Die Tauben sind los

Risikoanlagen sind nach einer äußerst holprigen Entwicklung im Mai deutlich positiver in den Juni gestartet. Liegt dies an einer Beruhigung des Handelsstreits oder an der Verbesserung der makroökonomischen Daten? Im Grunde trifft beides nicht zu. Vielmehr sind unserer Meinung nach die Interventionen der Zentralbanken, wie schon seit Jahresbeginn, Haupttreiber der Erholung. In den vergangenen Tagen haben sie sich besonders aktiv oder zumindest wortreich gezeigt. Ein Kommentar vor Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Enguerrand Artaz, Fondsmanager La Financière de L‘Echiquier.

Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Enguerrand Artaz, Fondsmanager La Financière de L‘Echiquier.

In den USA vertrat James Bullard die Auffassung, dass eine Zinssenkung „bald gerechtfertigt sein könnte“. Der Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis ist jedoch als besonders „taubenhaftes“, also moderates, Mitglied der US-Notenbank bekannt und als solches im Offenmarktausschuss FOMC in der Minderheit. Die Anleger achteten vor allem auf die Worte von Fed-Chef Jerome Powell.

„zur Unterstützung des Wachstums angemessen handeln“

Bei einer Rede, deren Hauptthema nicht die Geldpolitik war, war ein kurzer Satz zu vernehmen, der ausreichte, die Hoffnungen auf eine Zinssenkung wieder aufleben zu lassen. Er begnügte sich zwar mit dem Hinweis, dass die Zentralbank „zur Unterstützung des Wachstums angemessen handeln werde“, und verwies darauf, dass die Ziele am Arbeitsmarkt und bei der Inflation vorerst erreicht seien. Aber die immer wahrscheinlichere Aussicht auf zumindest eine Zinssenkung bis zum Jahresende im Falle einer ausbleibenden Konjunkturverbesserung wurde von den Märkten „gekauft“. Zumal Powells Äußerungen vom Fed-Vizepräsidenten Richard Clarida und der Fed-Gouverneurin Lael Brainard unterstützt und aufgegriffen wurden.

Auf der monatlichen Sitzung der Europäischen Zentralbank klangen die Aussagen ebenfalls moderater. Die Bedingungen für die dritte Tranche der sogenannten gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (Targeted Longer-Term Refinancing Operations; TLTROs) enttäuschen. Der Zinssatz wird zwischen dem Einlagesatz (-0,4 Prozent) zuzüglich 0,1Prozent und dem Refinanzierungssatz (0,0 Prozent) zuzüglich 0,1 Prozent liegen, während die Anleger erwartet hatten, dass er unter dem Einlagesatz liegen könnte.

Werkzeugkasten nutzen

Doch Mario Draghi schlug in seinen Äußerungen einen eindeutig moderaten Ton an. Ähnlich wie sein US-Amtskollege bekräftigte er, dass die EZB bereit sei, im Falle einer Konjunkturverschlechterung zu handeln und hierbei alle Instrumente ihres „Werkzeugkastens“ zu nutzen und insbesondere eine zusätzliche Senkung des Einlagesatzes vorzunehmen. Er wies auch darauf hin, dass die Leitzinsen „mindestens bis zur ersten Jahreshälfte 2020“ unverändert bleiben würden – zuvor hatte es „mindestens bis Ende 2019“ geheißen. Der EZB- Rat zeigte sich bei den Wachstumsaussichten neutraler und senkte seine Erwartungen für 2020, hob sie für 2019 jedoch an.

Auf kurze Sicht ist diese Haltung für Risikoanlagen sehr vorteilhaft, aber man sollte sich vor überzogenen Erwartungen hüten. Der leichte Rückgang der europäischen Märkte nach der Bekanntgabe des TLTRO-Zinssatzes belegt dies. Vor allem bei der erwarteten Zinssenkung der Fed versündigen sich die Anleger zweifelsohne mit übergroßer Zuversicht. Denn sie sehen bis Jahresende mehr als zwei Zinssenkungen voraus, was außer im Falle eines jähen Absturzes der US-Wirtschaft unwahrscheinlich erscheint.

Das Risiko für Enttäuschungen ist demnach hoch

Hinzu kommen die schwächelnden makroökonomischen Indikatoren mit einem globalen Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe, der erstmals seit mehr als drei Jahren unter 50 liegt. Auch der globale Composite-Einkaufsmanagerindex hat einen Tiefstand erreicht. Hinzu kommt eine US-Zinskurve mit nach wie vor deutlicher Inversion: Die Situation veranlasst dazu, die Überschwänglichkeit der letzten Tage mit Vorsicht zu genießen.

 

Foto: LFDE

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