Brexit: Das Ende der europäischen Selbstzufriedenheit?

„Die weltwirtschaftliche Lage ist weit besser als die Stimmung“ konstatiert Thomas Böckelmann, Investmentchef der Euroswitch, in seiner aktuellen Einschätzung der Kapitalmärkte. Es bestehe die Hoffnung, dass die Selbstzufriedenheit der politisch Verantwortlichen mit der Zäsur durch den Brexit ihr Ende findet.

Wie lange sich die auch dank forscher Notenbankpolitik wieder erstarkte europäische Wirtschaft dem Abwärtssog aus Überforderung und Reformunwillens entziehen kann, bleibe ungewiss. Seit Ausbruch der Finanzkrise scheint der Blick von Kapitalanlegern und Unternehmenslenkern durch politische Manöver und Maßnahmen eingetrübt. Diese wirken sich zunehmend negativ auf das kollektive Vertrauen und somit auch negativ auf das Investitionsverhalten der Unternehmen aus.

Zweckoptimismus und Naivität

Im Mai habe man noch erstaunt beobachten können, wie entspannt die Kapitalmärkte angesichts der bevorstehenden Ereignisse agierten. Heute wisse man, dass Zweckoptimismus und Naivität die unterstützenden Kräfte waren. Der britische Wähler habe die Marktteilnehmer wieder zurück in die Realität geholt, die durch die andauernde politische Krise in Europa geprägt ist. Trotz aller über den Sommer anhaltenden Unsicherheiten werden die im Monat Juli veröffentlichten Quartalsergebnisse und Zukunftsausblicke der börsennotierten Unternehmen das Börsengeschehen mitbestimmen.

„Deutschland hätte den Schlüssel“

Derweil könne man feststellen, dass bislang Europa weit stärker wächst als die Dauerpessimisten zugeben wollen. Die Situation sei aber sehr fragil und ohne ein Investitionspaket werde es Rückschläge geben. „Dazu hätte Deutschland den Schlüssel in der Hand. Man müsste nur ehrlich das Scheitern von Maastricht, Schengen und Dublin zugeben und in einer konzertierten Aktion die vielleicht einmalige Chance einer tilgungsfreien Kreditaufnahme nutzen“ schlägt Böckelmann vor. Schuldenschnitte bleiben langfristig ohnehin unvermeidlich und der finanziell Solide wird am Ende der Dumme sein.

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Trotz zahlreicher positiver Entwicklungen rückt insbesondere der Brexit die unbestreitbaren Gefahren in den Vordergrund. Die Sorge um denkbare Währungskriege, Protektionismus und durch Unsicherheiten begründete Investitionsstaus lassen die Rezessionswahrscheinlichkeit in zahlreichen Analystenmodellen ansteigen. „Wir möchten uns an diesem Wettbewerb der Negativprognosen aber nicht beteiligen und sind davon überzeugt, dass eine Neubewertung der Chancen und Risiken zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht ist“ fasst Thomas Böckelmann die derzeitige Lage an den Kapitalmärkten zusammen. (fm)

Foto: Shutterstock

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