Kaffeepause mit Konsequenzen – wenn Verschlucken ein Arbeitsunfall ist

Recht, Urteil, Kaffee trinken während der Arbeit
Foto: Smarterpix/NatashaFedorova
Kaffeepausen oder vergleichbare gemeinsame Routinen können demnach unter Versicherungsschutz stehen, sofern sie betriebsdienlich sind und integraler Bestandteil der Arbeitsorganisation sind.

Verschluckt, gestürzt, versichert? Ein Bauleiter erleidet beim morgendlichen Kaffeetrinken während einer Arbeitsbesprechung einen Hustenanfall und verletzt sich schwer. Jetzt hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt entschieden: Der Vorfall ist ein Arbeitsunfall. Was das Urteil für den Versicherungsschutz im Berufsalltag bedeutet.

In einem auf den ersten Blick unscheinbaren Fall hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom Dezember 2023 (Az.: L 6 U 45/23) ein wegweisendes Urteil gefällt: Der Sturz eines Bauleiters, der sich während einer morgendlichen Arbeitsbesprechung am Kaffee verschluckte, stellt einen Arbeitsunfall dar. Der Fall, über den die Arag auf „Recht schnell“ zuerst berichtet hatte, wirft ein Schlaglicht auf die Abgrenzung von privaten und betrieblichen Tätigkeiten. Und auf die Bedeutung informeller Rituale im betrieblichen Alltag.

Hintergrund: Zwischen Kaffeeschluck und Synkope

Der Kläger, ein angestellter Bauleiter, traf sich wie üblich am frühen Morgen mit Kollegen zu einer verpflichtenden Tagesbesprechung im Aufenthaltscontainer auf der Baustelle. Während der Einsatzplanung nahm er einen Schluck Kaffee, verschluckte sich und verließ hastig den Container, um im Freien auszuhusten. Dabei verlor er kurzfristig das Bewusstsein – eine sogenannte Hustensynkope – und stürzte mit dem Gesicht auf ein Metallgitter. Die Folge: eine offene Nasenbeinfraktur, mehrere tiefe Wunden im Gesicht sowie ein mehrtägiger Klinikaufenthalt.


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Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung des Geschehens als Arbeitsunfall ab. Begründung: Das Kaffeetrinken sei eine rein private Handlung ohne betrieblichen Bezug. Auch das Sozialgericht Magdeburg bestätigte diese Auffassung zunächst.

Das Urteil: Betriebliche Realität zählt

Das Landessozialgericht sah den Fall anders – und hob die vorinstanzliche Entscheidung auf. Entscheidend sei die objektivierte Handlungstendenz, also die Frage, ob die Handlung zumindest auch betrieblichen Zwecken diene. Das sei im konkreten Fall gegeben: Das Kaffeetrinken fand im Rahmen einer organisierten dienstlichen Besprechung statt, war gelebte Praxis auf der Baustelle und förderte nicht nur die Arbeitsfähigkeit, sondern auch das Betriebsklima. Der Arbeitgeber stellte teils selbst Kaffee zur Verfügung. Das informelle Ritual diente damit nach Überzeugung des Senats auch betrieblichen Interessen.

Zudem habe der Kläger den Container nicht willkürlich, sondern mit dem Ziel verlassen, Rücksicht auf seine Kollegen zu nehmen. Das Verhalten, nämlich das Aushusten außerhalb des Raumes, sei durch die betrieblichen Umstände geprägt gewesen und damit dem Versicherungsschutz zuzuordnen.

Rechtliche Würdigung: Was zählt, ist der Kontext

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Unfälle dann als Arbeitsunfall anerkennungsfähig, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit stehen. Genau diesen Zusammenhang sah das Gericht im vorliegenden Fall gegeben. Der Kaffee sei nicht zum Zweck der Durstlöschung konsumiert worden, sondern als sozial übliches Verhalten im Rahmen einer dienstlich veranlassten Besprechung. Das Trinken, das Verschlucken und der daraus resultierende Sturz seien als untrennbarer Ablauf zu werten, der im betrieblichen Kontext stand.

Auch ein Verweis auf mögliche innere Ursachen, wie eine angeblich bekannte Synkopenneigung, hielt der gerichtlichen Prüfung nicht stand. Weder medizinische Unterlagen noch Zeugenaussagen bestätigten eine entsprechende Vorerkrankung.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil erweitert die rechtliche Perspektive auf betriebliche Rituale und informelle Verhaltensweisen. Kaffeepausen oder vergleichbare gemeinsame Routinen können demnach unter Versicherungsschutz stehen, sofern sie betriebsdienlich sind und integraler Bestandteil der Arbeitsorganisation sind. Entscheidend ist, dass sie nicht lediglich aus privater Motivation heraus erfolgen, sondern eine objektiv erkennbare betriebliche Funktion erfüllen.

Das Urteil ist nicht nur für Arbeitgeber von Bedeutung, die durch gelebte Unternehmenskultur auf das Miteinander ihrer Belegschaft setzen. Auch Arbeitnehmer können sich künftig stärker auf den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung berufen, wenn sich Zwischenfälle in vermeintlich „privaten“ Momenten innerhalb betrieblicher Strukturen ereignen.

Die Revision wurde zugelassen. Ob der Fall den Weg zum Bundessozialgericht finden wird, bleibt offen. Das Urteil des LSG jedenfalls setzt neue Maßstäbe im Umgang mit der Grauzone zwischen Arbeit und Alltag.

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