Die Zahlen lügen nicht

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Das Risiko einer Berufsunfähigkeit ist groß. Gleichwohl hapert es mit der Absicherungsbereitschaft. Das Problem ist der Preis der BU-Versicherung. Vielen potenziellen Kunden war der schon in der Vergangenheit zu hoch. Nun kommen Inflation, Rezession und explodierende Energiepreise erschwerend hinzu. Auf der anderen Seite wächst das Bewusstsein für die eigene Gesundheit. Es gibt aber einen Ausweg aus dem Dilemma. Jung einsteigen und somit viel Geld sparen.

Haben Sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung? Ich ja. Warum? Weil ich nicht weiß, welche gesundheitlichen Haken das Leben schlägt. Damit gehöre ich zu den immerhin rund 17 Millionen Deutschen, die nach Angaben der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), also der Interessenvertretung der Versicherungsmathematiker, eine BU abgeschlossen haben. Die Zahlen aus dem Jahr 2021 zeigen aber auch: Den 17 Millionen stehen rund 27,5 Millionen Erwerbstätige gegenüber, die sich diesen Schutz schenken. Fakt ist, jeder vierte oder fünfte Berufstätige wird im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal berufsunfähig. „Die Statistik ist völlig richtig, die Zahlen lügen nicht“, bestätigt Thomas Lüer, Vertriebsvorstand von HDI, beim Cash. Extra Roundtable Arbeitskraftabsicherung. Für Dr. Guido Bader, Versicherungsmathematiker, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der DAV und Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Versicherungen, sind die Zahlen ernüchternd und mehr als ein Grund, auf das Defizit aufmerksam zu machen. Die Leute sind sich des Risikos nicht wirklich bewusst“, betont Bader. Widerspruch kommt von Lüer: Die Corona-Pandemie sei hier ein Bewusstseinsmacher gewesen. „Corona hat das in den letzten zwei Jahren aber ein bisschen verändert. Den Menschen ist ihre Verletzlichkeit deutlich geworden und deswegen sehen wir aktuell bei uns einen Anstieg im Vertrieb der Berufsunfähigkeitsversicherung“, betont Lüer. 

Ob die Corona-Pandemie wirklich zum Wendpunkt wird, bleibt abzuwarten. Auch, weil das Thema Berufsunfähigkeit in der Öffentlichkeit durch falsche Bilder dominiert wird. Eine staatliche BU-Rente gibt es für Beschäftigte, die nach 1961 geboren sind, längst nicht mehr. Dennoch glaubt jeder zweite Bundesbürger, bei Berufsunfähigkeit durch eine staatliche Rente abgesichert zu sein. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Metallrente aus dem Herbst 2020, für die das Meinungsforschungsinstitut Kantar Public 2.000 Deutsche zwischen 14 und 65 Jahren befragt hat. In der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen ist diese Versorgungsillusion noch stärker ausgeprägt. Hier gehen sogar knapp 60 Prozent von staatlicher Unterstützung aus, wenn sie nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können. „Wenn über Berufsunfähigkeit gesprochen wird, ist ganz häufig die Vorstellung der Kunden, dass man ein kaputtes Bein, einen kaputten Arm oder Rückenbeschwerden hat, also die klassischen körperliche Beschwerden. Den Menschen ist gar nicht klar, dass die meisten Fälle der Berufsunfähigkeit statistisch gesehen im Bereich der Psyche stattfinden. Das ist auch ein Teil der Beratung, darüber aufzuklären, dass das Feld viel weiter ist, als von den meisten Kunden angenommen wird“, sagt Lüer. 

Die Ratingagentur Morgen & Morgen, Hofheim, erhebt jedes Jahr, warum Menschen aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeit aufgeben müssen. Die Ergebnisse zeigen: Eine psychische Erkrankung ist mit großem Abstand der häufigste Grund. Immerhin 33,5 Prozent die berufsunfähig wird, leidet unter Depressionen, Burnout oder anderen psychischen Problemen. Mit 6,5 Prozent sind Herz- und Gefäßerkrankungen als Ursache für einer BU am seltensten. Ähnlich häufig beenden Unfälle das Arbeitsleben (7,8 Prozent). Rund jede sechste Person wird wegen Krebs oder anderer bösartiger Geschwüre berufsunfähig (17,4 Prozent). 20,1 Prozent, also bei jeder fünften Person, sind Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates Ursache. Doch warum ignorieren viele Berufstätige die latente Gefahr. Ein Blick in Netz zeigt: Wer nach den Ursachen für einen Berufsunfähigkeit googelt, erhält binnen einer halben Sekunde satte 295.000 Treffer. Und wer nur nach dem Begriff Berufsunfähigkeit sucht, bekommt sogar rund 3,79 Millionen Treffer. 

Vor allem dürften es finanzielle Gründe sein, die gegen eine BU-Versicherung sprechen, wie eine Studie der Continentale Versicherung aus dem Jahr 2019 zeigt. Immerhin 71 Prozent der Befragten sagten dort, dass ihnen die Versicherung zu teuer sei. Die Studie der Metallrente bestätigt die Erkenntnisse. Immerhin 38 Prozent sagten dort, dass ihnen die finanziellen Mittel für die Absicherung fehlten. „Eine BU, die 70 bis 80 Prozent des Einkommens abdecken soll, ist tatsächlich für manche Berufsgruppen eine hohe Belastung. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Bäcker mit einem Zahlbeitrag von 350 Euro – Tarifbeitrag 440 Euro – im Schnitt das Vierfache von einem Architekten für seine BU zahlen muss, dann fällt es nicht schwer zu verstehen, dass die BU für viele Berufszweige nicht bezahlbar ist“, sagt Ellen Ludwig, BU-Expertin und Geschäftsführerin von Ascore Analyse, Hamburg. Die galoppierende Inflation und die explodierenden Energiepreise dürften die Entscheidung für einen BU-Abschluss sicherlich nicht einfacher machen. Trotz gewachsener Sensitivität beim Thema Gesundheit. Von einer generellen Reserviertheit beim Thema Arbeitskraftabsicherung mag Martin, Leiter des Zentralbereichs Produktmarketing bei der Alte Leipziger Lebensversicherung, aber nicht sprechen. 

„Wir beobachten, dass Menschen, die Familie und Kinder haben, affiner sind und eine BU abschließen als Alleinstehende mit einer Mietwohnung. Das Bewusstsein dafür, Verantwortung für andere zu haben und vielleicht der Hauptverdiener zu sein, verstärkt das Gefühl, dass man Vorsorgen muss. Da ist die Abschlussbereitschaft dann deutlich höher.“ 

Wie zugeknöpft das Portmonee aber ist, wenn es um die BU-Absicherung geht, zeigt die Continentale-Studie: So waren seinerzeit 55 Prozent bereit, gerade 25 Euro für die Versicherung auszugeben. Wenn der Preis tatsächlich die Hürde ist, stellt sich die Frage nach neuen Produkt- und Vertriebsansätzen. Immer mehr Gesellschaften bieten BU-Tarife für Schüler und Jugendliche an. „Bei Schülern sind es vor allem vor allem die Eltern, die eine Entscheidung treffen“, sagt Martin. Eltern, die bereits für sich eine BU abgeschlossen hätten, seien sehr einfach davon zu überzeugen, dass es sinnvoll sei, auch für das Kind frühzeitig damit zu beginnen. Vor dem Hintergrund des „Je früher, desto besser-Ansatzes“ hat die Alte Leipziger etwa ihr Angebot zum Jahresbeginn um eine Grundfähigkeitsversicherung (GFV) aufgestockt, die mit sechs Monaten abgeschlossen werden kann und bei der die Option besteht, später ohne Gesundheitsprüfung in eine BU zu wechseln. 

Insbesondere die GFV wird von immer mehr Versicherern als gute Lösung im Rahmen der Arbeitskraftabsicherung angesehen. Das zeigt auch die Vielzahl der neuen Tarife, die in diesem Jahr auf den Markt gebracht wurden. Doch gerade Personen, die in ihrem Beruf Schichtdienst leisten, körperlich tätig sind und häufig unterwegs, haben es immer schwerer, das richtige preisadäquate Produkt zur Arbeitskraftabsicherung zu finden. Insofern sieht Ascore-Analyse-Geschäftsführerin Ellen Ludwig in den Produkten – gerade für körperlich und sozial tätige Menschen eine preislich interessante und sinnvolle Absicherung ihrer Leistungsfähigkeit und damit indirekt eine Absicherung der Arbeitskraft. „Je nachdem, wie viele und welche körperlichen Grundfähigkeiten eingeschlossen sind, können diese Tarife für diverse Berufsbilder passen“, sagt die Expertin. 

Einig sind sich die Experten, dass die Berater beim Thema Arbeitskraftabsicherung gefordert sind. „Es gibt Vermittlerinnen und Vermittler, die sich mit dem Thema GFV beschäftigt haben und echte Experten sind. Es gibt andere, die fangen gerade an, sich damit zu beschäftigen“, sagt Martin. Von der Darstellung sei das Thema relativ einfach, weil man es an bestimmten Eigenschaften festmachen könne. Das stoße bei Kunden schnell auf Verständnis, ergänzt Lüer. „Aber das Verhältnis von BU und GFV zueinander und was eigentlich versichert ist, das muss man dann doch wieder intensiv erklären und auf die Bedürfnisse des Kunden abstimmen. Das ist die Hauptarbeit, die bei den Beratern liegt“, so Lüer.

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Arbeitskraftabsicherung. Das ganze EXTRA finden Sie hier:

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