Zölle gelten als Risiko für Wachstum und Handel – doch bislang hat die US-Wirtschaft erstaunlich wenig Schaden genommen. Arne Tölsner, Head of Client Group DACH bei Capital Group, sieht dafür mehrere Gründe: „Zölle sind kein Nullsummenspiel, aber sie wirken oft langsamer und diffuser als Schlagzeilen suggerieren.“
Belastung geringer als befürchtet
Nach Tölsners Einschätzung liegt die tatsächliche Abgabenlast für Unternehmen im Schnitt bei rund elf Prozent, obwohl die nominellen Sätze höher erscheinen. Viele Firmen hätten frühzeitig reagiert, Lieferketten angepasst und Ausnahmen genutzt. „Viele haben Puffer aufgebaut und Kosten verschoben“, erklärt er. Dadurch sei der unmittelbare Effekt der Zölle bislang abgefedert worden.
Auch die makroökonomischen Folgen halten sich im Rahmen. Ein zusätzlicher Prozentpunkt an Zöllen erhöhe die Inflation um etwa zehn Basispunkte und senke das Wachstum um rund fünf Basispunkte, so Tölsner. „Übertragen auf das aktuelle Niveau ergibt sich ein moderater Schub für die Inflation und ein leichter Gegenwind für das Bruttoinlandsprodukt. Das ist spürbar, aber kein Wachstumsstopp.“
Zeitverzögerte Preiswirkungen
Ein weiterer Grund für die Robustheit liegt im verzögerten Preisdruck. Die höheren Kosten treffen Unternehmen nicht schlagartig, sondern mit zeitlicher Verzögerung. Lagerbestände würden schrittweise ersetzt, wodurch die Preissteigerungen nur nach und nach in der Wirtschaft ankämen. Zudem mache der Warenimport nur einen begrenzten Teil der Wirtschaftsleistung aus. „Die Effekte laufen noch durch die Wertschöpfungsketten“, sagt Tölsner.
Auch die politische Dynamik spiele eine Rolle. Gespräche über Handelsabkommen hätten wieder an Bedeutung gewonnen, etwa bei der anstehenden Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens USMCA. „Handelspolitik bleibt ein wiederkehrendes Thema, aber mit weniger Überraschungseffekten als zum Start der Maßnahmen“, betont der Experte.
Globalisierung bleibt – in neuer Form
Trotz Unsicherheiten sieht Tölsner keine Abkehr vom globalen Handel. Vielmehr änderten sich die Strukturen: Wertschöpfung verlagere sich näher an Absatzmärkte, und neue regionale Handelsblöcke entstünden. „Wir sehen eine neue Architektur mit regionalen Blöcken und multilokalen Modellen“, so Tölsner.
Für Investoren bedeutet das ein Umfeld, in dem Flexibilität zählt. „Das aktuelle Umfeld spricht für selektives aktives Investieren mit Fokus auf Unternehmen, die Lieferketten flexibel steuern, Preissetzungskraft besitzen und in verschiedenen Regionen Umsätze erzielen“, resümiert Tölsner. Entscheidend sei Anpassungsfähigkeit statt Wetten auf binäre Szenarien.