Grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten nach hartem Brexit

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Die Folgen des Brexits für mögliche Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien sind bisher meist unbeachtet geblieben.

Da das Vereinigte Königreich (UK) schon in einem Vierteljahr nicht mehr der EU angehören wird, ist es aktuell sehr wahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einem Ausscheiden ohne Abkommen kommt. Deutschland müsste dann gegenüber Großbritannien die Regeln des internationalen Privatrechts anwenden. Gastbeitrag von Frank J. Bernardi, Rödl & Partner

Damit geht zwar die Welt nicht unter, aber es werden beim gegenseitigen Handel einige Erschwernisse auftreten, zum Beispiel durch anfallende Zölle und Steuern. Über diese sich unmittelbar wirtschaftlich auswirkenden Veränderungen hinaus muss damit gerechnet werden, dass die gesamte Rechtslage unübersichtlich wird. Viele noch geltende Rechtsvorschriften werden nicht mehr anwendbar sein.

Bei ihren vertraglichen Beziehungen haben sich bereits viele Unternehmen auf diese neue Situation eingestellt und Klauseln vereinbart, die die Folgen des Brexits auf die Vertragsparteien abmildern oder auffangen sollen. Die Folgen des Brexits für mögliche Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien sind hierbei meist unbeachtet geblieben.

Um die auftretenden Probleme zu verstehen, muss man sich zunächst die Lage vor Augen führen. Der Brexit ist ein Ausscheiden eines Staates aus einem Verbund von Staaten, der Europäischen Union. Das bedeutet, dass sich nur die Regelungen ändern können, die aufgrund der Zugehörigkeit Großbritanniens zur EU existieren, denn mit der Zugehörigkeit entfallen diese Regelungen. Unabhängig hiervon eingegangene Staatsverträge bleiben vom Austritt grundsätzlich unberührt.

Bei Rechtsstreitigkeiten muss unterschieden werden, ob es sich um solche vor staatlichen Gerichten oder vor Schiedsgerichten handelt. Grundlage eines zwischen den Parteien vereinbartes Schiedsverfahren ist eine vertragliche Regelung, Rechtsstreitigkeiten außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit von einem Schiedsgericht entschieden zu lassen. Solche Vereinbarungen sind international anerkannt und werden oft in internationalen Verträgen verwendet. Haben die Parteien vereinbart, Streitigkeiten zwischen ihnen vor einem Schiedsgericht auszutragen, so hat der Brexit keinen Einfluss darauf.

Gravierende Auswirkungen auf Verfahren vor staatlichen Gerichten

So gering die Auswirkungen des Brexit auf Schiedsstreitigkeiten sind, so gravierend sind die auf Verfahren vor staatlichen Gerichten betroffen. Zentrale Regelung für Gerichtsverfahren in EU-Mitgliedstaaten ist die sogenannten Brüssel 1a Verordnung. In dieser EU-Verordnung werden die für einen Rechtsstreit zentralen Grundfragen geregelt: Welches Recht ist auf einen Rechtstreit anzuwenden? Vor welchem Gericht ist der Streit zu führen? Wie werden Urteile von staatlichen Gerichten vollstreckt?

Mit dem Austritt Großbritanniens werden diese Fragen nach den Regelungen des Internationalen Privatrechts (IPR) zu beurteilen sein. Das scheint nicht weiter schlimm, denn es gibt ja einen Begriff des Internationalen Privatrechts. Aber der einfache Name IPR täuscht: Inhaltlich bedeutet es, dass man zunächst schauen muss, ob es zwischen den betroffenen Staaten einen Staatsvertrag gibt, der die betreffenden Fragen regelt. Wenn das nicht der Fall ist, muss man eine doppelte Prüfung vornehmen, denn jeder Staat hat eigene Regelungen zum Internationalen Privatrecht.

So ist zum Beispiel bei der Frage des anwendbaren Rechts zunächst nach deutschem Recht zu prüfen, welches Recht für die Frage anzuwenden ist – und anschließend nach UK-Recht. Soweit hier keine abweichenden Ergebnisse auftauchen, ist das unproblematisch. Aber eben nur dann. Einfacher wird die Lage nicht dadurch, dass das Vereinigte Königreich – anders als Deutschland – nicht Vertragsstaat des UN-Kaufrechts ist. Parteien, die in ihren Verträgen eine ausdrückliche Rechtswahlklausel und eine ausdrückliche Klausel über die Zuständigkeit des Gerichts getroffen haben, sind demnach gut beraten.

Liegt ein Urteil vor, so ist es nur dann etwas wert, wenn es auch gegen den Willen der unterliegenden Partei durchgesetzt werden kann.

Gegenwärtig erfolgt die Vollstreckung von Urteilen, die vor einem staatlichen Gericht innerhalb der EU erlassen worden ist, nach der Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO), ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.

Auch wenn Großbritannien ein Gesetz erlassen sollte, das weite Teile oder das gesamte EU-Recht weiterhin für anwendbar erklärt, würde ohne Austrittsabkommen diese Verordnung nicht mehr anwendbar sein. Denn nur Urteile “eines Mitgliedstaates” werden erfasst – und nach dem Brexit wird das Vereinigte Königreich kein Mitgliedstaat mehr sein.

Die Vollstreckung von Urteilen eines deutschen Gerichts wird demnach wohl auf das im Jahre 1960 abgeschlossene Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen gestützt werden müssen. Das kann zu längeren Verfahren führen, weil ein Versagungsgrund für die Anerkennung geltend gemacht werden kann. Insbesondere im Falle der Notwendigkeit zügiger Vollstreckung können hier also Nachteile entstehen.

Unproblematisch verhält es sich mit Schiedsurteilen

Ungleichgewichte sind fast programmiert: Innerhalb der EU werden wohl auch noch nach dem Brexit Urteile von Gerichten des Vereinigten Königreiches, die vor dem Brexit erlassen wurden, vollstreckt werden können. Deutsche und sonstige EU-Urteile werden in Großbritannien diesen Weg wohl nicht mehr finden dürfen.

Unproblematisch verhält es sich auch hier mit Schiedsurteilen, denn solche sind kein Urteile eines staatlichen Gerichts. Schiedsurteile werden nach dem New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 vollstreckt.

Da neben dem Vereinigten Königreich nicht nur die Mitgliedstaaten der EU, sondern darüber hinaus auch Norwegen, die Schweiz und eine Vielzahl weiterer Staaten beigetreten sind, wird auch nach einem Brexit die Vollstreckung eines Schiedsurteils keine nennenswerten Schwierigkeiten mit sich bringen. Das gilt unabhängig davon, ob es in Deutschland oder einem anderen Land erlassen worden oder zu vollstrecken ist.

Autor Frank J. Bernardi berät Mandanten in den Bereichen Handels- und Gesellschaftsrecht. Einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit bilden das Vertriebsrecht und die Vertretung der Interessen seiner Mandanten von ordentlichen Gerichten und Schiedsgerichten.

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