Allianz Trade Studie : „Die deutsche Wirtschaft steht wohl vor der größten Herausforderung der Nachkriegszeit“

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Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz: "Die deutsche Wirtschaft steht angesichts der multiplen Krisen vor der wohl größten Herausforderung der Nachkriegszeit."

Ein "Dreifach-Schock" aus höheren Material- und Produktionskosten, steigenden Lohnkosten und einem deutlichen Zinsanstieg belastet die deutschen Unternehmen. Auch die wirtschaftliche Schwäche setzt vielen Firmen zu. In seiner jüngsten Analyse prognostiziert der Kreditversicherer Allianz Trade im ersten Quartal 2023 erneut eine milde Rezession. Erst Mitte des Jahres geht es nach Ansicht der Experten aufwärts - und auch dann nur sehr verhalten.

„Das ist keine Hiobsbotschaft, aber auch eine milde Rezession bleibt eine Rezession. Die Wachstumsaussichten sind auch 2024 sehr verhalten“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Die deutsche Wirtschaft steht angesichts der multiplen Krisen vor der wohl größten Herausforderung der Nachkriegszeit.“

Deutschland tritt auf der Stelle: vier Jahre Stagnation bis Ende 2024

Bis Ende 2024 wird die deutsche Wirtschaft nur geringfügig größer sein als vor der Corona-Pandemie Ende 2019, so die Studie. Das bedeutet praktisch vier Jahre Stagnation.

„Deutsche Unternehmen, insbesondere der Mittelstand, sind allerdings vergleichsweise krisenfest“, sagt Bogaerts. „Sie sollten sich jetzt auf ihre Stärken konzentrieren. Damit sorgen sie dafür, dass 2023 kein ‚verlorenes Jahr‘ wird, sondern ein ‚Brückenjahr‘ in eine erfolgreiche Zukunft.“

Steigende Zahlungsausfälle und Insolvenzen

In Folge der zahlreichen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen erwartet Allianz Trade weiterhin steigende Zahlungsausfälle und steigende Insolvenzen.“Die weltweite Zahlungsmoral hat sich seit 2022 deutlich verschlechtert und wir sehen bereits seit Mitte des letzten Jahres deutlich steigende Zahlungsausfälle und Insolvenzen“, sagt Bogaerts.

„2023 dürften Insolvenzen in Deutschland um rund 15 Prozent ansteigen, 2024 um voraussichtlich weitere sechs Prozent. Das ist zwar der stärkste Anstieg seit der europäischen Schuldenkrise, aber von sehr niedrigem Niveau. Insofern ist es momentan nur eine sukzessive Normalisierung des Insolvenzgeschehens.“

Deutschland zeigt sich laut der Studie im Vergleich zu vielen anderen Ländern vergleichsweise robust. Weltweit dürften die Insolvenzen 2023 mit +19 Prozent wesentlich stärker ansteigen, in Westeuropa sind es sogar +25 %.

Verarbeitendes Gewerbe und Baubranche besonders betroffen

Am stärksten gefährdet sehen die Studienautoren die energieintensiven Branchen sowie die Sektoren, die stark von gestiegenen Material- und Rohstoffpreisen betroffen sind. Innerhalb der Branchen ist die Entwicklung allerdings sehr heterogen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe.

Die Industrieproduktion hat sich im Dezember 2022 erheblich verlangsamt und die Produktion in den energieintensiven Sektoren sank besonders stark um 6,1 Prozent gegenüber dem Vormonat und ist nun um fast 20 Prozent niedriger als im Dezember 2021. Besonders stark sank die Aktivität im Baugewerbe im Dezember um acht Prozent im Vergleich zum vorherigen Monat.

Den stärksten Anstieg bei den Insolvenzen zeigten zuletzt die Baubranche (+zehn Prozent) vor dem verarbeitenden Gewerbe (+sieben Prozent) und dem Bereich Verkehr und Lagerung (+sechs Prozent) – während einige Sektoren wie die Immobilienbranche oder das Gastgewerbe beispielsweise verschont blieben. Gerade hier waren die Fallzahlen allerdings während der Pandemie entgegen dem allgemeinen Trend gestiegen.

Die Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe sind den aktuellen Herausforderungen in unterschiedlicher Weise ausgesetzt, was sich in einer heterogenen Insolvenzdynamik zeigt. Höhere Insolvenzen sind vor allem in den Bereichen Datenverarbeitungsgeräte und Elektronik (+16 Prozent), Gummi- und Kunststoffwaren (+16 Prozent), Möbel (+14 Prozent), Nahrungs- und Futtermittel (+13 Prozent) zu verzeichnen. Bei den absoluten Zahlen verzeichneten die Metallindustrie, Nahrungs- und Futtermittel und Maschinenbau besonders hohe Fallzahlen.

Energiepreisschock trifft Zinsanstieg: Die Luft wird dünn

Energiepreise liegen nach der jüngsten Studie von Allianz Trade für deutsche Unternehmen 2023 voraussichtlich rund 40 Prozent höher als vor dem Ukraine-Krieg. Dabei federt der staatliche Gaspreisdeckel die Preisentwicklung bereits deutlich ab. Dennoch geraten viele Unternehmen dadurch von zwei Seiten unter Druck.

„Nicht alle Unternehmen können die steigenden Kosten an ihre Kunden weitergeben und wenn, meist nur teilweise“, sagt Bogaerts. Sie blieben häufig auf nicht unerheblichen Mehrkosten sitzen. Daraus resultierten höhere Fixkosten und ein höherer Druck auf Margen und Gewinne. „Teilweise erhöht das auch den Finanzierungsbedarf – bei steigenden Zinskosten entsteht daraus schnell eine Spirale, zumal viele Unternehmen in der Pandemie zusätzliche Kredite aufgenommen haben. Deshalb könnte die Luft für einige Unternehmen dünn werden, gerade, wenn sie schon länger in Schwierigkeiten stecken. Aber die gute Nachricht ist: Sehr viele deutsche Unternehmen haben genügend Puffer, die aktuelle Situation zumindest kurzfristig abzufedern – und die Krise vielleicht auch als Chance zu nutzen, beispielsweise für wichtige Weichenstellungen für eine grünere Industrie“, bilanziert Bogaerts.

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