„Don’t fight the Fed!“

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Joseph Amato, Neuberger Bermans President und CIO Equities, bespricht in seinem aktuellen Kommentar, ob die Fed daran festhalten wird, sich von der langfristigen Durchschnittsinflation leiten zu lassen – und was das für Aktienanleger bedeutet.

Letzten August ließ Notenbankchef Jerome Powell die Märkte wissen, dass die Federal Reserve (Fed) nicht mehr eine Inflation von 2 Prozent, sondern viel mehr eine langfristige zweiprozentige Durchschnittsinflation anstreben werde. Angesichts der langen Zeit, die die Inflation unter 2 Prozent gelegen hatte, implizierte dies die Bereitschaft, die Wirtschaft für einen längeren Zeitraum von der Leine zu lassen.

Dieser Schritt war entweder der wichtigste Politikwechsel der Fed seit zehn Jahren – oder aber ein wagemutiger Bluff, um die Lebensgeister der Investoren zu wecken. Seit Jahresbeginn hat der Markt die Strategie der Fed immer stärker auf die Probe gestellt. Die Break-even-Inflationsrate stieg auf die höchsten Werte seit sieben Jahren, während sich die US-Zehnjahresrendite fast verdoppelte. 

Mit ihren in der letzten Woche veröffentlichten Zahlen zeigt die Fed, dass sie dem Druck standhält. Es ist davon auszugehen, dass sie an ihrer angesagten Strategie festhält – und dass das für Aktien und Anleihen nicht ohne Folgen bleiben wird.

Abwarten oder handeln?

Laut dem „Dot Plot“, dem Graphen, der den Zinsausblick der Fed visualisiert, wurden im Dezember 2020 unveränderte Leitzinsen bis Ende 2023 erwartet. Seither wetten die Anleihemärkte darauf, dass das 1,9 Billionen US-Dollar schwere Konjunkturpaket zeitgleich mit dem Neustart der Wirtschaft für so viel Wachstum und Inflation sorgen wird, dass die Fed zum Umdenken gezwungen sein wird. In der Folge stieg die US-Zehnjahresrendite auf über 1,7 Prozent und an den Terminmärkten erwartet man schon jetzt für 2023 mehrere Zinsschritte.

Letzte Woche hob die Fed dann ihre US-Wachstumsprognose für 2021 von 4,2 Prozent auf 6,5 Prozent an und prognostizierte für 2023 einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf 3,5 Prozent. Der Dot Plot veränderte sich allerdings kaum: Ihm zufolge bleiben die Leitzinsen in den nächsten drei Jahren weiterhin unverändert. An den Aktienmärkten fragt man sich nun, was man glauben soll.

Ein Grund für die unveränderte Geldpolitik ist, dass die Fed dieses Jahr zwar einen Inflationsanstieg auf 2,4 Prozent erwartet, 2022 aber nur noch mit 2 Prozent rechnet. Damit einhergehend machte Powell deutlich, dass er erst einmal auf realwirtschaftliche Konjunkturdaten warten wolle, bevor die Strategie überdacht wird. Nur aufgrund von Prognosen werde er nicht tätig, auch nicht aufgrund impliziter Prognosen der Anleihemärkte. In beiden Fällen unterstreicht die abwartende Haltung, wie wichtig auf einmal die Betrachtung des langfristigen Durchschnitts ist.

Die Einzigartigkeit des derzeitigen Aufschwungs bietet der Fed offensichtlich viel Handlungsspielraum für ihren Ansatz. Viele Wirtschaftsbereiche haben noch immer Probleme, während Teile des Technologiesektors soviel Wachstum sahen wie sonst nur in einem Jahrzehnt. Wenn deutliche Inflationsanstiege an Stellen auftreten, die als vorübergehend eingestuft werden können und noch dazu durch den Basiseffekt beeinflusst sind, können die Notenbanken ihren Weg weiterverfolgen.

Erholungszeichen?

Renditen von 1,7 Prozent und mehr müssen kein Grund zu übermäßiger Sorge sein. Schließlich waren sie im Sommer 2019 auch nicht niedriger. Dabei hatte das Wachstum 2019 nur 2,2 Prozent betragen, für dieses Jahr rechnet man mit 6,5 Prozent. Gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen an den meisten Finanzmärkten noch immer gut. Kaum jemand rechnet mit einer Straffung der Geldpolitik in diesem Jahr. Angesichts dieser Wachstumserwartungen wäre es geradezu beunruhigend, wenn die Langfristrenditen auf ihrem historisch niedrigen Niveau blieben. Das würde bedeuten, dass der Markt große Zweifel an der wirtschaftlichen Erholung hätte.

Insgesamt betrachtet deutet also alles darauf hin, dass die derzeitige Zinsstruktur die Aktienmärkte stützt. Während sich das Wirtschaftswachstum stetig beschleunigt, werden für den S&P 500 Gewinne je Aktie von 200 US-Dollar erwartet – über 40 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.Selbst bei deutlichen Bewertungsrückgängen dürfte man mit Aktien am Ende dieses Jahres noch Geld verdienen.

Sogar wachstumsstarke Technologieaktien, die auf lange Durationen setzen, haben sich trotz des anhaltenden Anstiegs der Langfristrenditen von ihrer jüngsten Schwäche erholt und zu einem Comeback angesetzt. Neben Zyklikern und Titeln, die vom Neustart der Wirtschaft profitieren, liegen auch sie wieder im Plus.

Kämpfen oder fliehen?

Zweifelsohne ist dieses Szenario nicht ohne Risiko. Eine Inflation von anhaltend mehr als 3 Prozent kann ein Problem sein. Die fünfjährige Break-even-Inflationsrate in den USA, also die Markterwartungen für die Durchschnittsinflation in den nächsten fünf Jahren, scheint sich schnell in diese Richtung zu entwickeln.

Dieser Indikator ist jedoch notorisch volatil und die Fed hat nun deutlich gemacht, dass sie allein wegen düsterer Prognosen die Geldpolitik nicht straffen wird. Bevor sie handelt, müssten die Konjunkturdaten die Überhitzung bestätigen. Von diesem Ansatz sollten die Aktienmärkte und die meisten risikobehafteten Anlagen profitieren. Eine alte Börsen-Weisheit scheint zurzeit besonders relevant: „Don’t fight the Fed!“

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