Wenn die Maschine besser weiß, was Bankkunden brauchen

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Wer kennt es nicht: Kaum hat man sich in der realen Welt über ein Darlehen für die anstehende Hausrenovierung oder die Bedingungen einer PKW-Finanzierung unterhalten, taucht beim nächsten Besuch in Social Media maßgeschneiderte Bannerwerbung auf dem Display auf. Das Netz weiß, was sich Bankkunden wünschen. Aber warum weiß die eigene Bank das nicht?

Stattdessen flattert mit trauriger Regelmäßigkeit das Standard-Angebot für eine Finanzierung zu Superzinsen in den Briefkasten. Massenware – für alle das Gleiche. Der Marketingaufwand ist schon Altpapier, bevor er überhaupt seinen Adressaten erreicht. Tatsächlich war es bisher sehr aufwändig, Detailwissen über eigene oder potenzielle Kunden zu sammeln.

Es sei denn, das Beraterteam einer Bank hat jahrzehntelang mit festen Beratern intensiv an der Kundenbeziehung gearbeitet und ist stets auf dem neuesten Stand. Oft ist das, zum Beispiel bei Spezialfinanzierern, so gar nicht möglich. Und in Zeiten von Machine-Learning und Künstlicher Intelligenz (KI) muss das auch längst nicht mehr sein. Qualitativ hochwertige Daten sind der Schlüssel zu kundenzentrierter Ansprache im Marketing von Banken. KI kann zum Beispiel Entscheidungshilfe in Echtzeit für das Kreditgeschäft liefern, Teile der individuellen Kommunikation automatisieren und der Markt kann durch intelligente Software nach neuen Verkaufschancen durchsucht werden. KI-Anwendungen sind Teil der Digitalisierungsstrategie einer Bank, und 85 Prozent der Banker waren laut einer adesso-Studie 2021 davon überzeugt, dass es viele Vorteile bringt, in diese Technologien zu investieren.

Tim Strohschneider, adesso

Mein Kunde, das rätselhafte Wesen – dank Next-Best-Action ist das Vergangenheit

Der Arbeitsalltag sieht aber manchmal anders aus: Mitarbeitende recherchieren manuell nach Informationen über potenzielle oder Bestandskunden. Trotzdem bleibt der Markt undurchsichtig und Kunden gelten manchmal gar als mysteriöse Wesen – begehrenswert, aber unerreichbar. Dieses Problem betrifft sowohl die Kundenbeziehungen im B2B- (Business-to-Business) als auch im B2C-Bereich (Business-to-Customer).

Dabei lastet enormer Druck auf den Verantwortlichen in Vertrieb und Marketing: Wettbewerber wirbeln Märkte durcheinander, neue Kanäle verändern die Kommunikation. Der Next-Best-Action-Ansatz ermöglicht es, die Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden vorauszuberechnen und sinnvolle nächste Schritte aufzuzeigen. Immer im Blick: Wie wird aus dem neuerworbenen Wissen über die Kunden ein konkreter Abschluss? Das Ziel besteht darin, den richtigen Gesprächsanlass zur richtigen Zeit zu ermitteln und beides mit dem Angebot von kundenspezifischen Lösungen zu kombinieren. Und auch wenn der Kunde es nicht ausspricht, im Stillen muss er denken: „Mensch, das kommt wie gerufen!“ Dann hat das Team aus Mensch und Maschine alles richtig gemacht.

Mensch und Maschine in Kollaboration

KI ersetzt die manuelle Recherche. Die Software ist schneller, gründlicher und oft auch kreativer, um aus den Daten Wissen zu generieren. Ein Praxisfall kann die Analyse von Mietzahlungen in Kombination mit Sparraten, Alter und weiteren Parametern sein, um zu erkennen, dass der Kauf einer Immobilie ein guter Schritt für den Bankkunden sein kann. Gibt es weitere Finanzinformationen, kann sogar die gewünschte Lage der Immobilie vorausberechnet und daraufhin ein maßgeschneidertes Angebot für Kundinnen und Kunden erstellt werden.

Wenn dann ein konkretes Angebot für Kundinnen und Kunden zur richtigen Zeit kommt, haben sie das Gefühl, dass ihnen ihre Wünsche von den Augen abgelesen werden, und sie fühlen sich wirklich verstanden. Das hebt die Bank-Kunden-Interaktion auf ein neues Level. Die Bank wird vom Dienstleister zum Partner.

Dieser Ansatz birgt zwar gewisse Herausforderungen, wie zum Beispiel den Datenschutz. Hier muss immer individuell geprüft werden, was rechtlich möglich und ethisch vertretbar ist. Aber das wird in der Proof-of-Concept-Phase für KI-Anwendungen routinemäßig berücksichtigt.

Wie kann Künstliche Intelligenz dabei helfen?

Um künftige Bedürfnisse von Bankkundinnen und -kunden zu erkennen, ist es wichtig, bisheriges Verhalten aus historischen Daten zu analysieren. Man kann hier aus der Vergangenheit Rückschlüsse auf die Zukunft ziehen. Dazu können verschiedene Quellen genutzt werden: interne Daten (zum Beispiel aus dem CRM) und externe Daten (etwa Internetseiten, öffentliche oder kommerzielle Register). Speziell trainierte Algorithmen können aus diesen Daten Verbindungen und Muster erkennen, um daraus Vorschläge für eine kundenindividuelle Ansprache abzuleiten.

Die Daten liegen gewissermaßen auf der Straße – Wir müssen sie nur aufsammeln

Am Praxisbeispiel wird es deutlich: Ein Finanzierer im Automobilbereich wollte wissen, warum Geschäft an ihm vorbeiging beziehungsweise wo potenzieller Umsatz im Online-Handel ungenutzt blieb. Die Aufgabe: Wie versetzen wir einen Spezialfinanzierer in die Lage, einen komplexen Markt zu durchdringen und versteckte Chancen für sein Geschäft zu nutzen? Mit intelligenter Technologie – ist die eindeutige Antwort. Marktrelevante Daten externer Plattformen mussten dazu in den bestehenden Akquise-Prozess integriert werden. Frei zugängliche, aber unstrukturierte, teils schwierig nutzbare Daten interner und externer Quellen wurden durch Crawler durchsucht. Dabei werten intelligente Algorithmen geschäftsrelevante Inhalte aus und speisen sie über vorgefertigte Schnittstellen in die bestehende Prozesslandschaft ein. Vortrainierte Sprachverständnismodelle lassen sich leicht an die Aufgabe anpassen. Die Künstliche Intelligenz kann dabei Daten miteinander in Verbindung bringen, die zunächst keinen offensichtlichen Bezug haben. Anhand einer kleinen Trainingsmenge kann der selbstlernende Algorithmus durch Flexibilität im System Daten intelligent verarbeiten, ohne dass vorher zig feste Regeln programmiert werden müssen. Was die Suchmechanismen finden, ist so immer auch eine Überraschung. KI versteht Internetseiten auch dann, wenn die wichtigen Informationen verklausuliert sind und sich geradezu verstecken. 

Daten werden in neuronalen Netzen aufbereitet

Auch die Bewertung der Daten erfolgt automatisiert. Relevante Informationen werden erkannt und den einzelnen Bereichen zugeordnet. Wer zum Beispiel im B2B-Bereich verstehen möchte, mit welchem Gesprächsanlass er auf seine Kundschaft – ganz egal ob Bestands- oder Neukunde – zugehen sollte, kann profitieren. Interne Informationen, zum Beispiel aus dem Customer-Relationship-Management, werden mit den externen in Verbindung gebracht, etwa aus Pressemitteilungen, Newsportalen oder sozialen Netzwerken. So wird die Ansprache deutlich individueller, denn man führt kein generelles, sondern ein anlassbezogenes Gespräch, baut dadurch Vertrauen auf und sichert sich langfristig die Möglichkeit für Geschäfte.

Was kann man von den Daten erwarten?

Das Ergebnis sind detaillierte Informationen, die im Fall des Automobil-Finanzierers konkrete Anlässe zur Kontaktaufnahme auflisten. Die Daten sind nicht nur in ihrer Quantität, sondern vor allem auch in ihrer Qualität entscheidend, um mit tatsächlich relevanten Angeboten auf Kunden zugehen zu können. Der Anspruch muss immer sein: Verkaufschancen deutlich zu erhöhen und dem Vertrieb die klare Empfehlung an die Hand zu geben, wohin er seine Akquise-Energie wenden muss. Mensch und Maschine arbeiten hier erfolgreich Hand in Hand. Denn am Ende machen die Vertriebsmitarbeiter immer noch selbst den Abschluss.

Autor Tim Strohschneider ist Senior Business Development Manager, Line of Business Banking bei adesso SE.

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