ESG: Es geht auch ohne Taxonomie

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Hannah Dellemann, ESG-Expertin bei Intreal: „Es gibt noch zahlreiche offene Fragen und eine entsprechend große Unsicherheit am Markt.“ 

Die "Taxonomieverordnung" der EU definiert europaweit einheitliche Maßstäbe für Nachhaltigkeit (ESG), enthält aber noch viele Fragezeichen. Doch Fondsanbieter können auch eigene Kriterien entwickeln. Darauf weist die Kapitalverwaltungsgesellschaft Intreal hin.

Zum 1. Januar 2022 wird die nächste Etappe der europäischen Taxonomie-Verordnung in Kraft treten. Es sind dies die Anforderungen an die ersten zwei Umweltziele der Verordnung: Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel. Damit hat der europäische Gesetzgeber ein Instrument geschaffen, das Nachhaltigkeit messbar machen soll, so Intreal.

Das Regelwerk habe erhebliche Auswirkungen auf alle Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) von Immobilienfonds. Die wichtigsten Änderungen: Bei allen Fonds, die künftig Nachhaltigkeitsmerkmale fördern („Artikel-8-Fonds“) oder die sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit einsetzen („Artikel-9-Fonds“ beziehungsweise „Impact-Fonds“), muss der Anteil der taxonomiekonformen Immobilien künftig bereits in den vorvertraglichen Informationen angegeben werden, also zum Beispiel in den Fondsprospekten.

Später muss in den Jahresberichten veröffentlicht werden, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden. Bei Fonds, die keine Nachhaltigkeitsziele verfolgen – auch „Artikel-6-Fonds“ genannt –, muss dem Anleger transparent gemacht werden, dass der Fonds nicht in taxonomiekonforme Immobilien investiert. Das Ziel des europäischen Gesetzgebers: Es soll mehr privates Kapital in nachhaltige Anlagen fließen. 

Hannah Dellemann, ESG-Beauftragte der Intreal, kommentiert: „Die Taxonomie ist das Herzstück der europäischen ESG-Regulierung. Es handelt sich dabei um ein sehr umfassendes Regelwerk, das seit mehreren Jahren von einer Expertengruppe erarbeitet wurde. Trotz aller Ausführlichkeit gibt es noch zahlreiche offene Fragen und eine entsprechend große Unsicherheit am Markt.“ 

Taxonomie macht bei Immobilien Vorgaben für vier Bereiche

Welche Inhalte hat die Taxonomie in Bezug auf Immobilien? Eine technische Expertengruppe hat Vorgaben für vier Bereiche erarbeitet: Neubau, Ankauf, Sanierung sowie weitere Dienstleistungen. Für alle Bereiche wurden jeweils Nachhaltigkeitskriterien festgelegt. Dellemann dazu: „Ein Beispiel aus dem Bereich Neubau sind die Vorgaben für den Primärenergiebedarf. Dieser soll um zehn Prozent unter den Schwellenwerten liegen, die im jeweiligen Land für ein Niedrigstenergiegebäude gelten. Hier zeigen sich auch schon exemplarisch die Probleme der Taxonomie. Diese Werte sind auf nationaler Ebene nicht einheitlich geregelt. Hinzu kommen erhebliche Unterschiede je nach Nutzungsart der Immobilie.“

Ein anderes Beispiel seien die Vorgaben zum Thema Ankauf. Als taxonomiekonform gelte ein Gebäude, das vor dem 1. Januar 2021 erbaut wurde, wenn es entweder einen Energieausweis hat, der der Klasse A entspricht, oder wenn es in Bezug auf den Primärenergiebedarf zu den besten 15 Prozent seiner Klasse im nationalen oder regionalen Vergleich gehört. „Auch hier zeigen sich die Probleme, die in der Praxis auftauchen. Wie werden die besten 15 Prozent definiert? Wer entscheidet, was in diesem Zusammenhang regional heißt?“, fragt die ESG-Expertin.

Artikel-8- oder Artikel-9-Fonds auch ohne Taxonomie möglich

Michael Schneider, Geschäftsführer der Intreal, fügt hinzu: „Die Taxonomie ist bei der Auflage von ESG-Fonds kein Muss, sondern eine Kann-Vorgabe. Eine KVG kann auch einen Artikel-8- oder Artikel-9-Fonds auflegen, ohne auf der Taxonomie aufzusetzen. Es ist für Fondsanbieter zulässig, eigene Kriterien zu entwickeln. Diese müssen überzeugend und konsistent dargelegt werden. Sie werden vor dem Vertriebsbeginn von der BaFin natürlich gründlich geprüft. Der Markt bietet hierzu aktuell ein gespaltenes Bild. Wir beobachten einen Teil der Anbieter, der die Taxonomie anwendet, und einen Teil, der eigene Kriterien definiert. Je nach Assetklasse bietet sich nur letzteres an: das Angebot an Immobilien, welche die strengen Kriterien der Taxonomie erfüllen, ist noch sehr gering.“ 

Es handelt sich bei dem zum Jahresbeginn geltenden Regelwerk nur um den ersten Teil der Taxonomie, das sich auf zwei von insgesamt sechs Nachhaltigkeitszielen im Bereich Umwelt (Environment) bezieht. Diese Ziele sind „Klimaschutz“ sowie „Anpassung an den Klimawandel“.

Für vier weitere Umweltziele befinden sich derzeit die technischen Kriterien zur Taxonomie in Vorbereitung. Diese sollen am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Diese vier weiteren Ziele sind „Schutz von Wasser und Meeren“, „Übergang zur Kreislaufwirtschaft“, „Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung“ sowie „Schutz der Ökosysteme“. Daneben umfasst die ESG-Regulierung noch Ziele im Bereich Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance), zu denen ebenfalls noch Detailvorschriften fehlen.

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