Kreditwiderruf: BGH widerspricht EuGH-Hammerurteil

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Philipp Skerbek, SBS LEGAL

Der Europäische Gerichtshof urteilte im März zu Kreditverträgen und widersprach damit dem Bundesgerichtshof und dessen bisheriger Rechtsprechung. Daraufhin legte der BGH mit Beschlüssen nach, die der Europäischen Gerichtshofentscheidung zuwiderlaufen.

Der Europäische Gerichtshof urteilte im März zu Kreditverträgen und widersprach damit dem Bundesgerichtshof und dessen bisheriger Rechtsprechung. Daraufhin legte der BGH mit Beschlüssen nach, die der Europäischen Gerichtshofentscheidung zuwiderlaufen.

Das höchste europäische Gericht, der Europäische Gerichtshof (EuGH), hatte am 26. März 2020 entschieden, dass die meisten deutschen Immobilienkreditverträge, Kfz-Finanzierungsverträge und Kfz-Leasingverträge widerrufbar sind. Immobilienkäufer, die in der Zeit von Juni 2010 bis März 2016 und ab März 2019 Immobilien zu schlechten Zinsen finanziert haben, könnten somit ihr Darlehen wahrscheinlich widerrufen und sich neue Darlehen zu besseren Zinsen holen, wodurch sie zum Teil zigtausende Euro zurück erhalten würden. Fahrzeughalter, die ihr Kraftfahrzeug in den letzten Jahren finanziert oder geleast haben, könnten dieses sehr wahrscheinlich ebenfalls infolge dieses Urteils an die Bank zurückgeben und sämtliche Raten und die geleistete Anzahlung zurückverlangen, wodurch sie Ihr Kfz kostenlos gefahren wären.

Mit diesem Urteil widersprach der EuGH dem Bundesgerichtshof (BGH) in seiner bisherigen Rechtsprechung.

Fünf Tage nach diesem Hammerurteil gegen das deutsche Kreditrecht legte der BGH mit zwei Beschlüssen nach, welche nun wiederum das genaue Gegenteil besagen. Es scheint so, als hätten die BGH-Richter nur auf das EuGH-Urteil gewartet, um umgehend auch das Bundesjustizministerium in Schutz zu nehmen und die deutschen Banken vor massiven Regressansprüchen zu schützen. Laut BGH sei das verbraucherfreundliche EuGH-Urteil nicht auf deutsche Verträge anwendbar, zumindest nicht auf Immobilien-Darlehensverträge.

Diese Wendung bedeutet jedoch nicht, dass Sie nun aufgeben und die Flinte ins Korn werfen sollten, sofern ein von Ihnen geschlossener Kreditvertrag betroffen ist.

Die Kreditwiderruf-Thematik ist bei vielen auf großes Interesse gestoßen, weswegen wir umgehend eine Einordnung der aktuellen Entwicklungen liefern möchten. Zudem wurden einige Verwunderungen darüber geäußert, dass an vielen Stellen bereits verkündet wurde, die Erfolgsaussichten für Widerrufe stünden gut, obwohl schon gegenteilige Beschlüsse des BGH vorlagen.

Die beiden Beschlüsse des BGH (BGH 31.03.2020 – Az. XI ZR 198/19 und BGH 31.03.2020 Az. XI ZR 581/18) als Antwort auf das EuGH-Urteil stammen zwar vom 31.03.2020. Allerdings wurden beide Beschlüsse erst ab dem 15. April 2020 durch die Übermittlung des BGH an die erstveröffentlichende Anwaltskanzlei bekannt.

Es scheint, als führen die Einschränkungen durch die Coronavirus-Pandemie auch bei Gerichten zu Verzögerungen. Die Veröffentlichung zu diesem Thema geschah belegbar ab dem 19.04.2020, also zu einem Zeitpunkt, zu welchem zahlreiche Medien und Verbraucherschutzanwälte bereits Artikel veröffentlicht hatten.

BGH und EuGH liefern sich einen Kampf um die Hoheit in der Rechtsprechung

Mit seinen zwei Beschlüssen reagiert der BGH frühzeitig auf das EuGH-Urteil und möchte damit zu verstehen geben, dass die Entscheidung des EuGH für Immobilienkredite nicht einschlägig sei. Der Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie sei für Immobilienkredite laut BGH nicht eröffnet. Auch sieht der BGH keinen Änderungsbedarf der deutschen Rechtsprechung in Bezug auf das EuGH-Urteil.

In der Entscheidung des EuGH geht es hauptsächlich um grundpfandrechtlich besicherte Immobilien-Darlehensverträge. Der BGH ist der Auffassung, dass die Verbraucherkreditrichtlinie keine Anwendung auf diese findet und sich das Urteil des EuGH deswegen nicht auf die Widerruflichkeit von Verbraucherdarlehen für Immobilien auswirken könne.

Der EuGH erkennt die eigentlich fehlende Anwendbarkeit der Richtlinie für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen in seinem Urteil zur Kaskadenverweisung jedoch. Dem EuGH geht es vielmehr darum, dass ein „Ottonormalverbraucher“ ohne juristische Kenntnisse, welcher einen Darlehensvertrag abschließt, den durchaus komplexen und stufenartigen Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB in Hinblick auf die Widerrufsbelehrung nicht nachvollziehen kann.

Zudem hat der EuGH, indem er auch auf ältere Rechtsprechung verwiesen hat, mitgeteilt, dass er auch dann zur Entscheidung berufen sei, wenn nationales Recht zwar nicht unmittelbar von einem Unionsakt erfasst ist, sich aber nach den in diesem Rechtsakt getroffenen Regelungen ausgerichtet hat, wie es hierbei der Fall ist.

Der EuGH ist wieder am Zug – Weiterhin Chancen auf Widerruf

Nach meiner Einschätzung wird der EuGH zu den jüngsten Beschlüssen des BGH nochmal Stellung beziehen und sich zu dem konkreten Anwendungsbereich für Verbraucherkreditverträge positionieren. Diese Geschichte ist noch nicht für abschließend geurteilt und so bleibt es abzuwarten, ob deutsche Gerichte und insbesondere der BGH an den bisherigen Ansichten und älteren Rechtsprechungen festhalten werden. Es gilt jedoch immer auch den Verbraucherschutz im Auge zu behalten, welcher gegenüber der Schutzbedürftigkeit von Unternehmen – besonders in Hinblick auf europäische Verbraucherrichtlinien – deutlichen Vorrang genießt.

Es kommt immer auf den Einzelfall an, denn Fehler in Widerrufsbelehrungen sind nicht grundsätzlich ein Freifahrtschein, sondern immer auch mit langjährigen Streits verbunden. Es bleibt jedoch weiterhin offen, ob und in welcher Form das Urteil des EuGH Auswirkungen auf andere Verbraucherfinanzierungsverträge – insbesondere Kfz-Finanzierungen und Leasingverträge –, die mit Widerrufsinformationen versehen und mit der „Kaskadenverweisung“ ausgestaltet sind, haben wird.

Dies bedeutet wiederum auch, dass noch nichts feststeht und die Hoffnung auf einen möglichen Widerruf nicht vorschnell aufgegeben werden sollte.

Die Kanzlei SBS LEGAL steht Ihnen weiterhin für einen kostenlosen Erstkontakt und für die Prüfung Ihres Falles zur Verfügung und wird Ihnen bei entsprechend positiver Bewertung bzw. neuen Entwicklungen kompetent zur professionellen Durchsetzung Ihrer Rechte zur Seite stehen.

Autor Philipp Skerbek ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei SBS LEGAL und auf Immobilien- und Verbraucherkredite spezialisiert.

Kontakt: Tel.: (+49) 040 734 4086-0 / www.sbs-legal.de

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