Der Mittelstand darf nicht zum Kollateralschaden werden

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Jürgen Kelber, Dr. Lübke & Kelber GmbH

Jürgen F. Kelber, Geschäftsführender Gesellschafter, Dr. Lübke & Kelber GmbH, kommentiert die möglichen Folgen des Lockdowns für die mittelständische Wirtschaft.

Von 7,80 Euro auf 9,35 Euro innerhalb von zwei Stunden: Nachdem Anfang November die Entdeckung eines offenbar funktionierenden Impfstoffs bekannt gegeben wurde, schnellte die Lufthansa-Aktie geradezu in die Höhe. Auch bei den Anlegern anderer DAX-Unternehmen scheint trotz des aktuellen Lockdowns die Zuversicht zurückgekehrt zu sein. Anders lässt sich nicht erklären, warum der Leitindex annähernd wieder auf Vorkrisenniveau ist.

Indikator für die gesamte Wirtschaft?

Ist dies ein Indikator für die gesamte Wirtschaft, dass es nach der Corona-Rezession bereits wieder bergauf geht? Keineswegs! Vor allem zahlreiche mittelständische Unternehmen erleiden durch den gegenwärtigen Lockdown nochmals empfindliche Verluste. Wirklich kritisch ist jedoch, dass die Mittelständler durch die Sanierungsmaßnahmen der Konzerne direkt in Mitleidenschaft gezogen werden.

Während Daimler unlängst sehr robuste schwarze Zahlen vermeldete, ist nach wie vor ein Teil der Belegschaft in Kurzarbeit – weshalb aber auch Zulieferer und Dienstleister weniger Aufträge erhalten. Selbst die angeblich so krisenfeste Logistik hat in einigen Sparten wegen leerer Auftragsbücher zu kämpfen. Für diese kleineren Unternehmen gibt es zudem nicht die Möglichkeiten, die den „Big Playern“ offenstehen. Ein Rettungspaket wie das für die Lufthansa wird wohl kaum für Betriebe zwischen 250 und 1.000 Mitarbeiter geschnürt, und die staatlichen Hilfen – so umfassend sie sein mögen – reichen nicht aus, um ein inhabergeführtes Unternehmen monatelang über Wasser zu halten.

Kommt die Insolvenzwelle 2021?

Für einige mittelständische Unternehmen dürfte die unmittelbare Zukunft also nicht allzu rosig aussehen. Bis zur flächendeckenden Verteilung des Impfstoffs werden noch Monate vergehen, und selbst danach werden die Spätfolgen der Lockdowns nicht sofort verfliegen. Zudem hängt die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31. Dezember 2020 wie ein Damoklesschwert über den Köpfen.

Noch ist nicht absehbar, wie sich dies im neuen Jahr auswirkt. Nicht nur für die Betroffenen selbst ist die Zukunft ungewiss, auch für deren Handelspartner wird erst 2021 nach und nach klar, wie viele ausstehende Zahlungseingänge beispielsweise abgeschrieben werden müssen. Und obwohl die aktuellen Regelungen für das erhöhte Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 verlängert werden, wird auch dies nochmal zur Belastbarkeitsprobe für Unternehmen werden.

Auch gesunde Unternehmen jetzt vor dem Aus?

Keine Frage, für einige Unternehmen, die sich ohnehin bereits in Schieflage befanden, war Corona nurmehr der konkrete Anlass für eine Insolvenz, die früher oder später ohnehin unausweichlich geworden wäre. Gerade der zweite Lockdown mit allen wirtschaftlichen Folgen bewirkt nun jedoch, dass selbst wirtschaftlich gesunde Unternehmen ihre gesamten Rücklagen aufzehren und vor dem Aus stehen.

Die Folge wären stark steigende Arbeitslosenzahlen, oder aber eine Konsolidierungswelle, bei der ausgerechnet die großen, staatlich am stärksten gestützten Unternehmen die kleineren mittelständischen Konkurrenten aufkaufen. Wenn aber zu viele Big Player die Gelegenheit nutzen, um „günstig einzukaufen“, wäre dies das Ende einer vielseitigen granularen und überwiegend mittelständisch geprägten deutschen Wirtschaft, wie wir sie kennen. Es wäre das Ende eines Erfolgsmodells.

Wie sich ein solches Negativszenario vermeiden ließe? Die einfachste Antwort darauf wäre: Wir alle müssen so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig werden. Obwohl der Sachverhalt tatsächlich viel komplexer ist und die damit verbundenen Entscheidungen viel kleinteiliger sind, stehen nun zunächst die Konzerne in der Pflicht, sich möglichst rasch von der Kurzarbeit zu lösen und ihre Produktion wieder hochzufahren – selbst wenn eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtung dagegen spräche.

Denn nur in diesem Fall können die kleineren und mittelständischen Unternehmen nachziehen und ebenfalls wieder eine hohe Auslastung erreichen, ohne ständig „auf Sicht“ fahren zu müssen.

Rückkehr aus dem Homeoffice

Gleiches gilt auch für das Thema Homeoffice: Abgesehen von allen innerbetrieblichen und prozessbezogenen Schwierigkeiten, die eine konstante Heimarbeit verursachen, veröden auch unsere Innenstädte zusehends. Sowohl der Einzelhandel als auch die – vorübergehend geschlossene – Gastronomie ist auf die Kundschaft angewiesen, die zur Mittagszeit oder nach Feierabend aus dem Büro zu ihnen kommt. Bleiben diese Kunden auch nach Aufhebung der aktuellen Aufenthaltsbeschränkungen aus, könnte dies zu einer weiteren Insolvenzwelle gerade für kleinere Unternehmer führen.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass Unternehmer aller Größen bereits jetzt an die Zeit nach dem Lockdown denken und konkrete Lösungen entwickeln, wie wir unsere Innenstädte beleben und dabei einen größtmöglichen Infektionsschutz gewährleisten. Mit anderen Worten: Es geht bei Weitem nicht nur um Trendthemen wie New Work oder den viel beschworenen „War for Talents“, auch nicht um das Schicksal einzelner Firmen, sondern vielmehr darum, die Lebensqualität in unseren Städten langfristig zu erhalten.

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