Endlich geschafft

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Marco Weber, Union Investment

US-Wahl und Brexit haben das ebenfalls wegweisende Thema „EU-Wiederaufbaufonds“ in den Hintergrund treten lassen. Dieser gilt als Meilenstein in der europäischen Fiskalpolitik – doch die Umsetzung ist kompliziert.

Im Juli 2020 schnürten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) auf einem Marathon-Gipfel ein beispielloses Finanzpaket als Antwort auf die Corona-Krise. Es besteht aus zwei Teilen. Der erste Part umfasst den EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 in Höhe von rund 1,1 Billionen Euro. Der zweite Teil ist ein Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro. Mit diesem Fonds sollen die volkswirtschaftlichen Aufholprozesse in den Mitgliedsländern nach der Überwindung der Pandemie befeuert werden.

Vor allem die Einigung auf den Wiederaufbaufonds sorgte für Euphorie bei Wirtschaftsexperten und an den Märkten. Das hat zwei Gründe: Erstens erhalten die Mitgliedsländer 390 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und nicht als Kredite, wie das bei bisherigen europäischen Hilfsprogrammen der Fall gewesen ist. Sie müssen dementsprechend nicht zurückgezahlt werden.

Zweitens werden die erforderlichen Gelder am Kapitalmarkt aufgenommen, indem die EU-Kommission im Namen der Staatengemeinschaft Anleihen begibt. Diese beiden Eigenschaften des Wiederaufbaufonds stellen nicht nur einen Paradigmenwechsel, sondern einen echten Meilenstein in der europäischen Fiskalpolitik dar.

Wiederaufbaufonds stabilisiert Europa

Für die Finanzierung der Zuschüsse verschuldet sich die EU zum ersten Mal gemeinsam in großem Umfang und langfristig bis 2058. Im Fall von Zahlungsschwierigkeiten garantieren zwar die Mitgliedstaaten für die Rückzahlung der Anleihen. Geplant ist allerdings die Schaffung neuer Einnahmequellen auf europäischer Ebene, um die fällig werdenden Schulden bedienen zu können.

Diese Merkmale machen den Wiederaufbauplan zu einem echten Fortschritt für die Stabilität Europas, da mit diesem das politische Risiko innerhalb der EU grundlegend reduziert wird. Zum ersten Mal wird der Geldpolitik außerdem ein effektives fiskalpolitisches Instrument an die Seite gestellt.

Gleichzeitig sollte mit dem Beschluss populistischen Tendenzen Einhalt geboten werden können. Genau dieses Ziel hat jedoch für Turbulenzen und Verzögerungen geführt: Polen und Ungarn opponierten gegen die vorgesehene Koppelung der Geldzahlungen an Rechtsstaatsprinzipien und legten ihr Veto ein.

Konkret sah der auf dem Tisch liegende Entwurf vor, dass EU-Gelder bei Rechtsstaatsdefiziten gestrichen werden können. Gegen beide Länder laufen bereits „Artikel 7-Verfahren“, mit denen Verstöße gegen die Grundwerte der Union geahndet werden können; bisher allerdings ohne Ergebnis. Mit dem neuen Instrument witterten Polen und Ungarn die Gefahr einer Kürzung von EU-Geldern für ihre Länder.

Kompromiss für Polen und Ungarn

Anfang Dezember 2020 einigten sich die 27 Mitgliedsstaaten auf einem weiteren Gipfel in Brüssel jedoch auf einen Kompromissvorschlag mit drei wesentlichen Anpassungen, die den Einspruch Ungarns und Polens auffangen – zumal es im eigenen Interesse der beiden Länder ist, dass die Gelder fließen, zählen sie doch selbst zu den Nutznießern des Wiederaufbauplans und des mittelfristigen Finanzrahmens.

Erstens wurde dem eigentlichen Gesetzestext eine sogenannte „interpretative Erklärung“ beigefügt. Auf insgesamt vier Seiten werden konkrete Fälle beschrieben, in denen Geldzahlungen gekürzt werden können. Dies gilt vor allem dann, wenn die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigt werden, beispielsweise durch die Veruntreuung von EU-Geldern.

Zweitens greifen mögliche Kürzungen erst, nachdem der Europäische Gerichtshof über die schon angekündigten Klagen gegen den Rechtsstaatsmechanismus entschieden hat. Das kann bis zu einem Jahr dauern.

Und drittens bezieht sich der neue Mechanismus auf das ab 2021 geltende EU-Budget und findet keine Anwendung auf den noch laufenden Haushalt. Die wichtigste Botschaft ist an dieser Stelle: Der Rechtsstaatsmechanismus bleibt erhalten.

Das sind gute Nachrichten für den Kapitalmarkt und den konjunkturellen Ausblick im Euroraum. Zwar haben sich die politischen Turbulenzen der letzten Wochen kaum an den Rentenmärkten niedergeschlagen. Doch das war vor allem der Europäischen Zentralbank geschuldet, welche durch verschiedene Ankaufprogramme die Zinsen von Staatsanleihen niedrig hält.

Auf Dauer kann es aber die Geldpolitik nicht alleine richten. Für eine nachhaltige volkswirtschaftliche Aufholbewegung bedarf es einer schlagkräftigen fiskalpolitischen Unterstützung. Dieser steht nach dem Gipfelbeschluss nichts mehr im Wege.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt sich nun die zentrale Frage, wohin die Gelder fließen werden. Klar ist, dass sie ihr volles Potenzial nur entfalten können, wenn sie gerade in Ländern wie Italien oder Spanien in zukunftsorientierte Wirtschaftszweige investiert werden und nicht in althergebrachte Infrastrukturmaßnahmen.

Der Autor Marco Weber ist seit 2018 bei Union Investment als Volkswirt im Bereich „Research & Investment Strategy“ tätig. Neben der volkswirtschaftlichen Analyse liegt sein Tätigkeitsschwerpunkt im thematischen Research makroökonomischer Fragestellungen.

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