Prof. Hauer, die gesetzliche Rente gilt als Reformfall, die betriebliche Altersvorsorge ebenfalls. Von der neuen Bundesregierung kommen bislang eher vage Aussagen. Warum tut sich die Politik so schwer mit einer Neuausrichtung? Ich habe den Eindruck, dass die Bürger da schon weiter sind.
Hauer: Da haben Sie völlig recht. Auch aus meiner Sicht sind die Bürger weiter als die Politik. Sie warten geradezu auf Reformen, sehnen sich danach. Vieles wurde immer wieder aufgeschoben, es ist wenig oder gar nichts passiert. Die Politik tut sich schwer, weil es einfach zu viele Interessengruppen gibt. In ein so komplexes System einzugreifen, ist ohnehin schon schwierig – durch die Vielzahl der Beteiligten wird es noch komplizierter. Aber ich sehe mittlerweile Licht am Ende des Tunnels und bin überzeugt, dass in dieser Legislaturperiode tatsächlich etwas passieren wird.
Ihr Vortrag auf dem German Equal Pension Symposium trägt den Titel „Altersvorsorge-Reform – Warten oder Handeln“. Was spricht gerade mit Blick auf den Gender-Pension-Gap dagegen, noch länger zuzuwarten?
Hauer: Nicht nur beim Gender-Pension-Gap – es betrifft uns alle. Niemand sollte länger warten. Es gibt nur einen richtigen Zeitpunkt, mit Altersvorsorge zu beginnen, und der ist jetzt. Viele verdrängen das Thema, aber genau deshalb muss man es immer wieder ansprechen, auch wenn es schon oft gesagt wurde. Warten auf Reformen ist müßig – wenn man immer gewartet hätte, stünde man heute noch am Anfang. Man muss anfangen, das Beste aus dem aktuellen System machen. Dann kommt man auch gut zurecht.
Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, verdienen im Schnitt weniger. Führt das deutsche Rentensystem mit seiner engen Kopplung an das Erwerbseinkommen zwangsläufig zu struktureller Altersarmut bei Frauen?
Hauer: Leider ja. Ich habe dazu auch bereits Fachbeiträge veröffentlicht und konkrete Reformvorschläge gemacht. Die gesetzliche Rente benachteiligt Gering- und Niedrigverdiener strukturell – und das sind oft Frauen in Teilzeit. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wer 45 Jahre lang 30.000 Euro jährlich verdient – etwa als Friseurin oder Verkäuferin, in Teilzeit oder auch Vollzeit – bekommt am Ende rund 1.000 Euro Netto-Rente. Nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge bleibt sogar noch weniger. Das finde ich nicht fair. Wer 45 Jahre arbeitet, vor allem in Vollzeit, sollte mehr als 1.000 Euro Rente erhalten. Mein Vorschlag: Besserverdiener könnten etwas mehr zur Finanzierung beitragen, damit die Schwächeren profitieren.
Welche Rolle kann die betriebliche Altersvorsorge dabei spielen, die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen? Und was müsste sich dafür konkret ändern?
Hauer: Zunächst einmal müssten deutlich mehr Menschen die betriebliche Altersvorsorge überhaupt nutzen. Das System bietet sehr gute Möglichkeiten, wird aber noch zu wenig ausgeschöpft. Und zweitens sollte der Paragraph 100 EStG – also die steuerliche Förderung für Geringverdiener – weiterentwickelt werden. Der Paragraph wurde eingeführt, um gerade diese Zielgruppe zu stärken, doch der große Durchbruch ist bislang ausgeblieben. Ich hoffe, dass sich in dieser Legislaturperiode etwas bewegt.
Wenn Sie der Politik einen einzigen konkreten Reformvorschlag machen dürften, um die Rentenlücke von Frauen zu verringern – welcher wäre das?
Hauer: Wie gesagt: Paragraph 100 EStG weiterentwickeln – einfacher, attraktiver, breiter nutzbar machen. Das wäre ein wirksamer Hebel, speziell auch für Frauen mit geringem Einkommen. Darüber hinaus plädiere ich dafür, Riester-Rente und Basis-Rente – also die Rürup-Rente – zusammenzuführen. Eine solche Konsolidierung würde vieles vereinfachen und eine einheitliche, tragfähige Lösung schaffen – auch für Frauen, die im Laufe ihres Erwerbslebens zwischen Teilzeit und Vollzeit wechseln.