Steuern: Kapitalanleger werden erneut bestraft

Die Bedeutung von „Verlust“ ist eigentlich ganz einfach: Zunächst hat man etwas, und dann hat man es nicht mehr. Dem Bundesfinanzministerium (BMF) reicht diese schlichte Definition allerdings nicht aus. Es unterscheidet verschiedene Arten von Verlust und wann diese Anleger steuermindernd geltend machen können. Das ist schon lange umstritten, wurde nun aber überraschenderweise laut Experten des Vermögensverwalters Dr. Lux & Präuner in einer Gesetzesänderung manifestiert. Gibt es dennoch Hoffnung auf Anpassungen?

Um die Problematik zu verstehen, ist etwas Vorwissen nötig: Schon seit Jahren gibt es Streit über die Frage, wie Verluste und sogenannte Totalverluste aus Kapitalanlagen steuerlich zu behandeln sind. Das BMF vertritt die Ansicht, dass ein Verlust nur dann steuerlich anrechenbar ist, wenn er durch ein sogenanntes Veräußerungsgeschäft entsteht. Beispiel: Ein Anleger kauft Aktien oder sonstige Wertpapiere für 1.000 Euro und verkauft sie später für 400 Euro; dann macht er 600 Euro Verlust. Wird eine Kapitalanlage dagegen wertlos – etwa infolge einer Insolvenz oder im Zuge des Laufzeitverfalls eines Optionsscheins/Zertifikats -, erkennt das BMF diesen Totalverlust steuerlich nicht an.

Anders sehen es dagegen die obersten Finanzrichter am Bundesfinanzhof (BFH). In ihren Urteilen zum Verfall von Optionen (Az: IX R 48/14), zum Ausfall von Darlehen (Az: VIII R 13/15) und zu Verlusten aus Knock-out-Zertifikaten (VIII R37 15) haben sie sich auf die Seite der Anleger geschlagen. Auch solche Verluste können mit Gewinnen verrechnet werden und mindern so die Steuerlast, urteilten sie. Ihre Begründung: Seit Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 werden alle Kapitaleinkünfte pauschal mit 25% besteuert, deshalb müssten auch alle Verluste, die mit der Kapitalanlage in Zusammenhang stehen, berücksichtigt werden.

Urteile beziehen sich in Deutschland zunächst nur auf den Einzelfall. Um zu verhindern, dass auch andere Anleger von den BFH-Urteilen profitieren, wollte das Bundesfinanzministerium dazu ein Nichtanwendungsgesetz in das Jahressteuergesetz für 2019 einbringen. Nach Kritik von Verbänden wie etwa dem Bund der Steuerzahler und dem Bankenverband (BDB) wurde dies jedoch wieder gestrichen. Mit der nun erfolgten Gesetzesänderung schlägt das Bundesfinanzministerium einen neuen Weg ein.

Eingefügt wurden die Änderungen kurz vor Weihnachten in das „Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen“ – „völlig überraschend“, wie es von Verbandsseite heißt. Im Eiltempo wurden die Änderungen noch im alten Jahr von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Konkret wird damit § 20 Absatz 6 des Einkommensteuergesetzes ergänzt.

Daraus ergibt sich Folgendes:

1. Obergrenze bei Totalverlusten
Haben Anleger mit ihrer Kapitalanlage einen Totalverlust erlitten, können sie diesen seit Jahresbeginn zeitnah nur noch in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen verrechnen. Damit hat das BMF die Rechtsprechung der Finanzrichter zu einem guten Teil kassiert. Hat ein Anleger keine Gewinne erzielt oder mehr Kapital verloren, kann er den Verlust ins folgende Jahr vortragen. Diese Regel gilt für Verluste aus Kapitalvermögen nach § 20 Absatz 1 EStG, also zum Beispiel Aktien, Anleihen, Genussrechte und Darlehen.

2. Definition von „Totalverlust“
Unklar ist noch, was genau das Ministerium unter einem „Totalverlust“ versteht. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Eine Kapitalforderung ist insbesondere uneinbringlich, wenn sich auf Grundlage der Gesamtumstände des Schuldverhältnisses abzeichnet, dass der Schuldner die Verbindlichkeit ganz oder teilweise nicht erfüllen wird.“ Steuerexperten interpretieren das unterschiedlich. Im ungünstigsten Fall könnte es bedeuten, dass ein Totalverlust auch dann bereits eintritt, wenn ein Anleger ein Wertpapier nach Bekanntwerden einer Insolvenz noch zu einem sehr niedrigen Kurs verkauft.

Für Aktionäre, die ihre Anteilsscheine unabhängig von einer (drohenden) Pleite des Unternehmens mit einem Minus verkaufen, ändert sich dagegen nichts. Sie können ihre Verluste weiterhin zu 100% mit Aktiengewinnen verrechnen.

3. Sonderbehandlung von Termingeschäften
Einen Sonderstatus innerhalb der Kapitalanlagen haben bisher schon Aktienverluste. Sie können nur mit Aktiengewinnen verrechnet werden – aber nicht etwa mit Zins- oder Dividendeneinkünften. Im Zuge der Gesetzesänderung soll es eine solche Sonderbehandlung ab 2021 auch für Verluste aus Termingeschäften geben. Sie können nur noch mit ebensolchen Gewinnen sowie sogenannten Stillhalterprämien verrechnet werden. Wer keinen entsprechenden Gewinn erzielt hat, kann den Verlust ins nächste Jahr vortragen.

Auch hier gilt jedoch die Einschränkung, dass jährlich nur 10.000 Euro anrechenbar sind. Wie sich dadurch die Steuerbelastung erhöht, zeigt folgendes Beispiel: Wer mit Optionen 50.000 Euro Gewinn und 20.000 Euro Verlust erzielt hat, muss bisher die Differenz in Höhe von 30.000 Euro versteuern. Bei 25% Abgeltungsteuer macht das 7.500 Euro. Ab 2021 können nur noch 10.000 Euro abgezogen werden. Es werden also 10.000 Euro Abgeltungsteuer fällig. Der verbleibende Verlust in Höhe von 10.000 Euro wird ins nächste Jahr vorgetragen. Ganz absurd wird die Rechnung nach neuer Regelung bei 50.000 Euro Verlust und 20.000 Euro Gewinn: Dann muss 2.500 EUR Abgeltungsteuer bezahlt werden, obwohl die Verluste die Gewinne bei weitem übersteigen.

4. Definition „Termingeschäft“
Welche Anlageprodukte als „Termingeschäft“ zählen, ist Experten zufolge noch Auslegungssache. In der neuen Gesetzespassage wird als konkretes Beispiel nur der Verfall von Optionen genannt. Zuletzt legte das BMF den Begriff eher weit aus. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass neben Optionsscheinen und Futures auch alle Arten von Derivaten, Hebelzertifikaten und CFDs (Contracts of Difference) betroffen sind.

5. Verrechnung nur per Steuererklärung
Fraglich ist, wie genau die Verrechnung der Verluste künftig in der Praxis ablaufen wird, um die beschränkte Verlustverrechnung auf 10.000 EUR zu gewährleisten. Hier droht, dass Banken zunächst auf alle Gewinne Abgeltungsteuer an den Fiskus abführen, und Anleger erst mit der Steuererklärung ihre Verluste geltend machen und somit zu viel gezahlte Steuern zurückfordern können.

Unsere Einschätzung:
Nach der deformierten „Finanztransaktionssteuer“ zückt Finanzminister Olaf Scholz die nächste Daumenschraube. Da aufgrund des Nullzinsniveaus die besteuerbare Zinsbasis schrumpft, definiert sich die deutsche Sozialpolitik unter dem Deckmantel „soziale Gerechtigkeit“ nun über die Schröpfung sonstiger privater Vermögenswerte. Das ursprüngliche Nettoprinzip in der Besteuerung, wonach Gewinne erst nach Abzug von Verlusten besteuert werden, wird immer mehr ausgehöhlt. Der Staat schöpft die Gewinne ab und lässt den Anleger mit seinen Verlusten im Regen stehen.

Verfassungsrechtliche Bedenken sind angebracht, Klagen sehr wahrscheinlich, denn der Staat greift immer stärker in die Freiheitsgrade der Bürger ein. Deshalb: Überlegen Sie sich bei der nächsten Wahl genau, wo Sie Ihr Kreuz machen!

Foto: Shutterstock

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