„Nachhaltige Entwicklung wichtiger denn je“

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Dr. Reiner Will

Wenn man denn der Corona-Pandemie etwas Gutes abgewinnen will, so ist es, dass die Sensibilität für die Eigenverantwortlichkeit beim Thema Gesundheit zunimmt. Damit einher gehen ein wachsendes Interesse und eine höhere Wahrnehmung aller Themen, die mit dem Begriff Nachhaltigkeit in Verbindung stehen. Gerade für Versicherer birgt die ökonomische, ökologische und soziale Ausrichtung enorme Chancen, weil Image und Marke gleichermaßen profitieren. Ein Kommentar von Dr. Reiner Will, Geschäftsführer Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH, Köln.

Seit dem Frühjahr 2020 bestimmt kein anderes Thema die Medien und Schlagzeilen so sehr wie das Coronavirus. Dabei gibt es Risiken, deren globale Auswirkungen noch gravierender sind. Beispielsweise heißt es in einem Bericht der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), dass die globale Erwärmung eine größere Bedrohung sei als das neuartige Coronavirus. Da es für den Klimawandel keinen Impfstoff gibt, fordert das IFRC die internationale Gemeinschaft auf, mit derselben Dringlichkeit auf die Klimakrise zu reagieren wie auf die Corona-Pandemie.

Wenn man denn der Corona-Pandemie etwas Gutes abgewinnen will, so ist es, dass die Sensibilität für die Eigenverantwortlichkeit beim Thema Gesundheit zunimmt. Damit einher gehen ein wachsendes Interesse und eine höhere Wahrnehmung aller Themen, die mit dem Begriff Nachhaltigkeit in Verbindung stehen. Die Bundesregierung betont auf ihrer Internetseite, dass gerade wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie die Umsetzung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele und der Agenda 2030 wichtiger denn je seien. Eine zentrale Rolle kommt dabei auch den Finanzmarkt-Akteuren zu. Der Sustainable-Finance-Ansatz der EU sieht vor, dass der Finanzmarkt anhand in Brüssel festgelegter Kriterien selbst auf die Unternehmen einwirkt, damit diese nachhaltig investieren. Zusätzlicher Druck entsteht über regulatorische Vorgaben, zum Beispiel in Form von Informationspflichten wie sie die EU-Offenlegungsverordnung vorsieht.

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Investmentprozess trägt dazu bei, dass Unternehmen ganzheitlicher betrachtet werden und letztlich auch das Investmentrisiko gesenkt wird. Ging es früher vor allem um Umsatzerlöse, Profitabilität und Shareholder-Value-Bewertung, kommen nun vielfältige nachhaltige Gesichtspunkte hinzu. Im Umweltbereich betrifft dies unter anderem den Ressourcenverbrauch oder die Art der Produktverpackung. Im sozialen Bereich geht es beispielsweise um Arbeitsbedingungen und Lieferketten. Ebenso vielschichtig ist der Bereich Governance bzw. eine gute Unternehmensführung im Hinblick auf z. B. Geschäftsethik, Risiko- und Reputationsmanagement oder Maßnahmen gegen Korruption. Bezieht man all diese Punkte in seine Investmententscheidung ein, entsteht ein deutlich umfassenderes Bild des Unternehmens. Nachhaltige Investments haben deshalb längst ihr Nischendasein verlassen und spielen sowohl bei institutionellen Investoren als auch bei privaten Anlegern eine immer wichtigere Rolle. Versicherer gehören zu den größten institutionellen Investoren, wobei sie vornehmlich Kundengelder vor allem kollektiv aber auch kundenindividuell anlegen. Damit tragen sie gegenüber Dritten eine besondere Verantwortung bei ihren Investments und bei der Berücksichtigungen von deren Anlagewünschen und -anforderungen.

Aber auch das Kerngeschäft in Form des Risikotransfers hat einen wesentlichen Einfluss auf Nachhaltigkeitsaspekte oder wird durch diese beeinflusst. Die Zunahme an Elementarschadenereignissen und deren Versicherbarkeit ist hier nur ein Beispiel. Zudem rücken Versicherer insgesamt als große Wirtschaftakteure mit ihren ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Fußabdrücken in den Nachhaltigkeitsblickwinkel der Öffentlichkeit. Dies deckt sich mit der am 22.01.2021 veröffentlichten Nachhaltigkeitspositionierung des GDV. Darin werden konkrete Ziele formuliert, die das gesamte Geschäftsmodell umfassen und deren Umsetzung dazu dienen soll, den spezifischen gesellschaftlichen Beitrag der Versicherer sichtbar zu machen.

Ähnlich wie Digitalisierung ist der Begriff Nachhaltigkeit jedoch zunächst einmal nur ein Schlagwort. Es liegt in dessen Wesen, dass die damit beschriebenen Sachverhalte oft (auf zweifelhafte Weise) zu Lasten der vermittelten Information bzw. Inhalte verknappt und vereinfacht mitgeteilt und wahrgenommen werden. Eine einheitliche Taxonomie, anhand derer Nachhaltigkeit gemessen werden könnte, existiert noch nicht.

Wenn es für Experten schon anspruchsvoll ist, das Thema Nachhaltigkeit zu umschreiben, stellt sich die Frage, wie Kunden dies sehen und welchen Stellenwert sie dem Thema einräumen. Dazu haben wir im Dezember 2020 Kunden von Versicherungsunternehmen befragt. 1.944 Kundenmeinungen sind in die Untersuchung eingeflossen. Konkret ging es unter anderem um die Frage:

Die Befragten haben überwiegend eine klare oder sehr klare Vorstellung von dem, was sie mit dem Begriff Nachhaltigkeit verbinden. Über 75 Prozent der Antworten fallen auf diese beiden Kategorien. Das spiegelt sich dann auch in der Bedeutung des Themas im Hinblick auf die persönliche Lebensweise wider. Knapp 70 Prozent geben an, dass ihnen Nachhaltigkeit hier wichtig oder sehr wichtig ist. Grundsätzlich lässt sich daraus die hohe persönliche Bedeutung des Themas ableiten.

Zwangsläufig muss diese persönliche Bedeutung nicht im gleichen Umfang auf das Thema Versicherungen zutreffen. Deshalb haben wir explizit danach gefragt:

Auch hier, wenn auch auf niedrigerem Niveau, überwiegt der Anteil der Kunden, denen die Nachhaltigkeit von Versicherungen wichtig oder sehr wichtig ist. Dabei weichen die Extremwerte deutlich voneinander ab. Nur etwa jedem zwanzigsten Kunden ist die Nachhaltigkeit bei Versicherungen unwichtig. Für rund ein Viertel ist sie hingegen sehr wichtig. 

In der Marktforschung und im Marketing ist bekannt, dass Einstellungen nicht zwingend auch zu (Kauf-)Handlungen führen. Diese werden durch verschiedene Faktoren, zum Beispiel. Konsumnormen, Kaufsituation oder persönliche Kaufkraft, beeinflusst. Einstellungen kommen vor allem dann zum Tragen, wenn das Involvement stark ist. Hier liefert folgende Frage zur Zahlungsbereitschaft weiteren Aufschluss:

(Nur) rund einem Viertel der Befragten ist das Thema Nachhaltigkeit so wichtig, dass es dafür auch einen höheren Preis oder eine niedrige Rendite bei einem Versicherungsprodukt akzeptieren würde. Angesichts der grundsätzlich sehr positiven Einstellung zum Thema Nachhaltigkeit mag dieses Ergebnis im ersten Moment verwundern Darin dürfte sich aber ein gutes Stück soziale Erwartung und Normen spiegeln — Stichwort: „soziale Erwünschtheit“. Allerdings lässt sich das Ergebnis auch ins Gegenteil drehen, zeigt sich hier doch eine nicht unerheblich große Klientel, die ein sehr hohes Involvement aufweist. Zudem sind Attribute der Nachhaltigkeit auf Produktebene, unter dem Vorbehalt das Unternehmen betreibt kein Greenwashing, keinesfalls nachteilig.

Dies wird auch durch das Informationsinteresse der Kunden vor Abschluss einer Versicherung bestätigt. Gut die Hälfte der Kunden gibt an, hier mehr Beratung zur Nachhaltigkeit der Versicherungsgesellschaft zu wünschen. Nachhaltigkeit bietet somit auch Chancen für das Markenmanagement von Versicherungen.

Autor: Dr. Reiner Will, Geschäftsführer Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH

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