EXTRA Betriebliche Vorsorge: „Die Beratung muss jetzt losgehen“

Ralf Berndt, Vorstand Stuttgarter Karsten Rehfeldt, Geschäftsführer BBVS Martin Gräfer, Vorstand Die Bayerische Alexandra Markovic-Sobau, Leiterin Vertrieb Hallesche Paulo Patricio, Organisationsdirektor Makler & Mehrfachagenten, Hanse Merkur
Foto: Florian Sonntag
Die Diskussionsteilnehmer von links: Ralf Berndt, Vorstand Stuttgarter; Karsten Rehfeldt, Geschäftsführer BBVS; Martin Gräfer, Vorstand Die Bayerische; Alexandra Markovic-Sobau, Leiterin Vertrieb Hallesche; Paulo Patricio, Organisationsdirektor Makler & Mehrfachagenten, Hanse Merkur

Cash. sprach mit fünf Branchenexpertinnen und -experten über die Entwicklung der Absatzzahlen in der betrieblichen Vorsorge und die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz und Nachhaltigkeit in diesem Segment.

2023 war aufgrund des Kriegs in der Ukraine und seiner gesamtwirtschaftlichen Folgen kein leichtes Jahr, sowohl für die Unternehmen als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie hat sich das in den Absatzzahlen der betrieblichen Vorsorge, also bAV und bKV, niedergeschlagen?

Patricio: Gar nicht, muss man ehrlicherweise sagen. Der Ukraine-Krieg hat überhaupt keinen Einfluss auf unser Geschäft gehabt – vielleicht hat er sogar positiven Einfluss gehabt, denn wir konnten feststellen, dass viele Menschen angefangen haben, sich grundsätzlich Gedanken über ihre Vorsorge zu machen. Da spielt natürlich auch die betriebliche Vorsorge eine Rolle.

Rehfeldt: Bei uns war das ähnlich. Wir haben im letzten Jahr mehr zu tun gehabt als im Vorjahr. Der Krieg hatte überhaupt keinen Einfluss. Wenn, dann glaube ich eher, dass es jetzt Nachwirkungen aufgrund von politischen Entscheidungen geben wird. Aber 2023 hatten wir genug zu tun.

Was für Nachwirkungen meinen Sie? 

Rehfeldt: Na ja, das, was jetzt noch so alles kommen wird, in den nächsten Jahren. Ich habe heute früh im Fernsehen gehört, dass bei den Start-ups im letzten Jahr 30 Prozent mehr in die Insolvenz gegangen sind und dass das wohl weiter zunehmen wird. Wir kennen es auch von dem ein oder anderen größeren Unternehmen, das vorhat, die Betriebstätigkeit einzustellen. Da glauben wir schon, dass noch ein bisschen was kommen wird.

Markovic-Sobau: Ich schließe mich an. Bei der Halleschen Krankenversicherung hat sich ein Rekordergebnis eingestellt. Auch das bKV-Geschäft hat nicht unter dem Krieg und seinen Folgen gelitten. Ich würde das Thema meines Vorredners Herrn Rehfeld aber noch um die Belastung der Sozialsysteme in Deutschland ergänzen wollen. Ich glaube, das sind Auswirkungen, die wir in den nächsten Jahren noch sehen werden.

Berndt: Wir blicken ebenfalls auf ein sehr erfolgreiches bAV-Jahr 2023 zurück. Wir konnten das Neugeschäft um 50 Prozent steigern und haben so ein neues Rekordergebnis erzielt, ein Allzeithoch. So viel Geschäft hatten wir in der bAV noch nie und haben deshalb keine negativen Auswirkungen gespürt. 

Martin Gräfer
Martin Gräfer: „Wir werden an einer Verlängerung von Lebensarbeitszeit oder einer weiteren Reduktion von Renten nicht vorbeikommen.“

Wie erklären Sie sich das? Liegt es daran, wie Herr Patricio gerade schon gesagt hat, dass sich die Menschen in dieser Krisensituation mehr Gedanken über ihre Absicherung machen?

Berndt: Wenn Zeiten unsicher werden, befassen sich die Menschen intensiver mit dem Thema Sicherheit. Das spielt dann auch bei Themen rein, die wir begleiten, also Altersvorsorge und bAV. Allerdings sehe ich bezogen auf die bAV auch die Themen demografischer Wandel und Fachkräftemangel als besonders wichtig an. Das sieht man daran, dass wir bis vor vier oder fünf Jahren hauptsächlich über Entgeltumwandlung gesprochen haben und jetzt einen sehr hohen Anteil Arbeitgeberbeteiligung oder sogar komplett arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung in der bAV sehen. Das ist ein klares Indiz, dass es um Fachkräfte und Mitarbeiterbindung geht, also die klassischen Argumente für die Altersversorgung. 

Gräfer: Wir hatten ein Rekordjahr in der Altersversorgung, verzeichnen in der bAV über 118 Prozent Steigerung. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstehen, dass die gesetzliche Rentenversicherung heute schon ein herausragendes Problem hat, und das wird eher noch größer werden. In diesem Jahr werden 110 Milliarden Euro benötigt, um die gesetzliche Rentenversicherung mit Steuergeldern zu stützen. Wir werden also an einer Verlängerung von Lebensarbeitszeit oder einer weiteren Reduktion von Renten nicht vorbeikommen. Da ist die betriebliche Vorsorge das Masterwerkzeug, um dagegenzuwirken.

Allerdings heißt es immer, dass es an etwas ganz Wichtigem fehlt, nämlich qualifizierten Vermittlerinnen und Vermittlern in diesem Bereich. Hat sich das verbessert? Oder ist es immer noch schwierig, die betriebliche Vorsorge in die Breite zu bringen, weil es an dieser Schlüsselposition mangelt? 

Patricio: Mein persönlicher Eindruck ist, dass es keinen Mangel an qualifiziertem Personal gibt. Die betriebliche Vorsorge ist aber auch kein Breitenmarkt. Man muss halt gucken, ob man die Mittelschicht der Vermittlerschaft für diese Themen gewinnt und dadurch mehr Breite in das Geschäft bekommt. In Qualifikation investieren führt dazu, dass man am Ende des Tages mehr qualifizierte Vermittler am Markt erzeugt und erreicht. Aber wir stellen bei der Hanse Merkur fest, dass wir mit den Vermittlern, die am Markt sind, durchaus qualifiziertes Geschäft machen.

Markovic-Sobau: Von der Quantität her haben wir keinen Mangel an Vermittlern. Auch die verkäuferische Kompetenz ist im ausreichenden Maße vorhanden. Was sich über die Jahre aufbauen muss ist die Fachkompetenz in der ganzheitlichen Ansprache, das heißt das Thema der betrieblichen Vorsorge ganzheitlich anzugehen. Das ist, würde man vielleicht neudeutsch sagen, Job-Enrichment für die Vertriebspartner. Die sind super qualifiziert. Die können das, was sie tun, herausragend. Aber es gibt beim Angang der Kunden durchaus Bedarf, die Kenntnisse und Fähigkeiten beider Themen aufzuwerten.

Gräfer: Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Digitalisierung. Wir haben in den letzten Jahren herausragend viel Geld investiert, um gemeinsam mit Partnern die gesamte Strecke der betrieblichen Vorsorge zu digitalisieren. Die Investition kommt jetzt auch rein. Ohne diese Form von Digitalisierung wäre das nicht so.

Berndt: Ich habe bisher keinen Engpass empfunden. Es gibt sicherlich noch Potenzial, mehr Vermittler zu begeistern und zu gewinnen, die sich dann in ihrem Kundenstamm dem Thema betriebliche Altersversorgung widmen. Das versuchen wir durch Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen, die über das Produkt hinausgehen – auch in Zusammenarbeit mit der Deutschen Maklerakademie, dort bieten wir entsprechende Kurse an. Für Vermittler, die sich selbst danach noch nicht trauen, bieten wir eine Vertriebsunterstützung in diesem Bereich an. Unsere bAV-Vertriebsunterstützer gehen dann gemeinsam mit den Maklern zu den Firmenkunden, also sozusagen Training on the Job, um ihnen damit Sicherheit zu verschaffen. Grundsätzlich zeichnet sich bei den Vermittlern immer deutlicher die Erkenntnis ab, dass der Bereich betriebliche Altersvorsorge perspektivisch eine große Chance für sie bietet, wenn sie sich diesem Themenfeld widmen.

Alexandra Marokic-Sobau
Alexandra Markovic-Sobau: „Auf Social Media ist es relativ leicht, eine Nachfrage zu provozieren.“

Herr Rehfeldt, Sie wollen intervenieren? 

Rehfeldt: Ich bin bei dem Thema ein bisschen gespalten. Ich bin bei Frau Markovic-Sobau und den anderen Teilnehmern, dass wir sicherlich eine hohe Zahl an qualifizierten Maklern haben, die aber in den nächsten Jahren abnehmen wird. Wir haben bei den Maklern ein demografisches Problem, der durchschnittliche Makler ist über 50. Und wir haben generell das Problem, dass in den nächsten zehn Jahren 20 Millionen Verträge frei werden, die betreut werden müssen. Viele Makler haben aber mit ihrem Privatkundengeschäft so viel zu tun, dass sie sich um das Thema betriebliche Vorsorge gar nicht kümmern können. Ich sehe da schon einen Engpass an qualifizierten Vermittlern. Wir müssen da ganz viel tun, wir müssen ausbilden. Das Thema ist hochkomplex, und es ist eben nicht nur Produktvermittlung. Man muss konzepttechnisch unterwegs sein.

Berndt: Nach unserer Beobachtung gibt es ein großes Potenzial an Möglichkeiten. Viele Makler und Vermittler schauen: Wo sind denn vor zehn oder 15 Jahren betriebliche Altersversorgungswerke installiert worden, die aber nicht gepflegt wurden, die jetzt quasi brachliegen? Dann bieten sie gezielt ihre Dienstleistung an, um neben diesen alten Gruppenverträgen ein modernes Versorgungswerk zu setzen, auch für zukünftige Mitarbeiter. Es gibt ganz vielfältige Möglichkeiten.

Ist das ein großer Markt?

Berndt: Ja, extrem. Zum Teil gibt es die Vermittler gar nicht mehr, auch aufgrund der Demografie. Aber es gibt auch Vermittler, die sich nicht systematisch darum gekümmert haben. Und dann sind die Firmen dankbar, wenn jemand kommt, der sich kümmert. 

Ist das Potenzial den Maklern bewusst?

Berndt: Noch nicht in der Breite. 

Markovic-Sobau: Ich glaube, das sind größtenteils Zufallstreffer.

Rehfeldt: Die Spezialisten, die in dem Bereich unterwegs sind, die wissen das.

Gräfer: Aber die haben auch wieder einen anderen Angang. Es stellt sich immer die Frage: Wie gewinnt man die Kunden? Ich habe mit Kunden telefoniert: „Sie sind jetzt der Wievielte die Woche, der mich mit bAV anruft? Danke, tschüss!“ Deswegen kam ja die bKV sehr gut an, weil man plötzlich eine neue Story hatte, um dann mit der bKV in die bAV einzudringen. Ich erlebe immer mehr spezialisierte, auch kleinere Makler, die Veranstaltungen mit ihren Kunden machen, die wirklich Innovation bieten, um genau solche Fragen zu stellen. Das ist noch nicht wirklich die Masse. Aber wer heute anfängt, sich mit bAV und bKV neu am Markt zu etablieren, muss sich ganz genau überlegen, wie sein Zugang ist und mit welchen Ideen und Themen er auf welche Firmen zugeht. Es ist unendlich wichtig, gute Netzwerke zu haben.

Roundtable mit allen Teinehmern
Die Diskussion fand im Januar im Schlosshotel Fleesensee (Mecklenburg-Vorpommern) statt.

Markovic-Sobau: Es gibt ein paar Makler, die sich zum Beispiel über Elemente aus der Social Media-Arbeit auf dieses Feld begeben, und dort ist es ja relativ leicht, eine Nachfrage zu provozieren oder dieses Klientel ausfindig zu machen. Mit einer professionellen Social Media-Arbeit kann man durchaus zu diesem sehr speziellen Lead gelangen. Ein paar Makler können das systematisch in Erfahrung bringen, sie beschäftigen sich damit. Das beobachte ich schon.

Rehfeldt: Ich will mal ein Beispiel nennen. Wir haben im letzten Jahr eine Agentur beauftragt, mal für uns zu telefonieren – eine Agentur, die in der Lage ist, hochwertige Dienstleistungen an den Mann zu bringen. Die haben für uns innerhalb eines Jahres 15 Termine bei Firmen mit mehr als 100 Mitarbeitern gelegt. Da waren Hidden Champions dabei, Weltmarktführer, unter anderem für die Herstellung und den Vertrieb von Landmaschinen. In einem einzigen dieser 15 Unternehmen war die betriebliche Altersvorsorge ordentlich geregelt. Die bKV kannten die gar nicht. Das ist total spannend. Wir haben in der Mehrzahl der Unternehmen mit dem Thema bKV angefangen, bevor wir in die bAV reingegangen sind, weil da leider ein ziemliches Wirrwarr herrscht. Die Verträge sind teilweise 20 Jahre alt, da sind in der Spitze 20 bis 30 unterschiedliche Versorgungsträger drin, so nach dem Motto: Jeder, der gekommen ist und was mitgebracht hat, wurde übernommen. Der gesetzliche Zuschuss ist überhaupt nicht geregelt. Es gibt da ein Riesenpotenzial in den Firmen. Und das ist ja der Bereich, für den das Betriebsrentenstärkungsgesetz gedacht war, Unternehmen um die 100, 200 Mitarbeiter. Man denkt, da ist alles geregelt. Da ist nichts geregelt. Das wurde einfach liegen gelassen.

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