Neues Wohnen – Wie „Mikro“ dürfen Häuser sein?

In den deutschen Ballungszentren sind Wohnungen ebenso knapp wie Bauland.  Mikrohäuser könnten zur Lösung des Problems beitragen.  Die Beyerle-Kolumne

„Um in einem Mikrohaus ,überleben‘ zu können, muss man seinen gewohnten Lebensstil an die geänderten Bedingungen anpassen.“

Überall das gleiche Bild in deutschen Ballungszentren: steigende Mieten sowie steigende Kauf- und vor allem Bodenpreise. Das wirft nicht nur in der boomenden Immobilienbranche Fragen auf, wie sich die lokalen Märkte im Zeitalter der Urbanisierung und der Digitalisierung weiterentwickeln werden.

Woher das zunehmend knappere Angebot nehmen? Welche Wohnformen sind im wahrsten Sinne des Wortes „zukunftsorientiert“?

Unterschiede bei Wohnungsgröße und Material

Zur Beantwortung dieser Fragen sind grundsätzlich zwei Denkrichtungen vorstellbar: „mehr Bauen“ oder „weniger Wohnfläche pro Kopf“. Letzteres mag auf den ersten Blick undogmatisch und vielleicht sogar unpopulär klingen. Aber tatsächlich wird in der Immobilienwirtschaft zurzeit der Begriff des Mikrowohnens intensiv diskutiert.

Zunächst zu den harten Fakten dieses „neuen“ Marktsegments:

– Begrifflich noch nicht wirklich exakt definiert, sodass sich Namen wie Mikrohaus, Minihaus, Tiny House, Singlehaus, Nomadhome oder Kleinhaus subsummieren.

– Größenstrukturen: Micro heißt nicht gleich Mini. Aktuell sieht die Größenstruktur beziehungsweise Wohnflächenverteilung wie folgt aus: 58 Prozent in der Größenklasse 25 bis 60 Quadratmeter, 13 Prozent sind bis zu 24 Quadratmeter groß und 29 Prozent weisen 61 Quadratmeter und mehr auf.

– Baumaterialien: Auch hier gibt es ein breites Spektrum an Elementen. Aktuell zeigt sich folgende Aufteilung: 55 Prozent Holzbauweise, 18 Prozent Steinbau, elf Prozent Plastik, neun Prozent Stroh, ohne oder ergänzend mit Fundament.

– Die günstigsten Mikrohäuser gibt es voll ausgestattet bereits zu einem Preis ab circa 15.000 Euro. Die Mikrohaus-Energiekosten halten sich aufgrund der geringen Größe im Rahmen einer kleinen Mietwohnung.

Affinität zum Minimalismus

Diese zunächst eher nüchterne Baubeschreibung verdeckt den Strukturwandel, welcher diesem Objekttypus zum Siegeszug verhelfen könnte oder ihn eben verhindern. Die Rede ist von der Anpassungsfähigkeit seiner Bewohner.

Denn: Um in einem Mikrohaus „überleben“ zu können, muss man seinen gewohnten Lebensstil an die geänderten Bedingungen anpassen, das heißt, sich reduzieren und eine gewisse Affinität zum Minimalismus entwickeln.

Nicht zuletzt deshalb zielt dieser Lebensstil primär auf eine Jüngere, flexible und vorwiegend mobile Generation – die sogenannte 25-Stunden-Gesellschaft, deren Motto lautet: „Ständig in Bewegung sein“. Sie verbringt die meiste Zeit außer Haus, die Stadt ist ihr Wohnzimmer. Urbane Plätze verwandelt sie in Gemeinschaftswohnanlagen. Wohngemeinschaften und soziale Aspekte spielen eine große Rolle.

In Japan beriets etabliert

Erfahrungen mit dem Konzept gibt es schon: In Japan und Teilen Asiens ist das Wohnen auf engstem Raum ein Alltagsthema. Dementsprechend gelten diese Regionen als Inkubator für die Entwicklung, die sich gerade auch in anderen Metropolräumen der Welt andeutet. Unabhängig von der jeweiligen Präferenz erfordert dieser Wohntypus von Europäern vor allem eines: die Anpassung an einen neuen Lebensstil.

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Mikrohäuser stellen ein interessantes Konzept sowohl hinsichtlich der aktuellen europäischen Stadtplanung als auch gesellschaftlich dar. Sie bieten Freiraum, indem der Bewohner sich auf die Dinge beschränkt, die er zum Leben braucht. Faszinierend ist die Nutzungsidee allemal. Doch ob sie den Siegeszug antreten wird, sollte aktuell eher bezweifelt werden.

Dr. Thomas Beyerle ist Managing Director bei Catella Property Valuation und verantwortet die Researchaktivitäten des Catella Konzerns.

Foto: Christian Daitche

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