„Unabhängige Beratung gefährdet“: AfW schlägt Alarm in Sachen RIS

Norman Wirth, AfW, vor einer weißen Backsteinwand.
Foto: AfW / Bettina Straub
Norman Wirth, AfW: „Der aktuelle Verlauf der RIS-Debatte wirft ernste Fragen auf."

Die Diskussion um die EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy, RIS) hat mit zwei neuen Positionspapieren Fahrt aufgenommen. Neben der EU-Kommission haben nun auch Frankreich und Tschechien ein solches Papier vorgelegt. Was daran problematisch ist.

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Die EU-Kommission hatte erste Vereinfachungsvorschläge präsentiert, das Papier aus Frankreich und Tschechien geht noch weiter und fordert weitreichende Deregulierungen, berichtet der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW. Dennoch sieht der Verband „die unabhängige Beratung durch die aktuellen Entwicklungen gefährdet“ und mahnt praxisnahe Lösungen an.


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Bei den nun vorgelegten Vorschlägen handelt es sich um sogenannte „Non-Paper“. Sie sind in der EU-Gesetzgebung keine offiziellen Rechtsakte, sondern dienen als informelle Diskussionsgrundlage, erläutert der AfW. Sie sind rechtlich unverbindlich, zeigen jedoch auf, welche Lösungswege innerhalb der Verhandlungen erwogen werden. Juristisch existieren sie also gar nicht und werden wahrscheinlich deshalb als „Nicht-Papiere“ bezeichnet. Darauf muss man auch erstmal kommen.

Vorschläge für mehr Deregulierung

Doch wo ist das Problem? Die Europäische Kommission war nach dem Start der Trilogverhandlungen beauftragt worden, den RIS-Entwurf im Sinne der Praktikabilität zu überarbeiten. Ihr Non-Paper schlägt vor, vorvertragliche Informationen zu vereinfachen, ESG-Angaben im PRIIPs-KID zu streichen sowie Eignungs- und Best-Interest-Tests zusammenzuführen, berichtet der AfW. Zudem sollen Peer-Gruppen-Vergleiche und Benchmark-Modelle für verschiedene Produktgruppen eingeführt werden. Auch eine Überarbeitung des umstrittenen Inducement-Tests wurde angeregt.

Kurz darauf folgte das Non-Paper von Frankreich und Tschechien. Es fordert dem AfW zufolge eine tiefere Deregulierung. Unter anderem sollen die Best-Interest-Prüfung und der Inducement-Test entfallen oder stark eingeschränkt werden. Auch die Anforderungen an die Portfoliodiversifizierung und sogenannte Level-2-Regelungen – präzisierende Ausführungsvorschriften, die maßgeblichen Einfluss auf den Beratungsalltag haben – sollen reduziert werden.

Teils erhebliche Differenzen

Bereits vor den beiden Non-Papern hatten Rat und Parlament ihre Positionen abgesteckt. Während der Rat eher auf Flexibilität und Aufsichtsfokus setzt, verfolgt das Parlament eine detailreichere und stärker schutzorientierte Linie. In zentralen Bereichen wie Produkt-Governance, Marketinganforderungen, Sachkunde, Kundenklassifikation und Provisionsregelungen bestehen teils erhebliche Differenzen – besonders aber auch zu dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission aus Mai 2023.

Für den AfW steht fest: Der Ausgang der Verhandlungen könnte die Rahmenbedingungen für die unabhängige Vermittlung auf Jahre prägen. „Die Vorlage dieser beiden Non-Paper zeigt, wie offen die weitere Ausgestaltung der RIS derzeit ist“, erklärt Norman Wirth, Vorstand des AfW. „Gerade für unabhängige Vermittlerinnen und Vermittler ist es entscheidend, dass am Ende keine Regelungen stehen, die Beratung unnötig erschweren oder verteuern. Überregulierung gefährdet am Ende die Vielfalt und den Zugang zu guter Beratung.“

Pläne zur indirekten Preisregulierung

Während die ursprünglichen Pläne für ein Provisionsverbot dem Verband zufolge „halbwegs vom Tisch sind“, sieht der AfW weiterhin besonders die Pläne zur indirekten Preisregulierung über europaweite Benchmarks kritisch. „Staatliche Preisvorgaben passen nicht zu funktionierenden Märkten. Sie können zu einer Einschränkung der Beratungsvielfalt führen und gerade Kleinanleger von der unabhängigen Beratung ausschließen“, so Wirth.

Auch umstritten bleibt der Umgang mit dem PRIIPs-KID. Dieses standardisierte Basisinformationsblatt soll Privatanlegern eine schnelle Übersicht über wesentliche Merkmale und Risiken von Anlageprodukten ermöglichen. Kritisiert wird jedoch, dass es teils zu komplex und schwer verständlich ist. Die Kommission schlägt deshalb vor, bestimmte Angaben wie ESG-Informationen zu streichen und die Darstellung insgesamt zu vereinfachen. 

Die nächsten Wochen entscheiden

Die nächsten Wochen werden zeigen, in welche Richtung sich die RIS weiterentwickelt, erwartet der AfW. Am 14. Mai befasst sich demnach die Verhandlungsgruppe des Europäischen Parlaments mit den neuen Non-Papern, die des Rats folgt am 19. Mai. Weitere – bisher unbestätigte – Trilogtermine sind für 3. Juni und 1. Juli vorgesehen. Ob die Kommission eine konsensfähige Balance zwischen Vereinfachung und wirksamem Anlegerschutz finden kann, bleibe abzuwarten.

Norman Wirth fasst zusammen: „Der aktuelle Verlauf der RIS-Debatte wirft ernste Fragen auf. Statt zu einer besseren Kapitalmarktteilnahme beizutragen, drohen sich die Verhandlungen in technischen Detailregelungen und Bürokratie zu verlieren. Die Interessen der Kleinanlegerinnen und -anleger und ihrer qualifizierten, unabhängigen Beratung geraten dabei zunehmend aus dem Blick. Es ist jetzt an der Kommission, Verantwortung zu übernehmen und den Kurs grundlegend, bis hin zu Rücknahme des kompletten Vorschlages zu hinterfragen – bevor ein Regelwerk entsteht, das in der Praxis mehr schadet als nützt.“

Die europäische Kleinanlegerstrategie soll den Zugang von Privatanlegern zu Kapitalmärkten verbessern und den Anlegerschutz stärken. Sie umfasst Änderungen an bestehenden Regelwerken wie MiFID II sowie IDD und wird derzeit im „Trilog“ – also einem Dreier-Dialog – zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat verhandelt. Es handelt sich keineswegs, wie der Name vielleicht vermuten lassen könnte, um ein unverbindliches Strategiepapier, sondern um ein umfangreiches Gesetzespaket.

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