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Wege aus der Absicherungsfalle

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DIe Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als erste Wahl in der Arbeitskraftabsicherung - doch die Abschlusszahlen sprechen eine andere Sprache. Alternativen Lösungen sind gefragt.

Die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als Königsdisziplin der Arbeitskraftabsicherung – und bleibt zugleich ein Sorgenkind. Hohe Prämien und eine geringe Abschlussbereitschaft prägen den Markt. Doch haben die Alternativen Erwerbsunfähigkeits- und Grundfähigkeitsversicherung eine Chance? 

Die Berufsunfähigkeit bleibt auch 2025 das vielleicht wichtigste, zugleich hartnäckig unterschätzte Risikofeld deutscher Haushalte. Zwar ist die Sensibilität für finanzielle Risiken gestiegen, doch die Verbreitung von Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) stagniert seit Jahren. Auch wenn die Coronapandemie das Bewusstsein für den Ernstfall geschärft hat – an der Abschlussbereitschaft ändert das wenig, wie ein Expertengespräch im Rahmen des Cash.-Extras „Arbeitskraftabsicherung“ deutlich machte.

Nach Angaben von Marko Ressel, Leiter Produktentwicklung Leben bei der Continentale, wird im Schnitt jeder vierte Deutsche berufsunfähig, 40 Prozent davon dauerhaft. Gleichzeit ist es aber so, dass junge Familien, die die Risiken sehen, aber oft nicht handeln. Vor dem Hintergrund sieht Sebastian Weigelt, Leiter Intermediärvertrieb Swiss Life, die BU als klassisches Beratungsgeschäft: „Das ist kein Thema, mit dem jemand morgens aufwacht und denkt, ‚darum kümmere ich mich jetzt‘.“ Hinzu kommt: Die Absicherung konkurriert mit Konsumwünschen. „Genau hier liegt die Herausforderung – und zugleich die Chance“, sagt Carsten Kock, Leiter Maklervertrieb HDI Leben.

Ein zentrales Problem ist die deutliche Spreizung bei den BU-Prämien. Büro- und Akademikerberufe lassen sich günstig versichern, während körperlich Tätige hohe Beiträge schultern müssen. Analysehäuser wie Franke und Bornberg kritisieren diese Drift seit Langem und deutlich.. Fakt ist aber auch – und das machte die Gesprächsrunde deutlich: Für manche Berufsgruppen ist eine Voll-BU – gemessen am Beitragseinkommen – kaum flächendeckend darstellbar. Vor dem Hintergrund braucht es im Vertrieb eine ehrliche Beratung über Kosten, Nutzen und Alternativen. Wie etwa die Grundfähigkeitsversicherung oder die Erwerbunfähigkeitsversicherung. 

Vor dem Hintergrund hoher Prämien und einer eher zögerlichen Nachfrage sind Alternativen gefragt. Ein Lösungsansatz sieht die Branche in der Integration der BU in die betriebliche Vorsorge. Insbesondere Kollektivlösungen – günstig kalkuliert und mit vereinfachten Gesundheitsprüfungen unterlegt – sowie Zuschüsse vom Arbeitgeber senken die Hürden. Parallel dazu fokussieren die Versicherer verstärkt auf die Zielgruppe Schüler, Studierende und Berufseinsteiger: Sie sind jung, gesund und zahlen verhältnismäßig niedrige Beiträge. Ein weiterer Vorteil: Ausgestattet mit einem günstigen Vertrag dürfte diese Kundengruppe in späteren Jahren kaum noch Neigungen verspüren, den Anbieter zu wechseln. Heißt: derartige BU-Verträge begleiten die Versicherer im Idealfall mehrere Jahrzehnte. 

Weigelt verweist auf Swiss Lifes Erfahrungen in dem Segment. Seit 2013 adressiert der Versicherer die Zielgruppe: Entscheidend seien hier Finanzierbarkeit und ein reibungsloser Übergang in lebenslange Absicherung, Stichwort Nachversicherungsgarantien. Außerdem hat der frühe Abschluss einer BU auch einen strategischen Wert für Versicherer und Versicherten: So sind die Beiträge planbar und spätere Einstufungen erfolgen ohne neue Gesundheitsprüfung. Ein absoluter Gewinn für Schülerinnen und Schüler, die später Berufe wählen, die deutlich schwerer versicherbar sind. 

Ein besonders heikler Punkt im Markt ist der Verweisungsverzicht. Der Weg, den etwa die HDI Leben hier eingeschlagen hat, sorgt für Diskussionen. Analysehäuser wie Franke und Bornberg kritisieren den Ansatz und sorgen sich um die langfristige Stabilität. Vertriebsleiter Carsten Kock verteidigt die Entscheidung vehement und machte im Gespräch deutlich, dass der vollständige Verweisungsverzicht Komplexität und Streit reduziere und für Kunden Klarheit bringt: Wer mindestens 50 Prozent berufsunfähig ist, erhält seine BU-Rente. Andere Gesellschaften wie die Continentale oder Swiss Life wollen nicht so weit gehen, weil man die Kollektivstabilität schützen möchte. „Leistungserweiterungen ohne saubere Kalkulation gefährdeten das Gleichgewicht“, warnt Swiss Life Mann Weigelt. HDI Kock entgegnet, alles sei solide durchgerechnet, Kennzahlen bei Annahme-, Leistungs- und Prozessquote sprächen für die Tragfähigkeit.

Parallel zur BU gewinnt die Grundfähigkeitsversicherung (GF) im Markt an Sichtbarkeit. Swiss Life und HDI bestätigen eine deutlich gestiegene Nachfrage und sehen das Produkt als ideale Ergänzung zur BU. Doch nicht jeder Versicherer ist von dem Trend überzeugt. So bietet etwa die Continentale keine GF an, sondern setzt auf die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) als Alternative. Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Franke und Bornberg-Geschäftsführer Michael Franke im Interview mit Cash. äußerst kritisch über die Tendenzen im Markt geäußert. „Die Anbieter sind schon wieder mit dem falschen Fokus unterwegs. Sie wollen mit Überbietungen die Vermittler für sich gewinnen und dabei verkomplizieren sie die Produkte unnötig. Aus der einfach verständlichen Alternative wird zunehmend ein sehr komplexes Produkt“, monierte der Experte. „Das kann für Vermittler gefährlich sein, wenn vergessen wird zu dokumentieren, warum manche Grundfähigkeiten im Leistungsfall nicht versichert sind“, warnte Franke weiter. Infolge des neuen Wettbewerbs steuert das Analysehaus inzwischen gegen. „Wir versuchen mit dem Rating gegen die schwer zu beherrschende Baustein-Philosophie zu steuern und haben Kerngrundfähigkeiten definiert, die abgedeckt sein sollten. Damit stellen wir sicher, dass Produkte mit Höchstrating alle wichtigen Grundfähigkeiten abdecken“, erklärte Franke.

Bei der BU und der Erwerbsunfähigkeitsversicherung gibt es eine im Wesentlichen einheitliche Kerndefinition, wodurch Fehler bei der Produktauswahl unwahrscheinlich sind. Bei der Grundfähigkeitsversicherung ist dies nach Angaben des Experten anders. Grundfähigkeiten mit derselben Bezeichnung können je nach Anbieter unterschiedlich definiert sein. Ein weiteres Manko: Packe man alle Bausteine zusammen, seien die Produkte oft teurer als eine BU, bieten aber weniger Leistung. „Das ist unsinnig“, kritisierte Franke seinerzeit. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion zieht HDI-Mann Kock zieht eine klare Linie: „Für mich ist die einzige echte Alternative zur BU eine BU.“ Die GF sei kein Ersatz, sondern ein eigenständiger Ansatz für Kunden, die keine BU wollen oder können. 

Ob die Erwerbsunfähigkeitsversicherung als Alternative taugen wird, darüber diskutiert die Branche kontrovers: Nur wenige Anbieter setzten auf das Produkt, was bei den Analysehäusern wie Morgen & Morgen sowie Franke und Bornberg nur Kopfschütteln auslöst. So hat HDI die EU zugunsten der GF aufgegeben, Swiss Life hat zwar eine EU im Rahmen seiner Branchenlösung im Angebot, während die Continentale die EU in vielen Konstellationen für den stimmigeren Ersatz hält. 

Damit stehen Vermittler in der AKS-Beratung vor einer Herkulesaufgabe: „In manchen Fällen ist die Erwerbsunfähigkeitsversicherung die logische Alternative zur BU – etwa wenn Psyche abgesichert sein soll, der Preis für eine angemessene BU-Rente aber zu hoch ist“, erklärt Franke. Bei körperlich Tätigen müsse man berücksichtigen, dass sie bei Erkrankungen des Bewegungsapparats oft noch kaufmännische Tätigkeiten ausüben können. Damit läge noch keine Erwerbsunfähigkeit vor. Um Leistungen aus einer EU zu erhalten, muss man außerstande sein, irgendeine Erwerbstätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts für mindestens drei Stunden täglich auszuüben. „Ich bin ein Befürworter der Grundfähigkeitsversicherung, aber vermute, dass es viele Enttäuschungen geben wird, wenn das Produkt nicht korrekt beraten wird.“ Sein Tipp: Vermittler sollten Kunden die drei heute üblichen Lösungen BU, EU und GF vorstellen und gemeinsam entscheiden lassen. „Dann dürfte es kaum zu Haftungsproblemen kommen, dafür aber zu mehr Vertragsabschlüssen.“

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA Arbeitskraftabsicherung. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.

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