Kapitalmarkt im Angstmodus: Die Geister, die die Zentralbanken riefen

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David Wehner, Do Investment AG

Das Jahr neigt sich langsam dem Ende zu, und die endlos erscheinende Aktien-Rallye gerät ins Stocken. Seit dem Hochsommer bauen sich Risikofaktoren auf, die – wie so häufig – den Kapitalmarkt zuerst nicht interessierten, aber seit Mitte September dann doch eine Konsolidierungs- bzw. Korrekturphase eingeläutet haben. Ein Kommentsr von David Wehner, Do Investment AG

Als Belastungsfaktoren sind 1. Zentralbankpolitik, 2. Inflation, 3. globale Energie-Krise und 4. China – Immobilienmarkt auszumachen. Zudem belastet die Erhöhung der Schuldenbremse in den USA die Stimmung an den Börsen.

Strategiewechsel der Zentralbanken wird den Markt nicht irritieren

Bevor wir auf die einzelnen Belastungsfaktoren eingehen, sollten wir vorab festhalten, dass Investoren in den letzten drei Jahren mit überdurchschnittlich hohen Renditen verwöhnt wurden. Die jährliche Über-Rendite in den letzten drei Kalenderjahren lag gemessen am S&P 500 Index bei 8 % p.a. im Vergleich zum Zeitraum 2008 bis 2018. Ein wesentlicher Grund für diese historisch überdurchschnittliche Entwicklung liegt in der stark expansiven Zentralbankpolitik. Die global bedeutenden Zentralbanken haben nach einem Wachstumseinbruch im Jahr 2018 bereits 2019 ihre Geldpolitik expansiver gestaltet. Und bedingt durch die Covid-19-Pandemie werden die Kapitalmärkte seit 2020 mit Liquiditäten nahezu geflutet. Die Konsequenz: Das Ungleichgewicht von viel Geld und wenig Vermögenswerten führt zu steigenden Preisen bei nahezu allen Asset-Klassen. Die Zentralbanken wollen nun ihre expansive Geldpolitik reduzieren. Ein Vorgehen, dass begrüßenswert ist und alleingenommen den Markt nicht schocken sollte, auch wenn ein wichtiger Unterstützungsfaktor reduziert wird.

Grund zur Sorge: Ein Stagflations-Szenario

Eine Nebenwirkung dieser stark expansiven Geldpolitik ist die Inflation, die trotz aller verbalen Bemühungen von diversen Zentralbankverantwortlichen, es handele sich um eine transitorische Entwicklung, nicht vorüberziehen will. Die gestörten Lieferketten, steigende Rohstoff-Preise und die Energiewende führen neben den steigenden Lohnkosten zu Inflationsraten, die wir in den entwickelten Industrieländern seit Jahrzehnten nicht erlebt haben. Wahrscheinlich werden die Geschichtsbücher in naher Zukunft festhalten, dass die jetzige Phase nicht durch eine transitorische Inflation geprägt war, sondern durch anhaltend hohe Inflationsraten. Fazit: Die Inflation knabbert am Wachstum, und ein Stagflations-Szenario ist besorgniserregend für die Kapitalmärkte. Insbesondere die steigenden Energiepreise scheinen kein Halten mehr zu kennen

Energie-Nachfrage treibt Rohstoff-Börsen

Eine globale Energie-Krise, vergleichbar mit den Ausmaßen der 1970er Jahre, erscheint zahlreichen Marktbeobachtern möglich. Die Gründe für den explosionsartigen Preisanstieg bei Öl, Gas und Kohle sind vielschichtig. Eine hohe Energie-Nachfrage, ausgelöst durch den Wachstumsschub nach dem Covid-19-Crash im letzten Jahr, trifft auf ein Angebot, welches aufgrund historisch niedriger Investitionsausgaben nicht in der Lage ist, diese Nachfrage zu bedienen. Die Kommunistische Partei Chinas hat verordnet, die Energieversorgung um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Die Auswirkungen spüren wir derzeit an den Rohstoff-Börsen. Denn für China ist die Energieversorgung wesentlich für das Wirtschaftswachstum und den sozialen Frieden. Tagelange Stromausfälle in den zahlreichen Mega-Städten könnten zu Spannungen innerhalb der Bevölkerung führen.

Chinesischer Kapitalmarkt wird Märkte länger beschäftigen

China hat momentan genug mit seinem Immobilienmarkt zu tun, welcher 30 % des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Evergrande ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Es ist davon auszugehen, dass der chinesische Immobilienmarkt die Kapitalmärkte längerfristig beschäftigen wird und ein Risikopotenzial birgt. Das beschriebene Umfeld führt derzeit zu einer erhöhten Volatilität und Zurückhaltung von Investoren an den Börsen.

Weitere 5 – 7 % Kurskorrektur an den Aktienmärkten nicht auszuschließen

Wir können im Oktober eine Fortsetzung der Kurskorrektur an den Aktienmärkten nicht ausschließen, weitere 5 – 7 % sind möglich. Die Renditen für Staatsanleihen werden unserer Ansicht nach weiter steigen. Wir sind der Auffassung, dass deutsche Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren in Richtung 0 % steigen und US-amerikanische Staatsanleihen die 2 % erreichen werden. Das Währungspaar EUR / USD wird unserer Ansicht nach in den Bereich 1,13 – 1,15 fallen. Für dieses Szenario haben wir uns positioniert: Unsere Durations-Positionierung ist sehr defensiv, Renditeanstiege werden uns nahezu nicht belasten. Bei den genannten Zielniveaus werden wir längere Laufzeiten hinzukaufen. Auf der Aktienseite werden wir die sinkenden Kurse für Zukäufe nutzen und unsere Absicherungsgeschäfte reduzieren. Unsere offensive USD-Positionierung behalten wir bis ca. 1,14 bei.

Autor David Wehner ist Senior Portfoliomanager bei der Do Investment AG.

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