Globale Mindeststeuer: Ist das wirklich die große „Steuerrevolution“?

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Robert Halver, Baader Bank

Die G7-Staaten haben sich auf eine globale Mindeststeuer für Unternehmen von 15 Prozent geeinigt. Das klingt zunächst gerecht und fair. In der Tat ist es schamlos, wenn amerikanische High-Tech-Konzerne sich in Europa und Asien an dicken Umsätzen und Gewinnen laben, aber in puncto Besteuerung die Zeche prellen. Doch steckt gerade in Steuerfragen der Teufel im Detail. Ja, das, was sich zunächst steuergerecht anhört, ist bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so fair.

 So manches Unternehmen schleicht sich am Fiskus vorbei wie junge Leute am Türsteher vor einer Disco. Das gilt vor allem für US-Digitalkonzerne wie Alphabet, Amazon, Apple oder Facebook, die sich am „Maximin-Prinzip“ orientieren: Sie machen zwar in vielen Ländern riesige Umsätze und Gewinne und haben keine Hemmungen, deren Infrastruktur für ihren Geschäftserfolg zu nutzen.

Doch über die Optimierung von Firmensitzen machen sie sich steuerlich einen ganz schlanken Fuß. Amazon hat es 2020 trotz eines Rekordumsatzes sogar geschafft, in Europa einen Verlust auszuweisen. So entgehen insbesondere Ländern mit hohen Unternehmenssteuern wie Deutschland beträchtliche Staatseinnahmen, die auch einem funktionierenden Gemeinwesen zugutekämen.

Daher scheint es so was von selbstverständlich zu sein, dass die Unternehmenssteuerpflicht nicht mehr wie bisher an den Firmensitz, sondern an den jeweiligen Umsatzort mit einer Mindeststeuer von 15 Prozent gekoppelt ist.

Im Bundestagswahlkampf stehende Politiker betonen daher, dass Deutschland zu den größten Gewinnern der globalen Mindestbesteuerung gehört. Wenn endlich die großen amerikanischen High-Tech-Konzerne ihre Steuerrechnung beglichen, käme eine Sintflut an Staatseinnahmen auf uns zu. Im Idealfall könne sich sogar die Debatte um post-coronale Steuererhöhungen erübrigen. Nicht zuletzt würde der deutsche Mittelstand mit seinen vielen Arbeitsplätzen durch den Wegfall des steuerlichen Firmensitzprivilegs der Großkonzerne an Wettbewerbsstärke gewinnen.

Tax me if you can

Aber wie sieht diese schöne Steuer-Vision in der schnöden -Praxis aus? Welcher Grad an Steuergerechtigkeit kann überhaupt erreicht werden? Leider muss man Wasser in den süßen Steuer-Wein gießen.

Zunächst, angesichts der Aberbillionen für den Wiederaufbau nach Corona, für Klimaschutz und die Behebung der europäischen Wettbewerbsmängel sind selbst die geschätzten Mehreinnahmen von 100 Mrd. Euro für die EU oder 20 Mrd. für Deutschland nur Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin könnte man sagen.

Aber ist selbst diese Summe überhaupt zu erzielen? Dazu müsste ein globaler Corpsgeist her: Nicht nur die G7-, auch die großen Schwellenländer müssten mitziehen, um Steuersümpfe nachhaltig trockenzulegen. Auf dem G20-Gipfel in Venedig im kommenden Juli bietet sich hierfür zwar eine Gelegenheit. Doch werden sich Länder wie China, Indien oder die Türkei nur ungern „westliche“ Steuersätze vorschreiben lassen, die ihre Standortqualitäten beeinträchtigen. Schon in der EU ist nicht nur das Fleisch schwach, sondern auch der Steuer-Geist wenig willig. Länder wie Irland, die Niederlande oder Luxembourg wollen mit Niedrigsteuern ihre Wettbewerbsfähigkeit behalten. Die Iren würden sogar komplett auf Steuereinnahmen von Apple & Co. verzichten, solange diese Digitalkonzerne Arbeitsplätze auf der grünen Insel aufbauen.

Und selbst wenn man sich einigen könnte, muss man sich die Steueränderungen abseits der Schlagzeilen sehr genau ansehen. Man muss an das steuerlich Eingemachte. So sollen nur Konzerne mit einer Gewinnmarge von mehr als 10 Prozent „auch“ dort steuerpflichtig werden, wo sie ihre Umsätze machen. Liegt die Marge darüber, sollen die Gewinne zu 20 Prozent in den Umsatzländern versteuert werden. Damit werden weitestgehend Digitalkonzerne zu Melkkühen. Ok, wer hat, wer gut verdient, soll auch geben. Aber offensichtlich ist nicht geplant, dass alle Gewinne in einem Land der Mindeststeuerpflicht unterliegen, sondern maximal 20 Prozent. Das Verhältnis Firmensitz- gegenüber Umsatzbesteuerung liegt dann immer noch bei 4 zu 1.

Es kreiste der Steuer-Berg und gebar ein Steuer-Mäuschen

Damit können die europäischen Niedrigsteuerländer sehr gut leben. Das steuerliche Firmensitzprivileg Irlands mit einem aktuellen Unternehmenssteuersatz von 12,5 Prozent ist nicht gefährdet, wenn gerade einmal nur ein Fünftel der Gewinne der einer um 2,5 Prozentpunkte erhöhten Besteuerung unterliegt. Der Standortvorteil Irlands ist angesichts eines deutschen Unternehmenssteuersatz von 30 Prozent immer noch beeindruckend.

Und so ist auch die steuerliche Happy Hour der IT-Konzerne nicht wirklich getrübt. Tatsächlich hat sich Facebook bereits zustimmend zur Mindeststeuer geäußert, die zunächst immer noch ein phantastisch niedriger Steuersatz wäre. Gleichzeitig entkämen IT-Konzerne der Schmuddelecke des „Steuerhinterziehers“, was dem Firmenimage sicherlich hilft. Übrigens betrug die Gewinnmarge von Amazon im phantastischen Wirtschaftsjahr 2020 „nur“ 6,3 Prozent. Für sie ändert sich also mit der Einführung des Mindeststeuersatzes nichts. Damit werden sich auch die Aktienkurse der Digitalkonzerne kaum beeindruckt zeigen.    

Vor allem aber erfreuen sich die amerikanischen IT-Unternehmen daran, dass die US-Regierung mit der Einführung des Mindeststeuersatzes den Steuerstreit ihrer Digitalkonzerne in Europa als final beendet betrachtet. Das Thema einer flächendeckenden Digitalsteuer in Europa wäre dann vom Tisch und Facebook & Co. steuerlich fein raus. Will die EU jetzt wirklich – da sich im transatlantischen Verhältnis etwas Tauwetter eingestellt hat und Washington sogar die Erdgaspipeline durch die Ostsee „duldet“ – einen neuen Handelskrieg mit US-Zöllen auf Europas Exportindustrie riskieren? Politik ist immer die Kunst des Möglichen.

Präsident Biden kann mit der vermeintlichen Mindestbesteuerung seiner IT-Konzerne in Amerika sogar das Mütchen seiner „linken“ Demokraten kühlen, die Apple & Co. als wilde Ausgeburt einer hemmungslosen turbokapitalistischen Hölle betrachten.  

Apropos Politik, die deutschen „Mindeststeuer-Hurra-Schreier“ lassen einen bedeutenden Steueraspekt außer Acht. Es geht nicht zuletzt darum, auf was sich der Steuersatz bezieht. Es geht um die Bemessungsgrundlage. Jedes Niedrigsteuerland hat doch ein uneingeschränktes souveränes Fiskalrecht. Es ist ein Einfaches, mit z.B. Sonderabschreibungen jede Mindeststeuererhöhung zu kompensieren, wenn nicht sogar überzukompensieren. Daneben sollte man die diversen legalen Möglichkeiten der kreativen Buchführung nicht außer Acht lassen. Jedes Digitalunternehmen kann sich die besten Steuerberater, die smartesten Bilanzprofis leisten, die Schlupflöcher aufspüren wie Bluthunde eine heiße Fährte.

Was muss die deutsche und europäische Politik jetzt tun?

Insgesamt sehe ich nicht, wie sich der bisherige fast schon olympische Steuersenkungswettbewerb über eine Mindeststeuer in Richtung einer Steuerrevolution, einer wirklichen Steuergerechtigkeit bewegen soll. Die (steuergerechten) Worte der Politiker im Bundestagswahlkampf hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Es besteht sogar die Gefahr, dass der Mindeststeuersatz von 15 Prozent zum neuen Standard für die Unternehmensbesteuerung wird. Dann würde Deutschland trotz eventueller Steuern von Amazon und anderen netto nicht mehr, sondern weniger Steuern einnehmen. Die Mindestbesteuerung könnte zum Trojanischen Pferd werden.

Anstatt der Fata Morgana einer wundersamen Steuervermehrung ohne eigene Anstrengungen hinterherzulaufen, muss man den eigenen Wirtschaftsstandort endlich mit mutigen Jahrhundertreformen auf Trab bringen: Bürokratieabbau, Verbesserung der Infrastruktur und Digitalisierung, den Europameister-Titel bei Stromkosten abgeben, Bildung, Klimaschutz mit marktwirtschaftlichen und nicht ideologischen oder gar neo-sozialistischen Mitteln tun Not. So erzielt man auch mehr Wirtschaftswachstum, das wiederum für ein höheres Steueraufkommen sorgt.

Die Schweiz ist doch auch ein Hochsteuerland. Und dennoch ist ihre Wettbewerbsfähigkeit insgesamt so attraktiv, dass Unternehmen gerne in Helvetia investieren.

Nach der Bundestagswahl gibt es die nächste Chance. Von nichts kommt nichts. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

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