Mögliche Ampel: Licht und Schatten

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Grünen-Vorsitzende Robert Habeck und Annalena Baerbock, SPD-Kanzlerkandidat OIaf Scholz, FDP-Chef Christian Lindner (v.l.)

Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP laufen. Was bedeutet eine mögliche „Ampel“ für den Finanzvertrieb? Das Ergebnis der Sondierungsgespräche gibt erste Hinweise.

Die Hoffnung war groß auf dem Süllberg in Hamburg-Blankenese: Zwei Tage vor der Bundestagswahl am 26. September war der Wahlausgang das Gesprächsthema Nummer 1 auf der diesjährigen Cash. Gala. Und obwohl die SPD in den jüngsten Umfragen an der Union vorbeigezogen war und knapp vorn lag, waren viele Repräsentanten der Finanzdienstleistungsbranche zuversichtlich, dass die Union – die der Branche traditionell näher steht als die Sozialdemokraten – doch noch gewinnen würde. Viele ältere Wählerinnen und Wähler würden sich noch kurzfristig mobilisieren lassen und ihr Kreuz bei CDU/CSU machen, hieß es. Doch rund 48 Stunden später hatte sich die Hoffnung zerschlagen, die Aufholjagd fiel aus. Die SPD konnte ihren knappen Vorsprung ins Ziel retten und hat mittlerweile Gespräche über eine Regierungsbildung mit FDP und Grünen aufgenommen. Was bedeutet eine mögliche „Ampel“ nun für den Finanzvertrieb?

Als klar war, dass die SPD die Wahl gewonnen hat, meldeten sich schnell die ersten Branchenverbände zu Wort, um ihre Wünsche an die künftige Bundesregierung zu formulieren. Manch ein Verbandschef fand dabei fast schon staatsmännische Worte, so wie Votum-Chef Martin Klein: Er forderte die politischen Parteien auf, sich jetzt nicht in „ewig langen Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen über Randthemen zu verlieren“, sondern schnell zusammenzufinden, um die großen Herausforderungen anzugehen. Dazu zählte er Klimaschutz, Multilateralismus, Freihandel, aber auch Rente und Bürokratieabbau. Dabei müsse die Rückbesinnung auf die entfesselnden Kräfte der sozialen Marktwirtschaft im Fokus der politischen Entscheidungsträger stehen, so Klein.

Sein Wunsch: „Lieber jetzt die Aufbruchstimmung nutzen, sich gemeinsam auf den Weg machen und das dringend benötigte Modernisierungsjahrzehnt einläuten, als wieder monatelang einen 174-seitigen Koalitionsvertrag auszuhandeln, der das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben ist.“ Die gute Nachricht sei, dass die Demokratie die Wahl gewonnen habe, betonte Klein. „Die Parteien der Mitte haben von den Wählern einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Radikale Positionen konnten sich nicht durchsetzen.“ Eine richtige und wichtige Feststellung – besonders wenn man bedenkt, dass die rechtspopulistische AfD auch in Vermittlerkreisen zuverlässig auf zweistellige Zustimmungswerte kommt, wie die Umfragen des Maklerverbands AfW regelmäßig zeigen. Zuletzt lag sie bei der AfW-Sonntagsfrage im Juli bei zehn Prozent.

Anfang Oktober kommentierte auch Michael H. Heinz, der stets wortgewaltige Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), den Wahlausgang und betete dabei fast mantrahaft den Forderungskatalog seines Verbands herunter. „Zunächst beanspruchen wir, dass die Politik endlich umfassend die sozialpolitische Bedeutung unseres Berufsstands anerkennt“, so Heinz. Dazu gehöre auch der Erhalt des Provisionssystems neben der Honorarvergütung. Die Regulierungsspirale der letzten Jahre gegenüber den Vermittlern müsse gestoppt werden, um bestehende Regelungen erst einmal zu evaluieren. Deshalb verbiete sich auch eine Deckelung der Vergütungen der Vermittler. Auch eine Übertragung der Aufsicht über Finanzanlagenvermittler auf die BaFin komme für den BVK nicht in Frage.

Bürgerversicherung vom Tisch

Rein digital vertriebene Standardprodukte zur Altersvorsorge lehne man ebenfalls ab, genauso wie einen neuen Staatsfonds. Stattdessen forderte der BVK eine Reform und „bürokratische Entschlackung“ der Riester-Rente mit flexiblen Kapitalgarantien. Heinz erteilte zudem allen politischen Plänen zur Einführung einer Bürgerversicherung eine Absage. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsdebatte appellierte der Verband an die Politik, Versicherungsunternehmen anzuhalten, verstärkt ESG-konforme Produkte anzubieten.

Bereits Mitte Oktober zeigte sich dann, welche dieser Forderungen eine Erfolgsaussicht haben und welche nicht: Da präsentierten SPD, Grüne und FDP das Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche und beschlossen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. In dem zwölfseitigen Papier mit dem nüchternen Titel „Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP“ finden sich einige Passagen, die der Finanzdienstleistungsbranche einen Hinweis darauf geben, wohin die politische Reise in den nächsten vier Jahren gehen soll. Darin heißt es unter anderem:

Neben der gesetzlichen Rente bleiben die betriebliche wie private Altersvorsorge wichtig für ein gutes Leben im Alter.“

Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen. Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen. Es gilt ein Bestandschutz für laufende Riester-Verträge.“

Die gesetzliche und die private Kranken-und Pflegeversicherung bleiben erhalten.“

Die Bürgerversicherung war damit schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen vom Tisch, obwohl sie im Wahlkampf eine zentrale Forderung von SPD und Grünen in der Gesundheitspolitik gewesen ist. Ein Punktsieg für die FDP, die in einer möglichen Ampel-Koalition wohl als „Anwalt der Finanzdienstleistungsbranche“ agieren würde. Einige der geplanten Vorhaben dürften der Branche aber Bauchschmerzen bereiten: So lässt die besondere Betonung eines Bestandschutzes für laufende Riester-Verträge den Umkehrschluss zu, dass neue Riester-Verträge nicht mehr gefördert werden sollen. Und auch ein staatlich gefördertes Aktiensparen wäre so gar nicht im Interesse der Branche, würde es doch zu deutlichen Einbußen bei den Lebensversicherern führen.

Keine Aussagen zum Vergütungssystem

Dennoch lobte Votum-Chef Klein die Ergebnisse der Sondierungsgespräche in den Bereichen Altersvorsorge und Gesundheitspolitik in einer ersten Stellungnahme für ihren „erfreulichen Pragmatismus“. Extrempositionen wie die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und des dreisäuligen Altersvorsorgesystems hätten sich nicht durchgesetzt. Die geplante Prüfung der Einrichtung eines Staatsfonds in der betrieblichen Altersvorsorge gibt aus Sicht von Klein allerdings Anlass zu Kritik: „Die private Altersvorsorge sollte staatsfern und privat bleiben. Den Bürgern muss bewusst sein, dass der Staat die angesparten Vorsorgevermögen auch zweckentfremden könnte. Das haben die Beispiele Spanien und Irland in der Finanzkrise gezeigt. Hier gilt, es die Politik weiterhin wachzurütteln und aktiv daran zu arbeiten, dass die Prüfung zu einer Ablehnung der Umsetzungspläne führt.“ Klein begrüßte ausdrücklich die Bereitschaft, dass man im Bereich der privaten Anlageprodukte offenbar bereit sei, zumindest teilweise auf Garantien zu verzichten, um höhere Renditen als bei den derzeitigen Riester-Produkten zu ermöglichen. Mit dem Bestandsschutz für Riester hätten die zukünftigen Koalitionäre verstanden, dass beim Thema Altersvorsorge das Vertrauen in der Bevölkerung nicht noch weiter verspielt werden dürfe.

Der BVK teilte mit, den Koalitionsverhandlungen mit gemischten Gefühlen entgegenzusehen. „Positiv ist, dass die Einführung einer Bürgerversicherung, wie sie in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen anvisiert wurde, vom Tisch ist“, freute sich BVK-Präsident Heinz. „Das ist zunächst eine sehr gute Nachricht und Ausgangsbasis für uns Vermittler.“ Er begrüßte auch das Bekenntnis zu den drei Säulen der Altersvorsorge, ebenso wie den Bestandsschutz für die bestehenden Riester-Verträge. In die richtige Richtung gehe auch die Erhöhung des Sparerfreibetrages auf 1.000 Euro und die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte.

Bei allem Licht zeigen die Koalitionspläne laut Heinz jedoch auch Schatten: Dieser betreffe die Festlegung darauf, das System der Riester-Rente aufzugeben und eine grundlegende Reform der privaten Altersvorsorge anzugehen. „Hier bewahrheitet sich leider unsere Befürchtung, dass die künftige Bundesregierung plant zu prüfen, einen Staatsfonds für alle Vorsorgesparer aufzulegen“, kritisierte er. „Die Ampel-Koalition sollte jedoch bei aller Tatkraft nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die Altersvorsorge für alle standardisieren. Denn die Lebenslagen von Menschen in unserem Land sind zu individualisiert, als das man allen mit einem Einheitsprodukt gerecht wird. Hier bedarf es flexibler Angebote, für die eine Beratung durch Versicherungsvermittler zentral ist. Daher vermissen wir auch Aussagen zur sozialpolitischen Bedeutung unseres Berufsstands“, so Heinz.

Vermissen dürfte er auch Aussagen dazu, wie das Vergütungssystem künftig ausgestaltet sein soll. Unter den möglichen Koalitionspartnern ist das durchaus strittig: So hatten die Grünen im Wahlkampf angekündigt, von der Provisionsberatung schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen zu wollen. Und die SPD hatte schon in der abgelaufenen Legislaturperiode versucht, einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung durchzusetzen, war damit jedoch am Koalitionspartner CDU/CSU gescheitert. Ob die FDP diese Pläne verhindern kann, werden die laufenden Koalitionsverhandlungen zeigen. FDP-Chef Christian Linder jedenfalls wird sich daran messen lassen müssen, was er im März 2020 im Interview mit Cash. gesagt hat: „Wer die Menschen nicht mit der gesetzlichen Rente allein lassen will, der braucht eine unabhängige Finanzberatung, die überhaupt erst Sensibilität und Bedürfnis schafft. Ich breche eine Lanze für die Branche – übrigens ausdrücklich auch für die Provisionsberatung.“ Diesen Worten muss er nun Taten folgen lassen – womöglich sogar als neuer Bundesfinanzminister.

Kim Brodtmann, Cash.

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