Ottonova-Vorstand Jesko Kannenberg im Exklusivinterview: „Für den Arbeitgeber ist die bKV ein Loyalitätsprogramm“

Foto: Ottonova
Jesko Kannenberg ist Vertriebs- und Marketingvorstand bei Ottonova

Die bKV ist der Wachstumssektor in der privaten Krankenversicherung. Bislang dominieren große, alteingesessene private Krankenversicherer den Markt für die betriebliche Krankenversicherung. Nun wagt sich mit Ottonova als digitaler Krankenversicherer auf das herausfordernde Terrain und lanciert pünktlich zur DKM einen bKV-Tarif am Markt. Cash. sprach mit Ottonova-Vertriebsvorstand Jesko David Kannenberg über den neuen Tarif, die Zielgruppen, den Wettbewerb und die Zukunftsperspektiven in einem komplexen Markt.

Herr Kannenberg, wir hören immer wieder, dass mit der Corona-Pandemie das Bewusstsein für die eigene Gesundheit deutlich gestiegen ist. Ist das auch bei Ottonova angekommen?

Kannenberg: Absolut. Wir können das bestätigen, dass es eine deutliche Nachfrage nach Gesundheitsthemen und Gesundheitsversicherungen gibt. Wir haben einen großen Contentbereich, wo wir Interessenten und Kundinnen und Kunden Fachwissen zur Verfügung stellen. Die Zugriffe dort haben deutlich zugenommen, seit wir Corona haben.

Und wie zufrieden sind Sie bislang mit dem Geschäftsjahr 2022? Wer sind bei Ihnen die Wachstumstreiber: Die Voll- oder die Zusatzversicherungen?

Kannenberg: In bin sehr zufrieden. Ein Unternehmen, das so jung ist, wächst zwangsläufig, wenn es nicht auf dem Holzweg ist. Und wir sind absolut nicht auf dem Holzweg. Wir wachsen in der Voll- und auch der Zusatzversicherung. Wir haben im vergangenen und diesem Jahr die Studenten- und die Beamtentarife neu auf den Markt gebracht. Und diese beiden Segmente wachsen noch einmal stärker als die anderen. Zu den Zahlen möchte ich aber nichts sagen, denn die veröffentlichen wir immer in den Geschäftsberichten.

Das Wachstum in der PKV findet zunehmend über die bKV statt. Die Wachstumsraten liegen im zweistelligen teils sogar dreistelligen Prozentbereich. Nun kommen Sie mit einem bKV-Tarif auf den Markt? Warum erst so spät?

Kannenberg: Spät ist es für uns nicht. Tatsächlich haben wir in den vergangenen drei Jahren eine zweistellige Anzahl von neuen Krankenversicherungstarifen auf den Markt gebracht. Kein anderer Krankenversicherer hat so viele neue Tarife gelauncht. Wir haben seit vier Jahren einen Claim, den wir sehr ernst nehmen. „Reduced to the best“. Heißt, wir fokussieren uns auf das, was wir richtig gut können. Also das Brot- und Butter-Geschäft – die Zusatz- und die Krankenvollversicherung. Und das wollen wir perfekt machen. Das gilt insbesondere auch für die gesamte Interaktion mit dem Kunden. Gute Tarife sind kopierbar. Die AGBs kann jeder lesen. Das haben bereits einige gemacht, sowohl in der Beamten- wie der Krankenvollversicherung. Dass was uns komplett vom Markt unterscheidet, ist die Kundenerfahrung, wenn sie einen Tarif bei uns haben.

Ihre Frage war aber, warum wie die bKV erst so spät anbinden. Weil wir, um die bKV anzubinden, das gleiche Kundenerlebnis für den Arbeitgeber schaffen müssen. Bei der Entwicklung arbeiten wir seit über einem Jahr mit Xempus zusammen. Weil sie aus unserer Sicht die Customer Journey für Vermittler und Arbeitgeber genauso entwickelt haben, wie wir uns dies vorstellen. Das passt perfekt zusammen.

Wie sieht das bKV-Konzept aus?

Kannenberg: Wir fokussieren uns auf Budgettarife. Ich persönlich sehe diese Tarife als den Durchbruch in der bKV. Über 95 Prozent der Unternehmen haben keine bKV. Es ist für den Arbeitgeber und auch den Arbeitnehmer an der ein oder anderen Stelle kompliziert. Und auch die Tarife sind kompliziert. Zumindest wenn ich mit ganz vielen Bausteinen komme. Also braucht es eine One-Size-Fits-All-Lösung. Und das können die Budgettarife. Ich finde, mit dem Budgettarifen hat man ein Modell geschaffen, was für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer wirklich praktikabel ist.

Bei Crew Care können die Arbeitgeber aus fünf Budgetstufen auswählen. Die reichen von 300 Euro bis 1.500 Euro. Wir bieten innerhalb der Budgetstufen alle relevanten Themen an. Sehhilfen, Zahnbausteine, LASIK oder auch den Heilpraktiker. Da ist alles drin. Es gibt zudem noch ein paar Feinheiten, bei denen wir uns unterscheiden. Worauf wir Acht gegeben haben, ist, dass wir die bKV bereits ab fünf Mitarbeitern anbieten.

Zudem führt unser bKV-Konzept unser Konzept weiter, dass wir bereits in der normalen PKV nutzen: Wir sind auch Co-Branding- und White-Label-Anbieter. Das ist einer der größten USPs. Und wir können es sogar für kleine Arbeitgeber mit 50 bis 100 Mitarbeitern anbieten. Für den Arbeitgeber ist die bKV ein Loyalitätsprogramm. Und wenn ich Loyalität will, möchte ich ja nicht, dass auf der bKV Ottonova, Allianz oder Axa steht, sondern der Arbeitgeber genannt wird. Und das können wir.

Sie konkurrieren in dem Markt mit mindestens 15 Krankenversicherern: Große Gesellschaften wie Hallesche, APKV, SDK, Gothaer, Axa oder Ergo sind ja bereits seit mehreren Jahren der bKV unterwegs. Andererseits spielen Marke oder Name in der bKV hier weniger eine Rolle? Wie wollen Sie sich im Wettbewerb positionieren?

Kannenberg: Sie haben absolut recht. Die betriebliche Krankenversicherung ist kein besonderes Markenthema. Insofern ist das für uns eine sehr starke Chance. Hinzu kommt. Wenn 95 Prozent der Arbeitgeber noch keine bKV haben, stehen uns alle Zielgruppe offen. Von der Zielgruppe fokussieren wir uns auf technologisch affine und agile Unternehmen. Die Unternehmen, die wir als originäre Zielgruppe, sind ganz klar Firmen, die ein starkes Arbeitnehmerwachstum haben.

Was uns zudem unterscheidet ist das Co-Branding und White-Labelling-Konzept. Das ist für Arbeitgeber wie auch Vermittler spannend. Weil wir es für beide Seiten anbieten. Und auch für Versicherer, die keine bKV- oder Krankenversicherung anbieten, können wir es als White-Label-Co-Branding offerieren. Ein der allergrößten USPs ist aber, dass wir einer der ganz wenigen Anbieter sind, die im Bereich der Customer-Experience, was die App angeht. Die Ottonova-App mit ihren Funktionalitäten ist in Ihrer Form einzigartig, möchte ich behaupten. Meines Wissens hat das kein anderer Anbieter.

Es geht nicht nur darum, eine Rechnung einzureichen. Wir haben hier ein komplettes Dokumentenverwaltungssystem. Jede eingereichte Rechnung oder Unterlage, jedes Dokument kann ich über eine Suche wiederfinden. Es gibt eine Timeline mit der sich auslesen lässt, wann ich bei welchem Arzt war. Ich kann meine favorisierten Ärzte speichern. Ich kann Bezahlungen direkt aus der App auslösen. Es ist eine Funktionalität, die ich so im Markt nicht finde. Hinzu kommt. Der Arbeitgeber, der eine bKV anbietet, möchte vor allem keinen Aufwand. Er muss sich darauf verlassen, dass der Anbieter diese Schnittstelle mit seinem Kunden, dem Mitarbeiter, perfekt gestaltet.

Auf welche Unternehmen zielen Sie ab. Große oder eher kleine Firmen?

Kannenberg: Die Herausforderung ist, je größer ein Unternehmen, desto komplexer die Entscheidungsprozesse. Sie haben ab einer gewissen Größe einen Betriebsrat oder – wenn es noch größer wird – einen Inhouse-Broker. Je größer der Gouvernance- oder Compliance-Bereich, desto eher finden sie sich in Ausschreibungen wieder. Natürlich nehmen wir an Ausschreibungen mit großen und guten Inhouse-Brokern teil. Wir werden aber mit den klassischen KMU beginnen.

Nicht wenige Versicherer agieren in der bKV mit einem in Kompetenzcentern gebündelten Team. Wie geht Ottonava in der bVK-Betreuung vor?

Kannenberg: Wir haben einen direkten, zentralen bundesweitenweiten Ansprechpartner, also ein zentrales Team. Aktuell besteht es aus sieben Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen keine Vertreterbesuche in den Firmen, die versuchen, durch Upsellings oder Cross-Selling Zusatzgeschäfte generieren. Die Teams stehen in Vorbereitung dem Arbeitgeber als Ansprechpartner zur Verfügung. So begleiten wir den Arbeitgeber etwa bei Mitarbeiterversammlungen. Die bKV läuft bei uns ausschließlich zentral. Das ist meiner Meinung nach für viele Arbeitgeber ein sehr guter Prozess.

Was sind die USPs ihres Produktes? Wo sehen Sie sich mit ihrem neuen Tarif im Vorteil?

Kannenberg: In der volldigitalen Strecke. Von der Erstanbindung des Arbeitgebers bis zum Arbeitnehmer. Das ist sehr spezifisch für Ottonova. Wir sind der einzige Anbieter der digitale Gesundheitsthemen unterstützt. Dazu gehören kostenpflichtige Apps. Der Gesundheitsapp-Bereich wächst sehr stark. Und hier übernehmen wir Kosten bis zu 300 Euro, jedes Jahr aufs Neue. Laut unserem Research bietet das bislang kein anderer Anbieter. Chronische Erkrankungen wie Tinnitus, psychische Probleme oder Depressionen lassen sich über eine App wirklich gut begleitend mitbehandeln. Laut unseres Wissens haben wir mit bis zu 300 Euro auch die höchsten Kostenübernahmen bei den Sehhilfen. Wenn ein Mitarbeiter im Krankheitsfall bis zu zwölf Monate keine Lohnfortzahlung erhält oder auch bei Erziehungszeiten läuft der Vertrag beitragsfrei weiter.

Wo ordnet sich der Tarif preislich ein?

Kannenberg: Wir sehen uns als Preisführer in den Budgettarifen, wenn man Preis und Leistung vergleicht. Insofern wollen wir auch dort punkten. Dann aber auch mit wichtigen Themen, die inkludiert sind.

Digital ist die DNA von Ottonova: Wie digital ist der neue bKV-Tarif aufgebaut?

Kannenberg: Wahrscheinlich sind die PKVen in der bKV in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber am Digitalsten in dem Segment. Was dann aber wirklich schwerfällt, ist eine ebenso digitale Anbindung der Arbeitnehmer. Das ein Arbeitnehmer in einem bKV-Tarif mindestens das gleiche Kundenerlebnis hat wie ein PKV-Kunde im PKV-Tarif gelingt weniger gut. Das zeigt, dass Sondertarife doch deutlich schwieriger anzubinden sind im Front-End de meisten Anbieter. Unser Anspruch ist, vom ersten bis zum letzten Schritt digital herausragend zu sein.

Das Gros des Vertriebs macht nach wie vor einen Bogen um die bKV. Die Beratung ist teilweise sehr aufwändig. Wie wollen Sie es in die Breite bringen? Denn 95 Prozent des Marktes sind noch gar nicht erreicht. Sie sagten es gerade.

Kannenberg: Eigentlich ist es in der bKV nicht anders als in der PKV. Auch die PKV wird nur von einem Bruchteil der Vermittler aktiv beraten. Weil es ein kompliziertes Geschäftsfeld ist. Wenn ich darin richtig gut bin, kann ich nicht gleichzeitig der Gewerbeexperte sein und gleichzeitig der Baufinanzierungsexperte. Das können sich nur größere Organisationen leisten. Aber die, die solche Spezialisten haben, arbeiten in der Regel auch in der bKV. Wir haben uns in den vergangenen drei Jahren ein gutes Netzwerk aus Vermittlern aufgebaut, die genau in diesem PKV-Segment unterwegs sind und auch die bKV beraten. Das heißt, dass es für uns in unserer B2B-Strategie kein Bruch gibt. Das setzen wir auf den bekannten Pfaden auf.

Viele KMU-Unternehmen haben mit großen Unsicherheiten, einer massiven Inflation oder hohen Energiepreisen zu kämpfen. Wie lässt sich die bKV vor dem Hintergrund noch platzieren?

Kanneberg: Es wird immer dort die bKV zu platzieren sein, wo wir einen Arbeitnehmermarkt haben. Trotz Krisensituation haben wir Unternehmen, die händeringend versuchen, Mitarbeiter zu gewinnen. Das Zweite: Dort wo sie gutes Personal haben und trotz angespannter Lage nicht über Entlassungen nachdenken, müssen Sie sich Gedanken machen, wie man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behalten kann.

Krisensituationen sind aber immer nur eine temporäre Sicht auf ein Thema. Sei es Corona, sei der Ukraine-Krieg. Wenn wir als Unternehmen eine bKV einführen, dann sicher nicht für die kommenden zwei Jahre, sondern für eine sehr lange Zeit. Wir werden durch die Demographie mittel- und langfristig einen unfassbar brutalen Arbeitnehmermarkt bekommen. Wir werden einen Mangel an Arbeitnehmern haben und überlegen müssen, wie wir weniger qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben zu qualifizierten Mitarbeitern machen. Weil wir keine mehr bekommen werden. Wir haben gerade eine Studie in Auftrag gegeben, wie wichtig das Thema bKV für Arbeitnehmer ist, wenn der Arbeitgeber dies Arbeitnehmerfinanziert anbietet. Da sagen 86 Prozent der Befragten, dass es ihnen wichtig sei. Und davon rund ein Drittel, dass es ihnen extrem wichtig sei. Sie sehen, der Bedarf ist da. Und der Arbeitgeber muss sich vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung attraktiv aufstellen. Insofern ist die bKV ein wichtiger Baustein und ein wichtiges Bindungselement. Für mich ist die bKV ebenso genial wie die Gruppentarife für die Berufsunfähigkeit.

Gleichwohl ist die bkV, dass hören wir in Gesprächen immer wieder, bei vielen Unternehmern immer noch eine große Unbekannte. Zudem konkurriert die bKV bei den betrieblichen Benefits Tankgutscheinen. Für Sie nachvollziehbar?

Kannenberg: Sie haben absolut Recht. Viele Unternehmen wissen nicht, was die bKV ist und was es dort gibt. Ich glaube aber, dass wir dort durch die Finanzschwäche der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eine Veränderung erleben werden. Die GKV wird ihre Leistungen nicht aufrechterhalten. Herr Lauterbauch sagte kürzlich, dass die Lücken in der GKV durch Zusatzversicherungen geschlossen werden sollen. Ein 54jähriger mit Vorerkrankungen wird als B2C-Kunde allerdings kaum noch private Krankenzusatztarife erhalten. Das ist schöne Theorie. Der einzige Weg, bei uns in Deutschland als gesetzlich Versicherter ohne Gesundheitsprüfung, die ambulante Versorgung zu verbessern, ist über die bKV. Deswegen glaube ich, dass die bKV in den kommenden Jahren deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen wird.

Sie haben aber Recht. Es ist bitter, wie wenig die bKV aktuell bekannt ist. Und ein Tankgutschein in kein Arbeitgeber-Branding. Dann gebe ich dem Arbeitnehmer lieber 50 Euro als Gehaltserhöhung. Abgesehen vom Steuervorteil ist das nichts wirklich Relevantes. Die 1.500 Euro Gesundheitsleistungen die ich als Arbeitgeber für meine Mitarbeiter zahle, die ein anderer Arbeitgeber nicht zahlt, sind ein deutlich größerer Topf. Deswegen: Vorsicht mit den Tankgutscheinen. Da würde ich als Alternative eher Bargeldleistungen präferieren und würde mir für andere Dinge firmeninterne Lösungen überlegen, wo die bKV eine davon ist.

Das Interview führte Jörg Droste, Cash.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments