122 Prozent Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt – eine Zahl, die Historikern wie Ökonomen gleichermaßen vertraut vorkommt, denn es war genau dieses Niveau, auf dem die USA unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1946 standen. Damals bedeutete dies rund d270 Milliarden US-Dollar an Schulden. Bemerkenswert ist aber nicht nur die Summe, sondern auch die Entwicklung danach: Bis 1974 sank die Quote in einem lehrbuchartigen Fall gelungener Entschuldung auf unter 34 Prozent.
Zumindest auf den ersten Blick zeigt sich 2025 ein verblüffend ähnliches Bild. Die Verschuldung liegt erneut bei etwa 122 Prozent des BIP. In absoluten Zahlen sprechen wir allerdings von über 36 Billionen US-Dollar, von denen allein im laufenden Jahr rund 25 Prozent – also neun Billionen – refinanziert werden müssen. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf: Kann die „Medizin“ zur Entschuldung von einst auch heute noch wirken? Und wie ordnet sich Donald Trumps angekündigter wirtschaftspolitischer Kurs in dieses Bild ein?
Die Entschuldung in der Nachkriegszeit beruhte auf vier wesentlichen Faktoren. Erstens konnten durch den Wegfall der Kriegsausgaben fiskalische Überschüsse erzielt werden. Diese wurden direkt zum Schuldenabbau eingesetzt. Zweitens erlebte die US-Wirtschaft eine Phase dynamischen Wachstums, was sich in einem erhöhten BIP zeigte und die Schuldenlast relativierte. Drittens half eine beträchtliche Inflation – 1946 und 1947 lag sie bei deutlich über acht Prozent – den realen Wert der nominalen Schulden zu reduzieren. Und viertens griffen die USA zur finanziellen Repression: Die Federal Reserve hielt die Zinsen über lange Zeit künstlich niedrig und damit deutlich unterhalb der Inflationsrate. Gleichzeitig wurden institutionelle Investoren (z.B. inländische Versicherer) durch regulatorische Vorgaben faktisch dazu verpflichtet, US-Staatsanleihen zu halten.
Eine Übertragung dieser Maßnahmen auf die Gegenwart erscheint auf dem Papier reizvoll: Durch Sparmaßnahmen im Beamtenapparat, reduzierte Beitragszahlungen an internationale Organisationen und eine Wiederbelebung protektionistischer Handelspolitik ließen sich fiskalische Spielräume erzeugen. Ein schwächerer Dollar könnte Exporte fördern und die erhoffte Re-Industrialisierung unterstützen. Eine wieder angeheizte Inflation wäre – zumindest aus Sicht des Schuldners – willkommen, wenn darauf in der Regel nicht eine restriktive Zinspolitik folgen würde. Um das Szenario von damals zu kopieren, müssten die Zinsen aber deutlich sinken, notfalls mit politischem Nachdruck oder durch die Wiederbelebung der „Yield Curve Control“. Und Investoren? Nun, sie müssten „überzeugt“ werden, Anleihen mit niedriger Rendite zu akzeptieren. Derartige Deals sind erfahrungsgemäß selten freiwillig.
Doch hier endet die historische Parallele. Die Rahmenbedingungen 2025 unterscheiden sich fundamental von denen im Jahr 1946. Die demografische Entwicklung, einst Wachstumstreiber, wirkt heute eher bremsend. Die wirtschaftliche Weltordnung ist multipolarer, verwobener und weniger US-zentriert. Zudem ist die heutige Schuldenstruktur stark internationalisiert. Während nach dem Krieg der Großteil der US-Staatsanleihen von inländischen Investoren gehalten wurde, dominieren heute ausländische Gläubiger wie China und Japan sowie neuerdings Großbritannien. Diese lassen sich weder regulieren noch politisch verpflichten – und könnten sich im Fall wachsender geopolitischer Spannungen sogar aktiv von US-Anleihen trennen.
Warnende Vorboten waren bereits zu erkennen: Die Renditen für 30-jährige US-Staatsanleihen stiegen jüngst auf über fünf Prozent, was die Refinanzierungskosten des Staates erheblich erhöht. Gleichzeitig verliefen Auktionen der 20-jährigen Anleihen zäh, was Zweifel an der Marktakzeptanz der US-Schulden schürt. Die Ratingagentur Moody’s setzte zusätzlich einen Impuls mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit. Die einst als „sicherer Hafen“ geltenden US-Staatsanleihen sind zumindest angeschlagen.
Was passiert also, wenn sich freiwillige Käufer zurückziehen? Dann bleibt nur noch die Federal Reserve als Käufer letzter Instanz und mit ihr die logische Konsequenz: eine Wiederauflage der „Yield Curve Control“. Das bedeutet nichts anderes als aktive Zinsdeckelung trotz anhaltend hoher Inflation. Eine Gratwanderung, die an die Grenzen geldpolitischer Glaubwürdigkeit führt.
Ob man die heutige Situation mit 1946 vergleichen kann, ist daher fast nebensächlich. Entscheidend ist: Die Mechanismen der finanziellen Repression – künstlich niedrige Zinsen, kontrollierte Kapitalströme, Entwertung durch Inflation – scheinen politisch wieder en vogue zu sein. Und mit ihnen das Ziel, das Dollar-Gleichgewicht neu zu definieren, die Industriepolitik aggressiver zu gestalten und das Handelsdefizit durch geopolitische Muskelspiele zu reduzieren.
Was bedeutet das für Anleger?
In einem repressiven Umfeld mit strukturell hohen Schulden, geopolitischen Spannungen und wachsender Inflationsakzeptanz sind nominale Geldwerte strukturell benachteiligt. Inflationsgeschützte Anleihen können temporär sinnvoll sein, aber echte Substanz findet man eher in Sachwerten: Qualitätsaktien mit Preissetzungsmacht, Infrastrukturinvestments, Edelmetalle wie Gold und Silber, unverzichtbare Energierohstoffe sowie ausgewählte Immobilien bleiben zentrale Bausteine eines robusten Portfolios. Liquidität in starken Währungen und kurzlaufende Anleihen können taktisch zusätzlich nützlich sein.
Globale Streuung, regelmäßige Rebalancierung und ein gutes aktives (Fonds-)Management sind essenziell zur Erhaltung des realen Vermögens und erst recht zur Renditeoptimierung.
Letzter Gedanke: Wer glaubt, 2025 sei nur das neue 1946, sollte bedenken, dass sich Geschichte zwar wiederholt, aber manchmal eben auch als makroökonomisches Kabarett.
Tim Bröning ist Mitglied des Beirats bei Fonds Finanz.