem Blick zu verlieren. Weniger Bürokratie und mehr Flexibilität seien nötig, nur so ließen sich die Menschen wirklich erreichen, lautet das Fazit von Ascore-Expertin Yörükoglu. 

Die bAV könnte ein zentraler Schlüssel zur Lösung der Rentenfrage sein. Doch solange sie in Komplexität und Regeldichte gefangen bleibt, wird sie ihr Potenzial nicht entfalten. Rückenwind hat sie, jetzt braucht sie Richtung.

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