Die Halver-Kolumne: Politische Börsen haben mal wieder kurze Beine

Robert Halver
Foto: Dirk Beichert
Robert Halver, Baader Bank

Wann hat es jemals eine größere Anhäufung von Krisen wie derzeit gegeben? Mittlerweile verlieren selbst jahrzehntelang gültige geopolitische Gesetzmäßigkeiten an Bedeutung. Auch der Nahe Osten ist unruhig. Dennoch zeigen Aktien, Öl, Gold und US-Dollar keine Panikreaktionen. Sie vertrauen darauf, dass politische Krisen nicht eskalieren. 

Menschen und auch Anleger sind bestrebt, festen Boden unter den Füßen zu haben. Das gibt ihnen Orientierung wie die Wand dem Betrunkenen. An dieser Festigkeit scheint es momentan aber zu mangeln.

Da ist zunächst die Akte Trump. Seine schwankende Zollpolitik wirkt wie ein Damoklesschwert auf die wohlstandfördernde Globalisierung. Nicht weniger schlimm ist, dass er als Störfaktor der transatlantischen Wertefamilie auftritt. Das schwächt ausgerechnet jenen geopolitischen Felsen von Gibraltar, an dem viele Krisen seit ca. 70 Jahre abgeprallt sind.

Zusätzlich werfen die rüden Attacken Trumps auf die Fed Sorgen über deren Unabhängigkeit auf. Ebenso wirken seine nicht geringere, sondern höhere Staatsverschuldung belastend. Dieser Kraftverlust der US-Finanzwirtschaft mündet in einer Schwäche des US-Dollars als Weltleitwährung, der nicht mehr wie früher üblich bei Krisen automatisch als sicherer Hafen angefahren wird.

Und dann noch der Konflikt zwischen Israel und dem Iran mit Beteiligung Amerikas. Bei einer militärischen Eskalation, z.B.  über die Sperrung der „Öl-Straße von Hormus“, drohen grundsätzlich Energieverteuerungen mit allen schädlichen Auswirkungen auf Weltwirtschaftswachstum und Inflation.

Nicht Trump ist das größte Problem der EU. Es ist unsere bisherige Realitätsverweigerung.

Trump ist kein Hund, der nur bellt, aber nicht beißt. Ein bisswütiger Rottweiler ist er aber auch nicht. Seine Zähmung erfolgt über zollbedingt schlechte Konjunkturdaten sowie weniger optimistische Umfragewerte, die zumindest seine an Wiederwahl interessierte Entourage nicht ignorieren kann.

Selbst bei den transpazifischen Handelsgesprächen haben sich die Wogen geglättet. Kein Wunder, die eine Seite will günstig Vorprodukte importieren, die andere exportieren: Quid pro quo. 

Und im transatlantischen Handel wird es zwar zu Basiszöllen kommen. Diese werden auch schmerzen. Wenn sie aber im Vergleich zu den ursprünglich geplanten Horrorzöllen deutlich geringer ausfallen und sogar final sind, ist zumindest Planungssicherheit vorhanden. Unabhängig davon hat Europa endlich verstanden, dass es mehr eigenes wirtschaftliches und militärisches Gewicht auf die geopolitische Waage bringen muss. In der Tat drehen unserer Frühindikatoren langsam nach oben.

Amerika hat kein Interesse an einem selbstverschuldeten monetary regime change

Die US-Notenbank lässt sich nicht von Donald Trump in die Suppe spucken. Sie weiß, dass sie niemals duckmäuserhaft handeln darf, um Amerikas Finanzkraft, seine Weltleitwährung und Preisstabilität nicht weiter zu schwächen. So wird sie ihre abwartende zinspolitische Haltung erst fortsetzen, bis Klarheit über die endgültigen Zölle herrscht. Dies ist übrigens auch ein Druckmittel für Trump, zollseitig gemäßigter aufzutreten.

Daneben scheint das Weiße Haus endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass die Güte des US-Anleihemarkts die Bedingung dafür ist, dass Amerika über seinen Verhältnissen leben kann. Mit diesem Vorteil spielt man nicht. Unterstützung kommt vom amerikanischen Genius Act, der per Gesetz alle Emittenten, die an den Dollar gekoppelte Stablecoins herausgeben, zwingt, diese mit US-Anleihen zu decken. Ein automatischer Nachfrageschub für amerikanische Schuldscheine wirkt dann der Kaufmüdigkeit der regulären Investoren entgegen. In der Tat ist der Markt für Stablecoins in den vergangenen Jahren bereits auf 250 Mrd. Dollar gewachsen. Immer mehr Banken und Supermarktketten setzen im Zahlungsverkehr darauf. Analysten sprechen von einem Stablecoin-Markt bis 2030 von über drei Bill. US-Dollar.

Krisenresistenz, dein Name ist Aktienmarkt

Trump hat mit der Bombardierung iranischer Atomanlagen zwar sein Versprechen gebrochen, Friedensstifter zu sein. Doch ist ein atombombenunfähiger Iran immer besser als ein atombombenfähiger. Verfügte der Iran militärisch über nukleare Fähigkeiten, würden auch andere Länder der Region danach trachten und den weltweit größten Konfliktherd für alle Zeiten zum Pulverfass mit der kürzesten Zündschnur machen.

Und wie geht es weiter? Amerika zeigt kein Interesse an einem von ihm unmittelbar erzwungenen Regimewechsel. Denn frühere „Befreiungsaktionen“ wie im Irak sind böse ins Auge gegangen und sorgen bis heute im Nahen Osten für Chaos. Und wenn sich Amerika zurückhält, würde der Iran sich mit überheftigen Gegenschlägen ins eigene Fleisch schneiden. Denn sollte er US-Militäreinrichtungen angreifen oder die Straße von Hormus sperren, hätte Amerika ein Alibi, massiv einzugreifen und so den politischen Status Quo zu verändern.

Auch Drittparteien haben wenig Interesse an einer Konfliktzuspitzung in der Region. Zunächst kann Saudi-Arabien keine massiven Verunsicherungen in der Region beim Aufbau seines Wirtschaftsstandorts gebrauchen.

Vor allem aber sind die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien auf die Straße von Hormus angewiesen, übrigens auch der Iran selbst. Täglich werden ca. 14 Mio. Barrel Rohöl über diesen Transportweg exportiert. Und davon gehen 12 Mio. Barrel nach Asien. China bezieht fast die Hälfte seiner Öleinfuhren über diese Route. Der Iran ist ziemlich isoliert, hat dies klar erkannt und dreht daher bei.

Insgesamt sprechen die geopolitischen und wirtschaftlichen Belange der direkt und indirekt am Konflikt beteiligten Parteien und auch die Eigeninteressen des Irans selbst für Krisenmäßigung in der Region und auch beim Ölpreis.

Sicherlich bleibt abzuwarten, inwieweit die Waffenruhe zwischen dem Iran und Israel hält. Ebenso bleibt grundsätzlich Unsicherheit rund um den Iran, die Region und den Ölpreis ein Thema. Doch trotz aller Schwankungen ist davon auszugehen, dass sich auch dieses Mal die alte Börsenweisheit bewahrheitet: Politische Börsen haben kurze Beine.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash. 

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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