Künstliche Intelligenz: Ich denke nicht mehr, wer bin ich?

Foto: Florian Sonntag
ChatGPT sagt: Nadine Wiesenthal ist eine junge Frau mit mittellangen, hellbraunen Haaren. Sie hat eine schlanke Statur und ist etwa 1,70 Meter groß. Ihr Gesicht zeichnet sich durch markante, aber weiche Gesichtszüge aus. Sie hat grüne Augen, die oft lebhaft und neugierig wirken. Nadine hat eine freundliche Ausstrahlung und lächelt häufig.

Auf den Bühnen des OMR Festivals drehte sich alles um Künstliche Intelligenz (KI). Ich werde nicht die einzige im Publikum gewesen sein, der Schlagwörter wie Revolution, Massenentlassungen und Umwälzung der Gesellschaft ein mulmiges Gefühl bereitet haben. Aber noch denke ich, also bin ich.

Wie wichtig für den Menschen das Denken immer war, zeigt sich in dem berühmten Zitat des Philosophen René Descartes: Ich denke, also bin ich. ChatGPT will jetzt dem Menschen gerade das Denken abnehmen. Und was bedeutet das jetzt für die Gesellschaft?

Erstmal zu den Unternehmen, denn für sie liegen die Vorteile auf der Hand. Künstliche Intelligenz bietet eine riesige Chance die Produktivität immens zu steigern. Sascha Lobo sagt sogar, dass in Deutschland eigentlich alle Unternehmen bereits über KI sprechen müssten. Es müsse ein KI-Ruck durch Deutschland gehen.

Denn hört man den Expertinnen und Experten auf den Bühnen zu, scheint es, als sei Deutschland – mal abgesehen von dem heildelberger KI-Start-up Aleph-Alpha – mal wieder das Schlusslicht, wenn es um Innovationen im Bereich KI geht. 

Schaut man darauf, was KI für den Einzelnen bedeuten könnte, kann Buchautor Richard David Precht einem Angst und Bange machen. Laut Precht wird KI die Gesellschaft in einem ähnlichen Ausmaß verändern wie die Industrialisierung. Nur in der Hälfte der Zeit. 

Ist Bildung nichts mehr wert?

In einem Punkt unterscheidet sich die KI-Revolution von der Industrialisierung. Dieses Mal wird – so viele der Redner – nicht die hart arbeitende Bevölkerung an Fließbändern ihren Job verlieren. Dieses Mal trifft es die sehr gut Ausgebildeten. Es gibt bereits eine Studie, dass eine KI nicht nur im Bereich der Diagnostik, sondern auch wenn es um den empathischen Umgang mit den Patienten geht, bessere Ergebnisse abliefert als Ärzte. Eine KI kann Empathie, Humor oder künstlerische Inspiration nicht empfinden, aber schon jetzt täuschend echt vorgeben.

Welcher Arzt kann nach einer 24-Stunden-Schicht im Krankenhaus wirklich noch Empathie empfinden? Dass die KI, für die es keine Müdigkeit gibt, die Empathie in diesem Fall besser vorgeben kann als der überarbeitete Arzt – das ist nicht wirklich überraschend. Ähnliches gilt für Rechtsanwälte, Ingenieure. Also die Intelligenzia der Gesellschaft. Doch wie viel wird Intelligenz künftig noch wert sein, wenn eine KI Wissen im Bruchteil einer Sekunde liefern kann, wofür ein Mensch ein ganzes Studium absolviert.

Zum Glück gibt es den Fachkräftemangel!

Das klingt alles ziemlich düster. Aber zum Glück haben wir ja den Fachkräftemangel! Die extreme Steigerung der Produktivität kann sicherlich an vielen Stellen für Entlastung sorgen. Und wenn wir schlau sind, an den richtigen Stellen.

Die Empfehlung einiger der Experten, seinen Kindern in Zukunft von einem Studium abzuraten und den Nachwuchs lieber zu einer Ausbildung zum Altenpfleger oder Handwerker zu bewegen, würde ich deshalb erstmal mit Vorsicht genießen. Denn derzeit entscheiden doch immer noch wir darüber, wofür wir KI künftig einsetzen wollen und wofür besser nicht. Denn gerade die Industrialisierung ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie viel besser unser Arbeitsleben durch Innovationen geworden ist. Warum sollte sich das plötzlich ändern.

Der digitale Sockenvertrieb Snocks experimentiert bereits damit, die Produktbeschreibungen im Online Shop von ChatGPT schreiben zu lassen. Ich kann mir keinen Mitarbeiter vorstellen, der darüber traurig ist. Der Gründer der Banken-App N26 sieht große Chancen im Bereich der Betrugsprävention oder im Risiko-Scoring bei der Kreditvergabe. Tatsache ist doch, die Arbeit hat sich in den vergangenen 50 Jahren dermaßen verdichtet, dass ich mir eine gewisse Entzerrung ganz gut vorstellen könnte.

Doch was am Ende von all diesen Prognosen wirklich kommen wird, weiß heute in Wirklichkeit noch niemand: Werden wir Liebesbeziehungen mit KIs eingehen (schließlich sagen sie uns nur das, was wir hören wollen)? Werden wir Fans von KI-Musik-Bands werden (schließlich spielen sie haargenau die Musik, die wir lieben)? Wird eine KI die Hausaufgaben mit den Kindern machen (schließlich macht es ihr nichts aus, wenn ihr das Mathe-Heft entgegen fliegt)? Wenn uns das am Ende alle glücklicher macht, warum nicht?

Für mich klingt das alles ziemlich langweilig, wenn ich ehrlich bin. Wo bleibt da der Reiz des Unperfekten. Macht am Ende nicht sogar den Menschen aus, dass er nicht perfekt ist? Wird es in Zukunft vielleicht das sein, was eine KI von einem Menschen unterscheidet?

Vielleicht müssen wir den Satz von Descartes umschreiben: Ich bin fehlerhaft, also bin ich.

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