Garantiezins von 0,25 Prozent: Aktuare fordern „neuen Blick auf den Begriff der Garantien“

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Dr. Herbert Schneidemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung und Vorstandsvorsitzender der Versicherungsgruppe Die Bayerische

Zum 1. Januar 2022 wird der Höchstrechnungszins von 0,9 auf 0,25 Prozent gesenkt. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) möchte den Zinsatz "einfrieren" und empfiehlt bereits jetzt, das Niveau auch für 2023 auf unverändert beizubehalten. Zugleich fordern die Versicherungsmathematiker von der kommenden Bundesregierung eine schnellstmögliche Abkehr von der Beitragsgarantie in der bAV oder der Riester-Rente.

„Nicht zuletzt in Anbetracht der wirtschaftlichen Unsicherheiten durch die Coronapandemie sehen wir derzeit keine Anzeichen für eine spürbare Erholung der Zinsen in naher Zukunft“, begründet der DAV-Vorstandsvorsitzende Dr. Herbert Schneidemann die Empfehlung. Zudem sei es noch zu früh, die langfristige Entwicklung der Inflation und die potenziellen Reaktionen der Europäischen Zentralbank zu prognostizieren. „Mit dieser Empfehlung wollen wir Planungssicherheit für die deutsche Altersvorsorge in äußerst unsicheren Zeiten schaffen“, so Schneidemann weiter.

Mit Blick auf die baldige Senkung des Höchstrechnungszinses zum Jahreswechsel appelliert die DAV erneut eindringlich an die sich gerade findende Bundesregierung, die Garantieanforderungen für staatlich geförderte Vorsorgeprodukte schnell neu zu definieren.

Sinnvolle Garantien lägen deutlich unterhalb des Beitragserhalts, damit die Versichertenbeiträge nicht vollständig zur Absicherung der Garantien eingesetzt werden müssten und unter Rendite-Risiko-Gesichtspunkten ein bestmöglicher Ertrag erreicht werde.

Garantien treten in den Hintergrund

Zudem spricht sich die DAV für einen grundsätzlich neuen Blick auf den Begriff der Garantien aus. Diese wurden bislang häufig als Mindestrendite verstanden. Angesichts der anhaltenden Nullzinsphase halten die Aktuare diese Betrachtung aber nicht mehr für zeitgemäß.

„Vielmehr sind Garantien heutzutage das Sicherheitsnetz für den Fall sehr schlechter Kapitalmarktentwicklungen“, sagt Schneidemann. Um dem Wunsch der Kundinnen und Kunden nach Sicherheit gerecht zu werden und gleichzeitig Renditechancen nicht zu verbauen, dürfe das Garantieniveau aus aktuarieller Sicht nicht zu hoch sein.

Wie hoch das Garantieniveau künftig sein sollte, dazu wollte sich die DAV gegenüber Cash. auch auf Nachfrage nicht festlegen. „Als DAV haben wir eine Bandbreite von möglichen Prozentsätzen für ein neues Garantieniveau abgeleitet, mit denen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine positive Realverzinsung erreicht werden kann. Wir legen uns hier aber nicht fest, sondern sehen den Bedarf, den vollständigen Beitragserhalt abzuschaffen. Die konkrete Ausgestaltung muss jedes Unternehmen für sich selbst festlegen“, sagt Erik Staschöftsky, Kommunikationsreferent der DAV gegenüber Cash. Online.

Deutlicher wird hingegen Michael Staffe, Akutar beim Institut für Vorsorge und Finanzplanung. „Aktuell lassen sich vernünftige Renditen in der Regel nur mit Aktieninvestments erzielen. Deshalb hier das Credo: Je höher der Aktienanteil, desto besser. Insbesondere bei langen Laufzeiten kann vollständig auf Garantien verzichtet werden. Durch eine breite Diversifikation des Aktienportfolios und langen Laufzeiten lassen sich die Risiken minimieren. Eine Vergangenheitsbetrachtung zeigt auf, dass zum Beispiel bei einer Investition in ein weltweites Aktienportfolio bei einem Anlagehorizont von mehr als 15 Jahren immer positive Renditen erzielt wurden.“

Sichheitskomponenten in der Altersvorsorge nur bedingt geeignet

Dementsprechend eigneten sich Sicherheitskomponenten in Fondspolicen nur bedingt, will man eine angemessene Rendite erzielen, so Staffe. „Bei kurzen Laufzeiten beziehungsweise sehr risikoaversen Kunden können Garantien Sinn machen. Bereits heute lassen sich 100 Prozent der Beiträge nur noch in sehr wenigen Produkten absichern. In der Regel bieten Versicherer aktuell meist nur ein Maximum von 80 Prozent an.“

Die Rechnungszinssenkung zum Jahreswechsel werde den Wechsel weg von der 100-prozentigen Beitragsgarantie nochmals beschleunigen. Aufgrund der immer länger werden Rentenphase – oftmals über 20 Jahre – sollte Anleger oder Vorsorgesparer darüber nachdenken, ob auch in der Auszahlphase ein gewisses Aktieninvestment Sinn machen kann. Hier gebe es inzwischen einige Versicherer am Markt, die eine so genannte fondsgebundene Rentenphase anböten, sagt Staffe.

Grundsätzlicher Systemwechsel in der Altersvorsorg

Vor dem Hintergrund der Garantiezinssenkung geht Thomas Heß, Marketingchef und Organisationsdirektor WWK Versicherungen, von einem grundsätzlichen Systemwechsel bei der Altersvorsorge aus.

„Garantien treten in den Hintergrund, höhere Renditechancen in den Vordergrund. Damit verbunden sind vielfach auch höhere Anlagerisiken, die aber bei langfristiger Betrachtung beherrschbar erscheinen. Da Altersvorsorge ein langfristiger Prozess sein sollte, kann eine chancenorientierte Strategie durchaus bedarfsgerecht sein“, sagt Heß.

Bei Fondspolicen hingegen könnten Kunden durch den Einschluss von Investmentfonds sehr hohe Aktienquoten realisieren. Die WWK habe aufgrund ihrer nun 50-jährigen Expertise eine große Anzahl von bereits sehr lange laufenden, real existierenden Kundenverträgen im Bestand, so Heß.

Eine Analyse dieser Verträge von Fondspolicen ohne Garantien zeige anschaulich, dass Renditeverläufe von sieben bis acht Prozent pro Jahr eher die Regel und keine Seltenheit sind – sogar nach Abzug aller Kosten. „Damit waren Aktien-Investments per Fondspolice insbesondere im Niedrigzinsumfeld und bei langfristigem Anlagehorizont das deutlich überlegene Produkt im Vergleich zu einer klassischen Lebensversicherung“, sagt Heß.

Zügige Reformen von Riester und bAV gefordert

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßt jedenfalls die Aussagen der Mathematiker. Und fordert ebenfalls eine zügige Reform der geförderten privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Die Empfehlung der DAV sei vor dem Hintergrund anhaltend niedriger Zinsen und der Unsicherheiten durch die Corona-Krise folgerichtig, betont Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV.

„Die neue Bundesregierung sollte die Flexibilisierung der bislang gesetzlich geforderten vollständigen Beitragsgarantie schnell angehen. Anderenfalls drohen auch bei der Altersvorsorge über den Betrieb Angebotslücken, da Arbeitgeber kaum noch Beitragszusagen mit Mindestleistung gewähren könnten. Diese werden vor allem von mittelständischen und kleineren Unternehmen genutzt“, sagt Asmussen.

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