Private Altersvorsorge: „Wir müssen als Branche tatsächlich auch politische Arbeit leisten“

Von links nach rechts: Thomas Wesel, Produktmanager Lebensversicherung, Volkswohl Bund; Marcus Langer, Bereichsleiter Versicherer-, Vermittler- und Bankenvertrieb, Ökoworld; Christian Nuschele, Head of Distribution, Standard Life Deutschland; Dirk Hotopp, Geschäftsführer und Head of Sales, Hausvorteil; Thomas Pollmer, Leiter Produktmanagement Leben, Continentale Leben

Die Voraussetzungen für die private Altersvorsorge in Deutschland waren schon mal besser. Rund 70 Prozent der Menschen hierzulande sind der Meinung, sie haben eine finanzielle Vorsorgelücke im Alter, nur vier Prozent sind mit ihrer Vorsorge zufrieden. Auf der anderen Seite rüttelt die Europäische Kommission an den Grundfesten des Beratungssystems in Deutschland. Doch welche Folgen hätte ein Provisionsverbot und wie steht es um die Vorsorgebereitschaft? Cash. diskutierte mit Thomas Wesel, Volkswohl Bund; Thomas Pollmer, Continentale; Christian Nuschele, Standard Life; Marcus Langer, Ökoworld, und Dirk Hotopp, Hausvorteil, über das spannende Thema Altersvorsorge.

Aus Gründen der Aktualität würden wir sehr gerne mit einem politisch brisanten Thema starten. Das generelle Provisionsverbot ist zwar vom Tisch, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Wie bewerten Sie die Pläne? 

Wesel: Als Volkswohl Bund arbeiten wir ausschließlich mit freien Vermittlern zusammen und da ist es uns ein Anliegen, dass eine gute Beratung vor Ort vergütet wird und auch durch eine Provision. Wir bieten für Berater, die ohne Provisionen arbeiten, jedoch auch Honorartarife an. Trotzdem: Wenn man sich das Gefüge in Deutschland anschaut, passiert zu wenig bei der Altersvorsorge. Ich glaube, mit einem Provisionsverbot, was dann auch fondsgebundene Versicherungen betreffen würde, würde es noch viel dramatischer. Denn wer ist es gewohnt, für eine Beratung zu zahlen? Das ist in der Regel der Besserverdienende, der die Rechnung für die Beratungsleistung auch bezahlen würde. Viele andere hingegen sind auf die Beratung eines Vermittlers angewiesen, der dann durch eine Versicherungsgesellschaft vergütet wird. 

Nuschele: Wir stehen auf dem Standpunkt, dass ein Nebeneinander von Provisionen und Honorarberatung möglich sein muss. Das haben wir auch immer wieder deutlich gemacht. Wir kommen aus dem britischen Markt, in dem wir sehen, dass gerade für den typischen Altersvorsorgesparer gar keine Altersvorsorgeberatung mehr angeboten wird. Auch deswegen, weil nur noch gegen Honorar beraten wird und die Honorarberater und fee-based Advisors sich sehr viel lieber mit der Vermögensanlage auseinandersetzen als mit der Altersvorsorge. Ich denke, das ist politisch ein fatales Zeichen, wenn es wirklich zur Umsetzung eines Verbotes käme. Ich glaube, dass die EU-Kommission einen neuen Grundsatz schaffen will und das Thema entsprechend konsequent weiterverfolgen wird. Ob der dann in der lokalen Gesetzgebung tatsächlich umgesetzt wird, das steht für mich noch zur Debatte. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir mit der deutschen Gesetzgebung in die richtige Richtung gehen. Und ich denke, da müssen wir als Branche tatsächlich auch politische Arbeit leisten. 

Herr Langer, Sie sind ja zunächst nicht direkt betroffen von den Plänen?

Langer: Wir sind als Versicherungsmakler gegründet worden und haben auch noch immer einen sehr hohen Privatkundenbestand. Und entsprechend verkaufen wir auch immer noch Rentenversicherungen. Zudem haben wir unsere Fonds bei ganz vielen Versicherungsgesellschaften platziert, unter anderem eben auch mit der Klimarente. Das ist jetzt meiner Ansicht nach ein Vorstoß mit einer neuen Güte und Qualität. Wenn man glaubt, dass man damit für den Kunden Vorteile schafft, dann müssen wir nur auf die Berufe schauen, die eine feste Abrechnungsverordnung haben, Rechtsanwälte oder Steuerberater. Dann stellen wir nämlich fest, was Herr Nuschele sagte: Die, die richtig gut sind, arbeiten mit den Kunden, die bereit sind, über Tarif zu bezahlen. Und dann gibt es, die, die nicht so gut und günstiger sind. Und genau das wird auch im Bereich der Altersversorgung in Deutschland passieren. Und das können wir hier gar nicht gebrauchen. 

Pollmer: Über die neuen Regelungen wird versucht, günstigere Produkte anzubieten. Wir haben zwei große Kostenblöcke in den fondsgebundenen Versicherungsprodukten. Das eine sind unsere Versicherungskosten und das andere die extern anfallenden Fondskosten. Wir liegen normalerweise bei Altersvorsorgeangeboten bei den reinen Versicherungskosten bei Effektivkosten zwischen 0,8 und 1,3 Prozent. Ein aktiv gemanagter Fonds produziert in der Regel zwischen ein und zwei Prozent laufende Kosten. Günstigere Fonds sind nur noch zu bekommen, wenn auf aktive Managementleistungen verzichtet wird. Dafür bieten wir als Versicherer aber auch bei fondsgebundenen Altersvorsorgeprodukten Garantien an. Das ist uns wichtig. Mit einem garantierten Kapital zum Rentenbeginn und dem garantierten Rentenfaktor haben die Kunden Planungssicherheit für die Rentenphase – das kostet zwar auch, ist aber doch absolut im Sinne des Verbrauchers. Zudem erhalten unsere Kunden zusätzliche Überschussleistungen, zum Beispiel fondsindividuelle Überschüsse, in Abhängigkeit von den gewählten Fonds. Dies senkt indirekt die Kostenbelastung.

Hotopp: Wir sprechen hier immer noch von Altersvorsorge und nicht vom jährlichen Wechsel einer Kfz-Versicherung. Wir treffen Entscheidungen, die über einen längeren Zeitraum Früchte tragen sollen. Wenn ich mir die gute Beratungsleistung nicht mehr erlauben kann, weil das Honorar, das von einem guten Berater verlangt wird, zu hoch ist, dann habe ich ein Problem. Auch wenn wir kein Versicherer sind, arbeiten wir beinahe durchgängig mit freien Vermittlern zusammen. Und die müssen sich refinanzieren. Deswegen bin ich ganz bei Herrn Nuschele: Man muss mehrere Optionen zulassen. Wir haben gerade in der Versicherungsbranche auf dem freien Markt nicht nur durch die Demografie ein Vermittlersterben. Wenn ich nicht nur noch über den angestellten Vertrieb mit fokussierter Ausrichtung vertreiben möchte, also eine Diversifizierung durch den Markt noch weiter stattfinden lassen will, dann muss ich auch die Verdienstchancen herstellen. Als Hausvorteil arbeiten wir mit rund 300 freien Vermittlern zusammen. Rund ein Drittel hat Versicherungsbestände etwa in der Wohngebäudeversicherung. Als Teilkäufer muss ich für die älteren Kunden auch adäquate Versicherungslösungen anbieten können. Wenn denen die Möglichkeit genommen würde, durch eine Abschlussprovision signifikant ihr Geschäft zu finanzieren, dann brechen uns die Vermittler für unseren Markt weg. Dies über Brüssel komplett zu entscheiden, halte ich für einen massiven Eingriff. 

Lassen Sie uns auf die Altersvorsorge kommen. Der GDV hat die Prognosen im Bereich der Lebensversicherung für 2023 deutlich nach unten korrigiert. Wie herausfordernd ist die Altersvorsorge aktuell? 

Pollmer: Wir als Continentale sind in der angenehmen Situation, dass wir uns seit einigen Jahren von dieser Marktentwicklung erfolgreich entkoppelt haben. Wir wachsen Jahr für Jahr im Lebensversicherungsbereich. Weil wir es geschafft haben, mit unserem Service- und Produktangebot die Vermittler und die Kunden zu überzeugen. Aber es ist schon so, dass der Markt inzwischen sehr divergierende Anforderungen hat. Wir haben die Angstsituation durch die Polykrise. Und die Kostenexplosionen waren signifikant spürbar. Wir sind aber auf einem guten Weg und die Maßnahmen, die von der Bundesregierung beschlossen wurden hinsichtlich dieses Inflationsausgleichsgesetzes, wirken tatsächlich. Fakt ist aber auch, dass durch die Inflation die Kaufkraft der Älteren in der Altersvorsorge gelitten hat. So gesehen ist eigentlich ein erhöhter Bedarf für Altersvorsorge entstanden. Vor dem Hintergrund der Polykrise erwarten die Kunden heute ein Höchstmaß an Flexibilität bei ihren Verträgen. Und wir müssen die bieten, wenn wir nicht wollen, dass die Verträge ständig storniert, beitragsfrei gestellt und reaktiviert werden. 

Wesel: Auch wir haben die Polykrise kaum im Altersvorsorgebereich gemerkt. Was wir eher gemerkt haben, war die Absenkung des Rechnungszinses. Infolgedessen haben wir als großer Versicherer im Riestergeschäft das Angebot gegen Provisionszahlung vom Markt genommen. Selbst wenn wir Riester voll aus dem Neugeschäft herausrechnen, haben wir ein zweistelliges Plus. Aber was bedeutet die Inflation für die Altersvorsorge? Entweder muss ich die Beiträge erhöhen oder mehr Rendite erwirtschaften. Da ist die Bevölkerung zurückhaltend. Wir haben zusammen mit den größeren Vertriebspartnern das Inflationsthema dafür genutzt, Bestandskunden anzusprechen und sie für Erhöhungen in der Altersvorsorge zu sensibilisieren. Und das nicht nur im Altersvorsorgebereich, sondern auch in der Biometrie. Sicherlich hat nicht jeder dies angenommen, aber trotzdem sind wir sehr zufrieden mit dem Ergebnis.  

Christian Nuschele: „Dass Banken jetzt wieder Zinsen zahlen, könnte herausfordernd werden.“

Herr Nuschele, wie hat sich die Krise bei Ihnen ausgewirkt? 

Nuschele: Wir haben schon gemerkt, dass die Gespräche herausfordernder geworden sind. Die Menschen haben sich schwergetan, langfristige Entscheidungen zu treffen. Wir sehen im Moment eine deutliche Entspannung. Man ist jetzt wieder klarer, weil die Lohnabschlüsse höher waren, und man auch die Heiz- und Stromrechnungen kennt. Insofern ist die Bereitschaft wieder da, sich mit der Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Eine große Herausforderung gab es allerdings im Bereich der Einmalanlagen. Wir schreiben als Versicherer ungefähr fünfzig Prozent unseres Neugeschäfts im Einmalanlagebereich und das im rein fondsgebundenen Bereich. Der Wegfall der Negativzinsen bringt ein vermeintliches Stück Sicherheit. Spar- und Tagesgeldkonten scheinen wieder an Beliebtheit zu gewinnen. Da gilt es jetzt tatsächlich, aktiv zu werden und auch ganz bewusst in Beratungssituationen darauf hinzuwirken, dass mit der erhöhten Inflation umgegangen werden muss und Entscheidungen für rentierliche Geldanlagen tatsächlich wieder getroffen werden müssen. Die Tatsache, dass die Banken jetzt auch wieder Zinsen zahlen, könnte herausfordernd werden, wenn man zu lange nicht aktiv wird. 

Angesichts der hohen Inflation müsste deutlich chancenorientierter angelegt werden – weniger Sicherheit, mehr Rendite. Wie steht es um die Bereitschaft der Menschen, sich darauf einzulassen?  

Wesel: Anhand unserer Zahlen sehen wir definitiv, dass in der langfristigen Altersvorsorge vermehrt Produkte ohne Garantie abgeschlossen werden. Und wir sehen es auch in der Vermittlerstruktur. Je jünger ein Vermittler, desto weniger werden Produkte mit Garantien angeboten. Es bezieht sich also nicht nur auf die Kundensicht. Der junge Altersvorsorgekunde, der 25 Jahre ist und länger als 40 Jahre in einen Vertrag einspart, braucht eine Garantie vielleicht auch gar nicht. Zudem sehen wir klar die Abkehr vom klassischen Produkt hin zu den fondsgebundenen Produkten. Und das gilt auch für den Kundenkreis, für den Garantien noch wichtig sind. Etwa in der betrieblichen Altersversorgung, wo der Arbeitgeber auf die entsprechenden Garantien aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen achten muss. 

Nuschele: Tatsächlich sehen auch wir, dass die Kunden bereit sind, sich darauf einzulassen. Wir bieten nur solche Produkte an, und das sehr erfolgreich. Allerdings ist die Vorsicht immer noch geboten im Beratungsgespräch. So bieten wir einen so genanntes Startmanagement. Dabei werden die Investitionen zuerst sicherheitsorientiert angelegt und danach über einen gewissen Zeitraum in die tatsächlichen Zielinvestments umgeschichtet, um negative Market Timings zu vermeiden. Solche Mechanismen kommen sehr gut an. Das generelle Verständnis, dass ich für langfristige Geldanlage keine Garantie brauche, wächst. Und es ist bei uns keine Frage des Vermittlers oder der Vermittlerstruktur. Da hat die Professionalität deutlich zugenommen, auch im Bereich der Kapitalanlageberatung. 

Langer: Wir hatten im vergangenen Jahr einige hundert Millionen Nettomittelzufluss über alle Vertriebskanäle. Und allein schon, dass wir überhaupt weiter Nettomittelzufluss hatten, das ist ein Punkt, der im Investmentbereich doch nicht so gang und gäbe war. Spannend ist, dass wir auch über unseren Mischfonds hinaus sehr starke Mittelzuflüsse hatten. Auch in unseren Aktienfonds wie dem Classic, unserem Flaggschiff. Wenn die Inflation anhält, dann wird das, was der Bürger spart und an Rente erwartet und bekommen wird, nochmals weniger Wert sein. Vielleicht kommt es dem Staat gar nicht mal so ungelegen? Weil dann in Zukunft die Rentenansprüche, die befriedigt werden müssen, sich leichter bezahlen lassen. Wie hoch dann der Ansporn sein muss, so etwas zu unterbinden, will ich mal dahingestellt sein lassen. Ende der 90er Jahre musste man die Sparer mit Affinität für Aktien suchen. Inzwischen ist es aber so, dass immer mehr Menschen die Angst vor der Aktie verloren haben. 

Thomas Pollmer: „Das Bewusstsein für Investments hat sich gewandelt. Und der Wandel hat vehement an Fahrt aufgenommen.“

Pollmer: Das Bewusstsein für Investments hat sich im deutschen Markt tatsächlich gewandelt. Und der Wandel hat vehement Fahrt aufgenommen. Wir sehen gerade bei den jungen Kunden, eine breite Akzeptanz, chancenorientiert mit Fonds zu investieren. Die Menschen kommen klar mit geringeren Garantien. Weil man offensichtlich ein besseres Verständnis hat, welche Chancen die Kapitalmärkte bieten. Die Kunden haben verstanden, dass Sachwerte-Investieren über Fonds an den Kapitalmärkten langfristig ertragreicher sein kann als das zu übervorsichtige Anlegen. Dennoch ist das Thema Garantien nicht tot. Es ist sogar weiterhin wichtig, da sich das Angebot immer auch am Sicherheitsbedürfnis und der Anlagementalität des Kunden orientieren muss. Daher haben wir als Vollsortimenter neben Fonds-Renten und Hybrid-Produkten auch weiterhin kapitaleffiziente klassische Produkte im Portfolio. Hier beobachten wir, dass sich das Thema Garantien stärker in die zweite Schicht, also insbesondere in Richtung betriebliche Altersversorgung und Riester, verlagert. Also dorthin, wo es noch die gesetzlichen Mindestanforderungen gibt. 

Wesel: Wir haben gerade über Garantie und Thema Inflation gesprochen. Ist da nicht eine Fondspolice vor dem Hintergrund eines inflationären Umfeldes sogar eher eine Garantie als ein klassisches Produkt? Und was schützt mich am besten vor einer Inflation? Das sind eben die Sachwerte, das sind Aktien. Wer vor 50 Jahren eine Siemens Aktie gekauft hat, der ist nach wie vor an einem guten Wert beteiligt. Ich finde, das ist auch ein wichtiger Aspekt für die Beratung. Dass über einen langfristigen Zeitraum von 30 oder 40 Jahren gerade dieser Sachwert-Bezug einen hohen Inflationsschutz in der Altersvorsorge bietet. 

Herr Hotopp, wie macht sich das bei Ihnen im Immobilienbereich bemerkbar?

Hotopp: Unser Kunde ist im Durchschnitt 65 Jahre alt, wenn dieser seine Immobilie zum Teil an uns verkauft. Wir sprechen hier aber nicht mehr von Altersvorsorge, sondern der Finanzierung des dritten Lebensabschnitts. Wir merken, dass die Kunden, die in den Siebziger-, Achtzigerjahren ihr Eigentum erworben hatten, durch die Zinssenkungen der letzten Jahre in der Altersvorsorge extreme Einbußen hinnehmen mussten. Da hat sich in der Altersvorsorge ein Finanzloch aufgetan. Und diese Rentenlücke finanzieren wir. Es ist nicht die Schuld des Versicherers. Das hat etwas mit der Zinsthematik der Vergangenheit zu tun. Der Kunde sieht das anders. 

Wie wirkt sich die Zinsthematik bei ihnen im Immobilienbereich aus?

Hotopp: Durch die Energiekosten und ungeklärte Fragen rund um die Energiepläne der Regierung bestehen viele Unsicherheiten. Diese betreffen unter anderem die Energieverbrauchskosten einer Immobilie, die regulatorischen Vorschriften durch den Gesetzgeber oder die anstehende Sanierung und Modernisierung der Immobilie. Doch mit welchem Kapital soll ein Kunde, der über 60 ist, dies decken? Das Dilemma ist die Refinanzierung. Bei klassischen Bankprodukten wäre die monatliche Zusatzbelastung durch Zins und Tilgung nicht mehr zu tragen. Aus der Immobilie ausziehen geht ebenfalls kaum, weil das Angebot im Wohnungsmarkt knapp ist. Diese Menschen im letzten Lebensdrittel sind in einer schwierigen Situation. Weil sich hier eine systemische Lücke aufgetan hat. Und die versuchen wir zu schließen. Der noch sehr junge Markt wächst gerade exorbitant. Wir zahlen Einmalbeiträge. Und dieses Geld will flexibel gemanagt werden, mit der Möglichkeit der Geldentnahme. Und da merke ich bei unserer Kundschaft, dass die Anschlussberatung fehlt. Viele unserer Kunden suchen nach Hilfe und sind diesbezüglich ratlos. 

Das Thema Wiederanlage ist nicht neu. Es gibt diverse Studien, die zeigen, dass die Versicherer das Geld ihrer Kunden liegen lassen. Und ich vermute, dass die Unsicherheiten durch die Ukrainekrise, Zinsentwicklung und die Inflation eher noch größer geworden sein dürften. 

Hotopp: Leider ja.

Thomas Wesel: „Ist eine Fondspolice vor dem Hintergrund des inflationären Umfeldes nicht eher eine Garantie?“

Ich würden den Ball gerne an die Versicherungswirtschaft weitergeben. Welche Lösungen bieten Sie? Denn mittlerweile sind 22 Prozent der Gesellschaft älter als 65 Jahre. Und die Generation kann man eigentlich nicht außen vor vorlassen.

Pollmer: Wir sehen in der Altersklasse 60 plus zwei Zielgruppen. Wir haben die einen, die viel Geld zur Verfügung haben. Und wir haben die anderen, die es nicht geschafft haben, genügend Altersvorsorge aufzubauen. Wir haben uns auch Gedanken gemacht und dazu entschlossen, die Investment-Idee auch in die Rentenphase zu übertragen, mit einem investmentorientierten Rentenbezug. Also eine lebenslange Leibrente und kein Investmententnahmeplan. Über einen mathematischen Algorithmus investieren wir gut die Hälfte des vorhandenen Kapitals in frei vom Kunden wählbare Fonds. Es bietet auf der anderen Seite den Kunden, die vielleicht nicht genügend Kapital aufgebaut haben, die Chance, auch in der Rentenphase die Rente durch die Fondswertentwicklung etwas zu steigern. Es gibt eine Handvoll Anbieter neben uns, die sich in dieses neue Segment der Rentenphase gewagt haben. Wir glauben, dass das ganz wichtig ist, weil wir ansonsten den aktuell wachsenden Teil der Bevölkerung als potenziellen Kundenmarkt aussparen würden. Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung nach wie vor steigt und die Rentenbezugsphasen länger werden. Ich fände es gut, wenn wir es als Anbieter insgesamt schaffen würden, mehr Aufmerksamkeit auf diese zweite Vertragsphase, also die Rentenbezugsphase und die Optionen, die es gibt, zu lenken. Die Tatsache, dass Anbieter wie Hausvorteil entstanden sind, zeigt, dass die Bedarfssituation immanent ist.

Wesel: Die Kundengruppe derjenigen, die davor sind, vielleicht auch das Haus zu veräußern oder letztendlich auch in den Ruhestand zu gehen, wird immer größer. Da ist viel Kapital, was sinnvoll angelegt werden muss. Die investmentbasierte Rentenphase ist unheimlich wichtig. Wir stellen fest, dass es im Vertrieb ein wichtiges Thema ist. Aber wir hören auch aus unserem Vertrieb, dass der Wunsch genau für solche Lösungen, wie sie Herr Hotopp beschrieben hat, da ist. Whole-Life-Tarife, eine Lebensversicherung, die bis zum Lebensende läuft, mit der Option, im Versicherungsmantel auch Geld zu parken und nicht mit einem harten Cut mit 67. Das schauen wir uns an und ich glaube, dafür ist auch ein Markt gegeben. Aktuell gibt es aber nur wenige Anbieter mit solch einem Produkt. 

Hotopp: Da geht es weniger um Hinterbliebenenversorgung oder um eine Sterbegeldversicherung. Dem Kunden, der zu uns kommt, ist klar, dass er einen Teil seines Immobilienvermögens nicht mehr vererben kann, weil er dieses Kapital jetzt für sich braucht. Und hierfür benötigt er die Sicherheit, die nur eine Versicherung herstellen kann. Etwa in Form eines Auszahlplans. Es geht also um Kapitalmanagement mit einer gewissen Flexibilität, wo auch mal 3.000 Euro für eine Kreuzfahrt herausgenommen werden könnten. Diese Dinge fehlen. Warum kommt der Kunde zu uns? Weil er von der Bank zu hören bekommt: „Oh, Sie sind 60 plus? Da zahlen Sie vier Prozent Zinsen für das Baufinanzierungsdarlehen. Dazu kämen dann noch mindestens vier Prozent Tilgung.“ Einen Kapitaldienst von acht Prozent kann ein Kunde in diesem Alter nicht mehr stemmen. Insofern gehen diese Kunden nicht mehr zur Bank, weil sie das Vertrauen darin verloren haben. 

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