Fed und EZB: Ignorieren Anleger die Realität?

Norbert Frey
Foto: Fürst Fugger Privatbank
Norbert Frey, Fürst Fugger Privatbank: „Die Rallye wird gerade seit Jahresbeginn primär durch temporäre oder auch veraltete Geschichten angekurbelt.“

Die US-Notenbank Fed und die EZB haben die Zinsen weiter erhöht. Noch wichtiger: Sie haben deutlich gemacht, dass weitere Zinserhöhungsschritte wahrscheinlich sind, um die Inflation in die Nähe des Zielkorridors von zwei Prozent zu bringen. Ein klarer Gegensatz zu den Erwartungen der Märkte, die von lediglich einem weiteren Zinsschritt auszugehen scheinen. Und was machen die Aktienmärkte? Sie steigen – vor allem in Europa.

Hinter den Kursanstiegen stecke, so Norbert Frey, Leiter Fondsmanagement der Fürst Fugger Privatbank, etwa sogenanntes Short Covering. Dabei müssten Händler zuvor leerverkaufte Titel zurückkaufen. Außerdem seien sogenannte Meme Stocks sehr gesucht, also auf Social-Media-Kanälen gehypte Aktien. Auch Kryptoanlagen seien wieder geklettert. „Short Covering, Meme Stocks oder Kryptos – das sind alles hochspekulative Positionen. Sie bilden nicht ansatzweise eine nachhaltige Kurserholung an den Märkten ab“, warnt Frey. Erheblich wichtiger sei die aktuell laufende Quartalsberichtssaison der Unternehmen. Viele Marktteilnehmer hofften darauf, mit ihr die vorläufig letzten Kursrückschläge zu sehen. Für Norbert Frey ein Trugschluss: „Was die Prognosen zur Geschäftsentwicklung betrifft, haben wir die Tiefs noch nicht erreicht. Das dürfte erst zur Jahresmitte geschehen.“ Einen kleinen Vorgeschmack habe der Ausblick des Softwaregiganten Microsoft gegeben.

Die Konjunkturabschwächung habe gerade erst begonnen und die großen Notenbanken würden die Geldpolitik weiter straffen. „Die Märkte spielen ein Disinflations-Szenario, das die Kurse treibt. Das ist voreilig, denn wir werden es mit anhaltend hohen Inflationsraten zu tun haben. Wir sehen noch kein Ende der Zweitrundeneffekte im derzeitigen Inflationszyklus.“ Der größte Arbeitgeber weltweit, der US-Einzelhandelsriese Walmart mit über 2 Millionen Beschäftigten weltweit, wolle den Mindestlohn von 12 auf 14 US-Dollar anheben. Und die Konkurrenz müsse folgen. Dies würde die Inflationsrate weiter hochhalten. Die Gewinnmargen in den USA und Europa seien auf historischen Höchstständen, denn die höheren Einkaufspreise hätten auf die Konsumenten abgewälzt werden können. Dies werde nicht so bleiben, ist Norbert Frey überzeugt: „Die Preissteigerungen werden schwieriger durchzusetzen, ohne Kunden zu verlieren. Wir erwarten deshalb weiter anhaltenden Druck auf die Gewinnmargen der Unternehmen. Und die Bewertungen von Aktien sind noch immer zu hoch.“ Alles in allem sei dies kein Einstiegsszenario für die Aktienmärkte, selbst ohne den überbewerteten Tech-Sektor in den USA.

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