Die neuen Typklassen basieren maßgeblich auf Schadenquoten und Reparaturkosten. Wie transparent ist dieses System aus Ihrer Sicht für Verbraucher, und sehen Sie Verbesserungsbedarf bei der Methodik der Einstufung?
Petmecky: Der Anpassungsprozess der GDV-Typklassen folgt einem starren, aber intransparenten Rhythmus. Einmal jährlich werten die GDV-Statistiker aggregierte Schadendaten aller deutschen Versicherer der vergangenen drei Jahre aus. Dabei fließen Informationen von über 80 Versicherungsunternehmen in einen zentralen Bewertungsalgorithmus ein, dessen genaue Gewichtungen und Berechnungsparameter Geschäftsgeheimnis bleiben. Automobilhersteller, Werkstätten oder Verbraucherorganisationen haben keinen direkten Einfluss auf diesen Prozess – sie erfahren die Ergebnisse erst bei der Veröffentlichung. Ein strukturelles Problem entsteht dadurch, dass besonders innovative Fahrzeugkonzepte oder neue Technologien ohne historische Datenbasis bewertet werden müssen, was zu volatilen und oft unfairen Einstufungen führt. Ein Verbesserungsvorschlag wäre die Etablierung eines Beirats mit Herstellern, Werkstattverbänden und Verbraucherschützern, der bei methodischen Fragen mitwirkt und für mehr Transparenz bei den Bewertungskriterien sorgt.
Der Verivox-Vergleich zeigt deutliche Gewinner und Verlierer. Welche strategischen Auswirkungen erwarten Sie dadurch auf den Kfz-Versicherungsmarkt insgesamt?
Petmecky: Die deutsche Kfz-Versicherungslandschaft zeigt eine paradoxe Struktur. Während wenige Großkonzerne wie Allianz, Huk-Coburg und Generali den Markt dominieren, entstehen gleichzeitig Nischensegmente, die den klassischen Typklassen-Mechanismus umgehen. Leasing-Gesellschaften verhandeln Pauschalverträge direkt mit Versicherern, wodurch ein erheblicher Teil des Neuwagenmarkts den regulären Typklassen-Einfluss nicht spürt. Parallel entwickeln sich spezialisierte Anbieter für bestimmte Fahrzeugkategorien – von Oldtimer-Versicherern bis hin zu Elektroauto-Spezialisten. Diese Fragmentierung schwächt die Steuerungswirkung der Typklassen, da sie nur noch einen Teil des Gesamtmarkts erfassen. Regional verankerte Versicherer wie die Itzehoer oder VGH profitieren gerade von ihrer Flexibilität bei der Interpretation der GDV-Vorgaben und können durch maßgeschneiderte Tarife Marktanteile gewinnen. Grundsätzlich von Gewinnen und Verlieren zu sprechen, ist daher falsch. Vielmehr ist es eher ein Lotteriespiel, wie zuletzt bei der Grundsteuer: Den einen trifft es, den anderen nicht.

Arnd Petmecky (Foto: Bürgenstock Associates)
E-Autos werden häufig teurer eingestuft, weil Reparaturen kostspieliger sind. Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht technologische Entwicklungen – etwa günstigere Batterien oder vereinfachte Reparaturprozesse – für die zukünftige Typklasseneinstufung von Elektrofahrzeugen?
Petmecky: Die Kostendynamik bei Elektrofahrzeugen entwickelt sich in zwei entgegengesetzte Richtungen, was Typklassen-Prognosen erschwert. Einerseits treiben hochkomplexe Fahrerassistenzsysteme, empfindliche Sensortechnik und teure Batteriemodule die Reparaturkosten in die Höhe – ein Frontalcrash kann bei einem Tesla oder BMW iX schnell sechsstellige Reparaturkosten verursachen. Andererseits revolutioniert die Plattformstrategie der Hersteller die Ersatzteilversorgung. Volkswagens MEB-Plattform oder Stellantis‘ Multi-Energy-Architektur standardisieren Komponenten über verschiedene Marken hinweg, was mittelfristig die Teilepreise senken könnte. Entscheidend wird sein, ob die Versicherer rechtzeitig in spezialisierte E-Auto-Reparaturnetze investieren und ob sich modulare Reparaturkonzepte durchsetzen, bei denen defekte Komponenten getauscht statt repariert werden. Die Typklassen-Statistik hinkt dieser technologischen Entwicklung mindestens drei Jahre hinterher – ein strukturelles Problem des Systems.
Viele Autofahrer reagieren sensibel auf steigende Beiträge. Wie sollten Versicherungsvermittler ihre Kunden in der Wechselsaison beraten, wenn sich Typ- oder Regionalklassen zu deren Nachteil verändern?
Petmecky: Die Dominanz der Vergleichsportale hat die traditionelle Vermittlerrolle fundamental verändert. Verivox, Check24 und ähnliche Plattformen wickeln mittlerweile einen Großteil der Kfz-Versicherungswechsel ab und reduzieren die Entscheidung oft auf den reinen Preisvergleich. Typklassen-Änderungen werden hier algorithmisch verarbeitet und führen automatisch zu neuen Ranking-Listen, ohne dass eine persönliche Beratung stattfindet. Klassische Versicherungsmakler finden sich in einer Zwickmühle: Sie müssen gegen die Preistransparenz der Portale ankämpfen, können aber durch ihre Marktkenntnis und Beratungstiefe Mehrwerte schaffen, die über den reinen Preiswettbewerb hinausgehen. Erfolgreiche Vermittler nutzen die Typklassen-Volatilität als Beratungsanlass und positionieren sich als Marktexperten, die die komplexen Zusammenhänge zwischen Fahrzeugwahl, Typklassen und Versicherungskonditionen durchschauen. Die Digitalisierung eliminiert den klassischen Vermittler nicht, sondern zwingt ihn zur Spezialisierung und Professionalisierung.
Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.