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Gesetzliche Rente unter Druck: Warum Zuschüsse und Beiträge explodieren könnten

Holm Diez, Vorstandsvorsitzender der HDI Leben
Foto: HDI
Holm Diez, Vorstandsvorsitzender HDI Leben

Norbert Blüms legendärer Satz „Die Rente ist sicher“ wirkt heute wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Während das Rentenniveau sinkt und die Boomer in Rente gehen, setzt die Bundesregierung auf Stillstand statt Strukturwandel. Warum ohne private und betriebliche Vorsorge nichts mehr geht.

Als Norbert Blüm 1986 verkündete: „Die Rente ist sicher“, traf er einen Nerv – und prägte damit eine politische Botschaft, die Jahrzehnte überdauerte. Spätestens mit der CDU-Plakatkampagne zur Bundestagswahl 1990 wurde der Satz zur Legende. Doch schon damals war klar: Die Sicherheit der gesetzlichen Altersvorsorge war alles andere als selbstverständlich. Der demografische Wandel war absehbar und ist heute Realität.


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1986 lag das Rentenniveau bei 57,4 Prozent, heute sind es noch 48 Prozent. Und auch die sind keineswegs garantiert. Trotz der Herausforderung durch den massenhaften Renteneintritt der Boomer-Generation plant die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz keine strukturelle Reform. Das Rentenniveau soll bis 2031 stabil bleiben – finanziert durch Steuerzuschüsse. Eine Anhebung der Regelaltersgrenze wird ausgeschlossen.

Verantwortung für Deutschland

Das Motto der neuen Bundesregierung lautet „Verantwortung für Deutschland“. Für eine umfassende Rentenreform scheint die Verantwortung jedenfalls nicht zu reichen. Fakt ist, dass das Lavieren Spuren hinterlässt. So zeigte eine Umfrage von Canada Life aus dem Januar dieses Jahres, dass die meisten Menschen die Verantwortung für die Rente inzwischen nicht mehr beim Staat sehen, sondern bei sich. 2021 sahen die Menschen mehrheitlich noch den Staat in der Hauptverantwortung für die Rente. Inzwischen glauben drei Viertel der Befragten nicht mehr, dass die Politik zu einer echten Rentenreform fähig ist. Laut dem Alterssicherungsbericht 2024 liegt die durchschnittliche Rente von Männern bei 1.319 Euro, Frauen erhalten 822 Euro. Für Deutschland sind die Zahlen ein Armutszeugnis.

„Das Vertrauen unserer Kundinnen und Kunden in die gesetzliche Rente erodiert immer mehr, gerade unter jungen Menschen stellen wir dies in unseren Beratungsgesprächen fest. Hintergrund ist natürlich, dass die Politik an ihrem ‚demografischen Blindflug‘ festhält, Stichwort Haltelinien. Den jungen Menschen ist klar, dass sie ergänzend vorsorgen müssen“, sagt Miriam Michelsen, Vorständin Produkte und Services bei der Finanzberatung MLP.

Miriam Michelsen
Miriam Michelsen, MLP

Fakt ist, die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent wird richtig teuer: „Die umlagefinanzierte gesetzliche Rente wird angesichts des demografischen Wandels zukünftig nicht in der Lage sein, die gleiche Rolle wie heute bei der Altersversorgung unserer Bevölkerung in Deutschland zu spielen. Wenn das Rentenpaket der Bundesregierung so umgesetzt wird wie aktuell geplant, und wir bis 2031 am Rentenniveau von 48 Prozent festhalten, würden die Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rente im Jahr 2030 131 Milliarden Euro erreichen – das sind etwa 40 Prozent mehr als heute“, rechnet Dr. Jürgen Bierbaum, Vorstand der Alte Leipziger Lebensversicherung, vor.

Rentenbeiträge dürften deutlich steigen

Darüber hinaus gehe die Bundesregierung im Zuge ihrer Vorstellung des Rentenpakets II von einem Anstieg des Rentenbeitrags ab 2028 bis 2035 von 18,6 auf 22,3 Prozent aus. „Steigende Beiträge bedeuten weniger Netto vom Brutto für die Arbeitnehmer und höhere Kosten für die Arbeitgeber – mit den entsprechenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“, sagt Versicherungsmathematiker Bierbaum.

Holm Diez, Vorstandsvorsitzender der HDI Lebensversicherung, kritisiert die Reformunwilligkeit deutlich: Bereits im Jahr 2008 wurde der damalige Bundespräsident Roman Herzog in der „Bild“-Zeitung mit folgenden Worten zitiert: „Ich fürchte, wir sehen gerade die Vorboten einer Rentnerdemokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie.“ Das frühere Staatsoberhaupt ging in der „Bild“-Zeitung sogar noch weiter: „Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern“, sagte Herzog.

Plündern die Älteren die Jüngeren?

„Die Stimmen, die allein auf den Ausbau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente (GRV) setzen, sind nach unserer Überzeugung auf einem Irrweg. Die GRV muss flankiert, um nicht zu sagen gestützt werden von einer leistungsfähigen und breit angelegten ergänzenden kapitalgedeckten Vorsorge. Hier bietet sich allen voran die betriebliche Altersversorgung (bAV) an, da sie besonders effizient ausgestaltet werden kann“, betont Diez nachdrücklich.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sollte reiner Wein eingeschenkt werden, fordert er: „Ohne eigeninitiierte Vorsorge wird es nicht funktionieren. Hierfür müssen die Förderrahmen so ausgestaltet sein, dass sich Sparen lohnt – ohne Wenn und Aber. Dabei muss die Politik die Rolle der Vermittler anerkennen, denn ohne Beratung und aktive Aufklärung wird es nicht gehen. Die Planung der Altersvorsorge ist kein Selbstläufer. Das Thema Altersvorsorge hat für viele Menschen so viel Charme wie eine Steuererklärung. Jeder Berufstätige weiß um die Notwendigkeit, doch viele möchten sich damit nicht auseinandersetzen – auch aus Sorge vor Fehlentscheidungen. Hier braucht es professionellen Support, Anreize und niederschwellige Zugangswege“, argumentiert Diez.

Letztlich könne die Politik an drei Stellschrauben drehen: die Höhe der Rentenbeiträge, die Höhe des Rentenniveaus und das Renteneintrittsalter, ergänzt ALH-Vorstand Bierbaum. Angesichts der geplanten zusätzlichen Staatsverschuldung erscheine es unwahrscheinlich, dass die staatlichen Zuschüsse weiter stark anwachsen können.

Dr. Jürgen Bierbaum, Alte Leipziger Lebensversicherung

„Auch die Erhöhung der Rentenbeiträge ist kein Spiel ohne Grenzen. In der Konsequenz wird das Wachstum der Rentenhöhen dadurch deutlich limitiert. Um ein auskömmliches Einkommen im Alter sicherzustellen, ist eine zusätzliche private beziehungsweise betriebliche Altersvorsorge also unverzichtbar“, sagt Bierbaum.

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