Neues Standing für Insurtechs

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Nils Mahlow, Claimsforce

Ein Zurück zur analogen Form wird es in der Post-Corona-Zeit nicht geben. Wer ist also ein Gewinner der Pandemie und warum? Gastbeitrag von Nils Mahlow, Claimsforce

Wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass digitales Arbeiten uns handlungsfähig macht. Dieser Erkenntnisgewinn hat die Big Player der Versicherungsbranche ins Nachdenken gebracht. Digitale Lösungen sind keine punktuell sinnvolle Ergänzung und nach einem Jahr Corona auch keine Übergangslösung mehr, sondern die Zukunft. Die Arbeitswelt ist im Wandel und es stehen Veränderungen bevor. Ein Zurück zur analogen Form wird es in der Post-Corona-Zeit nicht geben. Denn Mitarbeiterinnen und Kunden möchten auf einmal erlebte Vorteile nicht verzichten. Zudem ist die digitale Revolution ein Muss für eine Industrienation wie Deutschland. Wer ist also ein Gewinner der Pandemie und warum?

Es ist nicht so, dass die deutsche Wirtschaft sich gänzlich vor Neuerungen versperrt hätte, aber bis vor einiger Zeit waren Termine für Start-ups aus der Fin- und Insurtech-Szene mit Vorständen großer Unternehmen schwer zu bekommen. Die Entwicklungen und Produkte wurden interessiert zur Kenntnis genommen, aber nicht mit hoher Priorität eingestuft. Es fehlte schlichtweg die Notwendigkeit für schnelle Veränderungen. Diese Resonanz ließ die Szene in zwei Richtungen auseinandergehen: Einerseits die Software-as-a-Service (SaaS)-Start-ups, die Unterstützer bei der Transformation sein wollen und andererseits Insurtechs, die als digitaler Versicherungsanbieter „vollwertiger“ Wettbewerber oder zumindest Nischenanbieter sein wollen. Nachdem die digitale Assekuranz in der Vergangenheit nur schwer ins Rollen kam, haben die digitalen Geschäftsmodelle durch die Pandemie mehr Gehör gefunden und erhalten nun schneller Termine bei Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern.

Der Faktor Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein wesentliches Element bei Veränderungen. Neue Prozesse, eine neue Ausrichtung oder auch ein neues Tool werden erst dann angenommen, wenn die Belegschaft überzeugt ist. Die digitale Transformation war lange ein rotes Tuch bei Angestellten und Betriebsräten, da sie als virtueller Rotstift angesehen wurde. Künstliche Intelligenz, Vereinfachung, Effizienzsteigerung sind Worte, die missinterpretiert und eher dem Bereich der Rationalisierung zugeordnet wurden. Wo normalerweise viel Überzeugungsarbeit nötig gewesen wäre, verhalf der Lockdown den Insurtechs in den Sattel. Die Vorteile der digitalen Arbeitsweise konnte jeder am eigenen Leib und innerhalb der eigenen vier Wände spüren. Die Aversionen gegen Software und Tools sind weitgehend abgebaut. Stattdessen sind Erleichterungen und Effizienzgewinne für die Versicherung und die Nutzerinnen und Nutzer spürbar geworden. Der Wandel von innen ist in vollem Gange, da die Insurtechs mit Ihren Lösungen die Versicherungskonzerne handlungsfähig in der Corona-Pandemie gemacht haben.

In einer aktuellen Umfrage wurden Bürgerinnen und Bürger gefragt, was sie nach der Pandemie tun und lassen wollen. 62 Prozent antworteten, dass sie sich lieber freundlich grüßen wollen, anstatt die Hände zu schütteln. 35 Prozent wollen weiterhin Mund-Nasen-Schutz in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln tragen. Das sind Aussagen, die zeigen, dass die Gesellschaft im Wandel und bereit für Veränderung ist. Dieser Mut zur veränderten Handhabung beruht auf (positiven) Erfahrungen und geht über alle Altersgruppen hinweg. So sind digitale Angebote und das Management von sensiblen Finanz- und Versicherungsthemen kein Tabu-Thema mehr. Vielmehr sind der Service und das Angebot im Fokus. Die Kunden sind digital-affiner geworden und werden zukünftig den Takt vorgeben und ihre Ansprüche an die Dienstleister werden steigen. Dabei geht es nicht nur um digitale Kontaktpunkte, sondern in erster Linie um Service. Die Kundenzufriedenheit ist ein entscheidendes Gut und sollte bei Versicherern über allem stehen.

Es bedarf der Kooperation zwischen Versicherern und Insurtechs

Die Insurtechs haben alle relevanten Faktoren für die Zukunft auf ihrer Seite und können Antworten geben. In der ersten Phase der Pandemie ging es primär um den Aufbau und einen schnellen Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Durch SaaS-Technologien ist dies problemlos möglich gewesen. Eine schnelle Integration in die bestehende Systemlandschaft sorgt für hohe Flexibilität und Geschwindigkeit, welche vielfach von klassischen Versicherern nicht mehr geleistet werden kann. Der Fokus liegt auf der Prozessoptimierung und hilft aufzuräumen und verborgenes Potenzial sichtbar zu machen. Die volle Leistungsfähigkeit von digitalen Tools wird sich aber erst mit der Nutzbarmachung der Daten voll entfalten. Diesbezüglich kratzen heutige Anwendungen meist nur an der Oberfläche. Die Transformation ist eine fortlaufende Entwicklung, und sie gewinnt ihr volles Potenzial erst durch die Nutzung der Daten. Dazu bedarf es der Kooperation zwischen den Versicherern, die Daten generieren, und Insurtechs, die sie sichtbar machen, analysieren und deren echten Wert nutzbar machen.

Die Vorteile einer effizienten Arbeitsweise und wie diese die Kundenzufriedenheit positiv beeinflussen kann, sieht man in der Schadenabwicklung im Sach- und Haftpflichtbereich. Dort wird zwischen Regulierer- und Desktop-Schäden unterschieden. Ab einer Schadensumme von circa 2.000 Euro ist ein Regulierer notwendig, um den Fall abzuwickeln. Versicherungen geben diese Schäden an eigene Regulierer und externe Regulierungsorganisationen, deren Einsatz koordiniert werden muss. Dadurch sind in einem Leitungswasserschaden beispielsweise mindestens drei Parteien in das Schadenmanagement involviert. Rund 20 Prozent aller Schäden entfallen auf Regulierer-Schäden, stehen aber zugleich für rund 70 bis 80 Prozent der kumulierten Schadenzahlungen. Erst nach der Begutachtung und auf Basis eines Berichts können die nächsten Schritte zur Behebung des Schadens von den Versicherungen eingeleitet werden. Die Regulierer sind bei diesen Schäden das Bindeglied zwischen Kunde und Versicherung.

In genau diesem Feld liegt ein ungeheures Potenzial. Durch KI-Unterstützung können Fahrtrouten effizienter geplant und schneller Termine vergeben werden. Die Erfassung in einer einheitlichen Software erlaubt eine direkte Erstellung des Schadenberichts während der Aufnahme und erspart so Nacharbeiten. Zudem können die kalkulierten Preise und Aufwände für die Behebung des Schadens, besser abgeglichen werden und beruhen auf validen Erfahrungsdaten. Geeignete Schnittstellen und funktionale Übergänge zwischen den Systemen der Regulierer und der Versicherer runden die Lösung ab. Das langfristige Potenzial zur Optimierung besteht aber in der Nutzung der Schaden- und Regulierungsdaten. Wer diesen Schatz erschließt, kann weitere erhebliche Qualitäts- und Effizienzgewinne erreichen.

Wo Gewinner sind, müssen aber auch Verlierer sein

Die Frage nach den Gewinnern der Digitalisierung lässt sich nach dem Blick auf die Entwicklungen in allen Bereichen relativ schnell beantworten. Die Insurtechs haben im Jahr 2020 einen riesigen Schub bekommen und konnten im Ernstfall glänzen. Dass die Technologie einsatzbereit und sofort verfügbar war, hat der gesamten Branche geholfen. Viele SaaS-Unternehmen, die auf Kooperationen setzen, haben bewiesen, dass sie eine sehr hohe Qualität und Professionalität liefern. Dennoch wird die Digitalisierung nicht kurzfristig vollends umgesetzt werden. Eine schrittweise und kontinuierliche Transformation der Bereiche wird die Zukunft der Branche weiterhin prägen.

Bleibt die Frage, wie sich die volldigital agierenden Insurtechs schlagen, von denen manche inzwischen eine signifikante Größe erreicht haben. Große Investoren gehen hier massive Wetten auf mögliche IPOs einzelner Unternehmen, die zur ernst zu nehmenden Konkurrenz für traditionelle etablierte Versicherer werden.

Wo Gewinner sind, müssen aber auch Verlierer sein. Diese wären nach der oberflächlichen Betrachtung die etablierten Versicherungen. Doch viele Versicherer haben die richtigen Schlüsse aus der Pandemie gezogen und reagiert. Die vermeintlichen Fehler der Vergangenheit wurden korrigiert und man hat sich kompetente und fachliche Unterstützung geholt. Die Insurtechs finden Gehör und kooperieren für eine bessere Zukunft der Branche. Die moderne Technologie, gepaart mit der langen Erfahrung der Branche, ist eine ideale Mischung. Was den einen fehlt, kompensiert der andere und so gehen die Insurtechs, die als Unterstützer agieren, definitiv als Sieger hervor. Das verdanken Sie aber nicht ihrer rein digitalen Vorgehensweise, welche lediglich der Stein des Anstoßes gewesen ist. Fachlichkeit, das Verständnis der Branche und die Hartnäckigkeit sind ebenso Faktoren des Erfolgs.

Autor Nils Mahlow ist Gründer und CEO von Claimsforce.

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