Doch Donald Trumps Protektionismus hat in seiner zweiten Amtszeit ein völlig neues Ausmaß angenommen. Die US-Regierung geht so kompromisslos wie noch nie gegen Länder vor, die sich – in Trumps Worten – „unfairen ausländischen Praktiken“ bedienen. Der US-Präsident scheint wie besessen von der Idee, dass die USA von allen ihren Handelspartnern über den Tisch gezogen werden und so kündigte er am selbsternannten „Befreiungstag“, dem 2. April 2025, Einfuhrzölle auf alle Importe an. Als Beleg zeigten er und seine Berater das insgesamt 1,2 Billionen US-Dollar große Handelsdefizit der Vereinigten Staaten mit dem Rest der Welt auf. In Donald Trumps Augen kaufen die anderen Nationen zu wenig aus den USA und betrügen das Land damit.
Dass die USA das Modell des Welthandels seit dem Zweiten Weltkrieg forcierten wie keine andere Nation, interessiert Trump dabei genauso wenig wie die Tatsache, dass die USA bis heute erheblich davon profitieren, auch wenn sich die Handelsbeziehungen und Jobs des Landes seither immer wieder wandelten.
Die Speerspitze der Globalisierung
Der Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Mitteln aus dem Marshallplan, wurde einst den Amerikanern als Investment angepriesen, das sich für die US-Bürger ökonomisch auszahlen werde. Den USA bot dies die einzigartige Möglichkeit ihre Waren nach Europa zu verkaufen und später von dort günstig Waren zu importieren. Gemeinsam mit 43 weiteren Staaten etablierten die Vereinigten Staaten den US-Dollar 1944 – damals noch gebunden an den Goldstandard – als globale Handels- und Reservewährung Nummer eins. Die USA waren der Champion des Welthandels.
Die Globalisierung sorgte in den folgenden Jahrzehnten für eine günstige Versorgung mit Industriegütern aus asiatischen Niedriglohnländern anstatt aus Europa. Auch das bescherte den USA und den mittlerweile zu weltweit dominanten Industrienationen aufgestiegenen EU-Ländern eine über Jahrzehnte niedrige Gesamtinflationsrate und sogar partiell sinkende Güterpreise. Für die meisten Amerikaner stieg dadurch der Lebensstandard. Unternehmen verlagerten teure personalintensive Arbeiten in das günstige Ausland, was ihnen ermöglichte ihre Gewinne zu steigern, während sich die US-Wirtschaft und damit auch ihre Exporte immer mehr zur hochbezahlten und dienstleistungsbasierten Wertschöpfung, z. B. im Software-, Banken- und Gesundheitssektor, wandelten. Allein im Bereich „Healthcare“ werden heute rund doppelt so viele Amerikaner beschäftigt wie in der industriellen Fertigung.
Dies zeigt sich im Übrigen auch am US-Handelsdefizit, das vor allem durch den Güterhandel zustande kommt. Im Bereich Dienstleistungen weisen die Vereinigten Staaten hingegen einen Handelsüberschuss von zuletzt 295 Milliarden US-Dollar auf. Hinzu kommt, dass US-Firmen, z. B. Technologieunternehmen, ihr Auslandsgeschäft häufig über Tochterfirmen außerhalb der Vereinigten Staaten abwickeln. So erzielten US-Firmen laut der französischen Nationalbank rund 340 Milliarden Dollar mehr Umsatz in der EU als europäische Firmen in den Vereinigten Staaten.
Torpedieren die USA eine Win-Win-Situation?
Gleichzeitig schuf der Handel in Entwicklungsländern höher bezahlte Arbeitsplätze und ermöglichte Millionen von Menschen, aus der Armut emporzuklettern. Für diese Dienste werden Schwellenländerfirmen zudem oft im stabilen US-Dollar, statt in der eignen Landeswährung bezahlt. Für viele Länder war die Globalisierung ein Win-Win-Zustand.
Trump wünscht sich offenbar die Nachkriegszeit zurück, als die USA noch der weltweit größte Industriegüterexporteur waren. Er ignoriert jedoch die Tatsache, dass die USA sich längst in einer viel besseren gesamtwirtschaftlichen Lage befinden. Anstatt sich auf verhältnismäßig margenschwache Industriegüter wie z. B. Autos zu konzentrieren, sind die USA weltweit führend in den hochprofitablen Bereichen Software, Gesundheit und Finanzen. In diesen Branchen bieten die USA die weltweit höchstbezahlten und attraktivsten Arbeitsplätze. Dadurch können sich die US-Bürger nach den Norwegern, Schweizern und Luxemburgern zu den absoluten Top-Verdienern zählen – von der Börsendominanz und dem internationalen Einfluss der US-Firmen ganz zu schweigen.
Was das Handelsdefizit wirklich bedeutet
Laut dem Wirtschaftsprofessor Tarek Hassan der Boston University ist das Handelsdefizit sogar ein Ausdruck der US-Stärke, denn es entspringt unter anderem der Tatsache, dass andere Länder lieber in US-Finanzanlagen und in Dollar investieren als andersherum. Die USA erhalten dadurch sozusagen billige Kredite in Form von Finanzinvestments, mit denen u. a. ausländische Güter gekauft werden. Die technologische, wirtschaftliche und Börsendominanz der US-Unternehmen macht die Investments beliebt und bedingt somit auch das Handelsdefizit. Den USA ermöglicht dies wiederrum die weltweit einzigartige Option den Dollar abzuwerten, um die Schuldenlast zu moderieren, ohne dabei Investoren zu verschrecken.
Doch globalisierte Handelsketten bergen auch Nachteile. Wie Covid-19 zeigte, können Krisen sie zum Erliegen bringen. In Entwicklungsländern sind die Einwohner teils von der Ausbeutung durch internationale Firmen betroffen und in den entwickelten Ländern fallen einfache und oftmals körperliche Jobs weg, weil sie sich ins Ausland verlagert haben. Das Gesamtergebnis erscheint dennoch positiv, wie sich an den seit vielen Jahren rekordniedrigen Arbeitslosenzahlen im Westen und dem weltweit steigenden Lohnniveau zeigt. Regionale Armut, Arbeitslosigkeit und Drogenprobleme in den USA scheinen vor allem ein innenpolitisches Problem darzustellen. Zölle werden Trump nicht dabei helfen, dies zu lösen. Im Gegenteil: Laut US-Forschern werden die ärmsten 20 Prozent der US-Haushalte viermal so hart von den steigenden Preisen durch Zölle getroffen wie die Top 1 Prozent, denn Zölle wirken wie eine Steuer, die die Amerikaner selbst tragen müssen.
Für uns Anleger dürften Trumps Pläne weiterhin Volatilität an den Märkten bedeuten, denn er stellt mit seinem Vorgehen die bisherige Weltordnung in Frage. Doch auch er muss sicherstellen, dass sich die USA weiterhin mit ausländischem Geld refinanzieren können, vor allem, wenn er kostspielige Vorhaben wie Steuergeschenke umsetzen möchte. Als einer der größten Halter von US-Staatsanleihen kann insbesondere China die USA in den Schwitzkasten nehmen. So könnte Peking damit drohen, im großen Stil US-Treasuries zu verkaufen, was die Zinsen und somit die Finanzierungskosten der Staatsschulden erheblich erhöhen würde. Als Anleger jüngst die Zollpolitik mit steigenden Zinsen für US-Staatsanleihen abstraften, ruderte Trump folgerichtig bereits zurück. Wir Investoren dürfen hoffen, dass Trump etwas aus den insgesamt sechs Insolvenzverfahren seiner Firmen gelernt hat. Vor allem, dass man sich nicht mit seinen Kreditgebern anlegen sollte.
Tim Bröning ist Mitglied des Beirats bei Fonds Finanz.