Sanktionen gegen Russland: Eine Blaupause gibt es nicht

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Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine in Köln

Der Krieg in der Ukraine hat zum Erlass einer Vielzahl neuer Sanktionen gegen Russland geführt. Völkerrechtlich sind Sanktionen eine anerkannte Möglichkeit, Druck auf ansonsten unabhängige Staaten auszuüben. Gerade für den Versicherungssektor haben sie aber immense Auswirkungen, weil dieser über unterschiedliche Wege betroffen sein kann. Gastbeitrag von Rechtsanwalt Udo Pickartz

Was sind Sanktionen überhaupt? Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen hat eine Legaldefinition des Begriffs Sanktionen erarbeitet. Sanktionen sind danach Maßnahmen, die auf eine Völkerrechtsverletzung eines einzelnen Staates reagieren und darauf gerichtet sind, diesen mittels Zufügung von (rechtlichen) Nachteilen zur Einstellung seines völkerrechtswidrigen Verhaltens zu bewegen. Die Maßnahmen müssen von einer internationalen Organisation (zum Beispiel dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen) getragen sein, also auf einer kollektiven Entscheidung basieren.

Hiervon abzugrenzen ist der Sanktionsbegriff im Sinne der unilateralen Rechtsdurchsetzung, die häufig auch als Gegenmaßnahme bezeichnet wird. Gegenmaßnahmen haben den Zweck, einen Staat zu einem bestimmten Verhalten, in der Regel zur Einhaltung von völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen. Dabei setzen sie nicht zwingend einen vorherigen Rechtsbruch des sanktionierten Staates voraus. Im politischen sowie im allgemeinen Sprachgebrauch werden sowohl unilaterale als auch kollektive Maßnahmen als Sanktionen bezeichnet. Ob das sanktionierende Verhalten auf einem kollektivem Beschluss beruht ist unerheblich. Ebenso wenig wird danach unterschieden, ob das sanktionsauslösende Verhalten völkerrechtswidrig war.

Der (extensive) Begriff der Sanktion umfasst unterschiedliche Maßnahmen, so etwa Wirtschaftssanktionen (zum Beispiel Handelsembargos und Strafzölle), diplomatische Sanktionen wie der Abbruch diplomatischer Beziehungen und die Ausweisung von Diplomaten und Diplomatinnen, Repressalien und Zwangsmittel bis hin zu militärischen Gegenmaßnahmen.

Sanktionen können sich als Globalsanktionen gegen den Zielstaat selbst oder als Individualsanktionen gegen einzelne Staatsangehörige (von den USA gern SDN oder Special Designated National genannt) richten. Personenbezogene Individualsanktionen sind zum Beispiel individuelle Einreiseverbote oder das Einfrieren von Vermögenswerten bestimmter (natürlicher oder juristischer) Personen. Diese selektiven Sanktionen werden oft auch als „smart“ oder „targeted sanctions“ bezeichnet.

Den Krieg in der Ukraine sieht die international Staatengemeinschaft als völkerrechtswidriges Verhalten Russlands und die sanktionserlassenen Stellen der EU, des Vereinigten Königreichs und der USA, aber auch sonst neutrale Staaten wie die Schweiz haben entsprechende Sanktionen erlassen. Worin bestehen nun die Herausforderungen für Versicherer?

Udo Pickartz (Foto: Simmons & Simmons)

Unterschiede in den Sanktionen der einzelnen Länder: Nehmen wir internationale Versicherungsprogramme, wie sie zum Beispiel für Luftfahrt oder Transportrisiken abgeschlossen werden. Diese werden häufig von verschiedenen Versicherern in Mitversicherung gezeichnet und zum Beispiel auch im Londoner Markt platziert. Rückversichert werden die Policen dann oft durch Rückversicherer in der EU oder der Schweiz. Alle Sanktionsregimes der jeweiligen Länder, in denen die Versicherer aufsichtsrechtlich zugelassen sind, wären dann parallel zu beachten. Bei Unstimmigkeiten oder Abweichungen der einzelnen Regelungen muss entschieden werden, ob die hoffentlich in den Verträgen vorhandene Sanktionsklausel alle Fälle abdeckt und ob man „auf Nummer sicher“ geht und in jedem Fall die weitesten Sanktionen beachtet (was zu Unstimmigkeiten zwischen den Mitversicherern und Unklarheiten für die Versicherungsnehmer führen kann).

Konsequenzen beim Erscheinen einzelner handelnder Personen auf der Sanktionsliste: Sofern zum Beispiel nur ein Minderheitseigentümer sanktioniert wird, rechtfertigt dies ein Vorgehen gegen das gesamte Unternehmen? Was sagt der Risikoappetit des einzelnen Unternehmens – auch im Hinblick auf eventuelle Reputationsschäden, selbst wenn die Weiterführung von Geschäft per se nicht sanktioniert/ verboten wäre?

Welche Maßnahmen soll ein Versicherer bei Bestehen von Sanktionen umsetzen? Können bestehende vertragliche Verpflichtungen noch erfüllt werden oder sollte/muss ein bestehender Versicherungsvertrag umgehend gekündigt oder beendet werden? Diese Fragen müssen im Einzelfall analysiert und entschieden werden. In den meisten Fällen gibt es keine staatlichen oder behördlichen Vorgaben. Im Falle der Sanktionen aus März 2022 hat zum Beispiel Großbritannien für Versicherer eine Lizenz eingeführt, die man für Geschäft, welches bis zum 8. März 2022 abgeschlossen wurde, beantragen konnte. Gleichzeitig mussten aber alle Versicherungsaktivitäten bis spätestens 28. März beendet sein. Solche klare zeitliche Vorgaben gibt es nicht häufig.

Können Schadenzahlungen für vormals abgeschlossenen Verträge oder auch für vor den Sanktionen eingetretene Schäden noch geleistet werden? Und darf man gegebenenfalls Zahlungen, die in US-Dollar nicht mehr möglich sind, in anderer Währung leisten? Zahlungen nach Russland fallen direkt oder indirekt unter Sanktionen und können rechtlich problematisch sein. Im Falle von Zahlungen in US-Dollar sind diese „technisch“ sogar unmöglich, da durch die Verwendung der US-Währung der sogenannte US-Nexus greift und US- bzw. OFAC-Sanktionen gelten. Solche Zahlungen müssen zwingend von Clearingstellen von US-Banken freigegeben werden, selbst wenn an sich eine US-Bank am Überweisungsprozess beteiligt ist. Dieses Clearing wird verweigert – das Geld steckt fest. Ein Wechsel der Währung für eine solche Transaktion ist dennoch nicht empfehlenswert, da es sich um einen Umgehungstatbestand handeln könnte und die ausführenden Personen bzw. Unternehmen damit gegen Sanktionen verstoßen könnten.

Gibt es Übergangsfristen? Entgegen früherer Sanktionen (zum Beispiel im Falle von Venezuela) sind die Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine unmittelbar in Kraft getreten. Eine Ausnahme galt in Großbritannien (siehe oben).

Wie geht man mit dem Klagerisiko um, welches aus der vorzeitigen Beendigung oder dem Nichtzahlen von Schäden unter zuvor rechtmäßig eingegangenen Versicherungsverträgen entsteht? Dieses wird sich nicht gänzlich vermeiden lassen, obwohl es von vielen Faktoren abhängt. Gibt es eine Sanktionsklausel? Umfasst diese alle anwendbaren Sanktionen? Gibt es andere Klauseln, die eine Einstandspflicht des Versicherers beeinflussen – Kriegsklauseln oder aufgrund der erwarteten Hackerangriffe auch Cyberklauseln? Ob die Klauseln einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall standhalten, ist schwer zu sagen. Ferner darf man die Besonderheit der derzeitigen Situation nicht verkennen – so haben Russische Airlines zahlreiche Flugzeuge geleast. Wenn diese Flugzeuge verstaatlicht werden, kommt es zu diversen Fragen, die Luftfahrtunternehmen, Banken, Fondsgesellschaften und Investoren gleichermaßen beschäftigen werden. Und da der Versicherungsschutz nicht nur der Flugzeuge, sondern auch der Finanzierung international abgewickelt wurde, ist davon auszugehen, dass wiederum verschiedene Versicherungs- und Rückversicherungsmärkte und die entsprechenden Sanktionen betroffen sein werden. Und in diesem Beispiel allein geht es laut Branchenangaben um circa zehn Milliarden US-Dollar – Klagen sind da fast programmiert. Außerdem kommt es derzeit zu Änderungen der Bedingungen und Versicherer vereinbaren lokale Ausschlüsse, was wiederum zu Klagen von Versicherungsnehmern führen kann.

Eine Blaupause für den sicheren Umgang mit Sanktionen gibt es nicht. Es gibt stattdessen viel Dokumentations- und Beratungsbedarf. Im Zweifel bedeutet die Wahl zwischen Sanktionen und eventuell bestehenden vertraglichen Verpflichtungen, dass Rechtsstreitigkeiten unvermeidbar sind. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Autor Udo Pickartz ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro von Simmons & Simmons und spezialisiert auf Versicherungs- und Compliance-Fragen. Er ist Dozent an der Deutschen Versicherungs Akademie (DVA).

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