Ausblick: Konjunktur- und Finanzmärkte 2020

Die FED hat innerhalb nur weniger Monate mit dem Wechsel von der Lockerung zur Straffung in ihrer Geldpolitik eine schnelle Wende vollzogen. Die anderen Zentralbanken folgten derselben Richtung und schufen damit ein für riskante Vermögenswerte wieder günstigeres Umfeld. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte dieses lange anhalten.

Das Jahr 2019 war von einer deutlichen Abschwächung der Weltkonjunktur geprägt: Das Wachstum sank auf 3 Prozent (von 3,6 Prozent im Jahr 2018) und war damit so schwach wie seit der großen Finanzkrise nicht mehr. Diese breit aufgefächerte Abschwächung, von der fast drei Viertel der Weltwirtschaft betroffen waren, erklärt sich insbesondere durch die zunehmenden Handelsspannungen zwischen den USA und China. Die lokalen Wirtschaftskrisen in bestimmten Schwellenländern wie Argentinien, der Türkei und Venezuela, die Probleme des europäischen Automobilsektors, die mit dem Brexit verbundene Unsicherheit – all dies spielte ebenfalls eine Rolle.

Der Handelskrieg auch als zukünftige Wachstumsbremse

Der Handelskrieg hat die wirtschaftlichen Gegebenheiten sehr plötzlich verändert, indem er die Planungssicherheit der Unternehmen reduziert hat. Er hat zudem stark zur Abschwächung des Welthandels und der Unternehmensinvestitionen beigetragen. Der IWF schätzt die Auswirkungen, die der Handelskrieg 2019 auf das Wachstum der Weltwirtschaft hatte, auf 0,4 BIP-Punkte. Am stärksten war erwartungsgemäß China betroffen, aber auch die USA blieben von den Auswirkungen keinesfalls unberührt: Die Exporte und die Investitionen in Ausrüstungsgüter haben sich auch dort abgeschwächt. Dieser Handelskrieg ist also für die USA weder „gut“ noch „leicht zu gewinnen“, wie es Donald Trump vielleicht glauben machen wollte. Und selbst wenn in Kürze ein Waffenstillstand zwischen dem amerikanischen Präsidenten und Xi Jinping vereinbart würde, wäre die völlige Auflösung der mit dem Handelskrieg verbundenen Unsicherheit unwahrscheinlich.

Hat China aufgegeben?

In Anbetracht der Turbulenzen im Handel und der Aktivitätsabschwächung war die Politik Chinas von besonderer Zurückhaltung gekennzeichnet. Zwar wurden die Kreditbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen erleichtert und zum Beispiel der Immobiliensektor, der Automobilsektor und Investitionen in die Infrastruktur unterstützt; aber im Gegensatz zu den Jahren 2015 und 2016 zielte die Stimulierung diesmal weniger auf eine Wachstumssteigerung als auf die Vermeidung eines zu plötzlichen Wirtschaftsabschwungs ab. Vor dem Hintergrund anhaltender Handelsspannungen wird sich der Staat weiterhin zurückhaltend zeigen: Das Wachstum wird seine Verlangsamung 2020 fortsetzen und leicht unter sechs Prozent fallen. In den anderen Schwellenländern dürfte die Aktivität, trotz unterschiedlicher Ausgangslagen, 2020 wieder leicht an Fahrt aufnehmen. In den meisten dieser Regionen haben die Zentralbanken auf die anhaltenden Handelsschwankungen und das langsamere Wachstum der Weltwirtschaft mit einer Lockerung der Geldpolitik reagiert.

USA: Verlangsamung… aber keine Rezession

Die US-amerikanische Wirtschaft ist keine Ausnahme mehr: Genau wie die anderen großen Volkswirtschaften hat sich das US-Wachstum abgeschwächt. Der Konsum bleibt dynamisch, aber die Exporte haben unter dem schlechteren internationalen Umfeld und der Stärke des US-Dollars gelitten. Die FED hatte angesichts des Gegenwinds kaum eine Wahl: Bis zum Ende des Jahres 2018 wurden die Zinssätze regelmäßig angehoben. Um die von der Budgetpolitik Donald Trumps angeheizte Wirtschaft zu bremsen und nicht über die Vollbeschäftigung hinauszutreiben, musste diese Politik umgekehrt werden. Diese geldpolitische Lockerung regt die Binnennachfrage an. Sie dürfte das Potenzial besitzen, zusammen mit den immer noch starken Lohnsteigerungen die Rezession zu vermeiden, auch wenn sich das Wachstum 2020 weiter abschwächen wird. In einer langfristigeren Perspektive ist dieser nun erreichte Policy Mix jedoch absurd. Durch das hohe Staatsdefizit und die nun wieder sehr niedrigen Leitzinssätze nimmt er dem Staat den Handlungsspielraum, sollten die USA in die nächste Rezession gehen.

Euroraum: Warten auf neuen Schwung

Das europäische Wachstum hat sich innerhalb weniger Quartale deutlich abgeschwächt. Ende 2017 betrug es knapp drei Prozent, im Herbst 2019 lag es kaum über einem Prozent. Hier spielten sowohl konjunkturelle als auch strukturelle Faktoren eine Rolle (Handelsspannungen, Brexitdiskussion, Schwierigkeiten des Automobilsektors etc.). Größtenteils kam die Verschlechterung, insbesondere in Deutschland, jedoch von außen; die Binnennachfrage hielt sich recht gut. Der Ausblick für 2020 ist nicht wesentlich besser, aber die Rezession dürfte wohl vermieden werden: Die Wachstumserwartung für Europa liegt bei etwa einem Prozent.
Bei einem geringeren geldpolitischen Spielraum setzt die Ankurbelung in Europa einen Richtungswechsel in der Budgetpolitik voraus. Hier ruhen starke Hoffnungen auf der EU-Kommission und dem ehrgeizigen Plan, den ihre neue Präsidentin vorgelegt hat. Ursula von der Leyen möchte innerhalb von hundert Tagen einen Green Deal umsetzen und erreichen, dass Europa „als erster Erdteil bis 2050 CO²-neutral“ wird. Dieses lobenswerte Projekt ist ehrgeiziger, als es erscheint: Der Zeithorizont ist lang, und die Zwänge in der Europapolitik geben wenig Anlass zur Hoffnung, dass die EU über diesen Weg schnell eine echte Wachstumsstrategie umsetzen kann.
2019 verstehen, um 2020 zu antizipieren

Das Jahr 2019 ist für alle Anlagenklassen an den Finanzmärkten letztendlich viel positiver verlaufen als erwartet. Dies mag paradox erscheinen, denn die Entwicklung der Wirtschaftsindikatoren war enttäuschend und die politischen Spannungen hätten die Finanzmärkte mehrfach aus dem Gleichgewicht bringen können. Wie ist es möglich, dass das Wachstum an manchen Aktienmärkten seit Januar mehr als 20 Prozent beträgt? Man muss sich vor Augen führen, dass die Aktien im letzten Quartal 2018 zwischen 15 und 20 Prozent verloren hatten und dies für 2019 ein hohes Rezessionsrisiko bedeutete. Die Anleger hatten also die aufgetretene starke wirtschaftliche Abschwächung zu einem großen Teil antizipiert. Die FED hat innerhalb nur weniger Monate mit dem Wechsel von der Lockerung zur Straffung in ihrer Geldpolitik eine schnelle Wende vollzogen. Die anderen Zentralbanken folgten derselben Richtung und schufen damit ein für riskante Vermögenswerte wieder günstigeres Umfeld.

Unsere Perspektiven für die Märkte 2020

Aus wirtschaftlicher Sicht könnte das derzeit günstige Umfeld lange anhalten: ein zwar moderates Wachstum, das sich auf globaler Ebene jedoch nicht weiter abschwächt. Die Wahrscheinlichkeit für einen geregelten Brexit und eine Pause bei den Spannungen zwischen China und den USA ist heute höher. Auf dieser Basis könnten Unternehmen und Verbraucher erneut Vertrauen schöpfen. In einem solchen Kontext könnte das Wachstum in Europa und in den Schwellenländern sogar positiv überraschen. Die Zentralbanken werden weiterhin einen lockeren Ton anschlagen und die Entwicklungen der Wirtschaftskennzahlen im Auge behalten. Ein großer Teil der geldpolitischen Lockerungsbewegung liegt hinter uns. Budgetpolitische Maßnahmen werden die Geldpolitik ablösen müssen.
Aktien bieten die attraktivsten Risikoprämien

Als Konsequenz daraus antizipieren wir eine Phase der Zinssatzstabilisierung etwa auf derzeitiger Höhe. In unserer Anleihenallokation bleiben die Staatsanleihen untergewichtet und wir bevorzugen weiterhin die Renditesuche über Anleihen aus Schwellenländern (insbesondere Unternehmensanleihen und Staatsanleihen in der lokalen Währung). Die Unternehmensanleihen könnten sich im Vergleich zu 2019 als volatiler erweisen, aber im Vergleich zu Staatsanleihen sind sie weiterhin vorzuziehen. Mit Gold in unseren Portfolios werden wir uns auch weiterhin gegen die Volatilität schützen. Mit Gold sind keine Opportunitätskosten mehr verbunden (negative oder nahe bei null liegende Zinssätze) und es spielt in einem diversifizierten Portfolio eine ähnliche Rolle wie das Anleihen-Exposure: Der Goldpreis steigt, wenn die Realzinsen sinken.
2020 dürften die allgemeinen Renditen in allen Anlagenklassen relativ niedrig sein. Aktien bieten aber nach wie vor eine attraktive Risikoprämie und wir ziehen sie auch weiterhin im Vergleich zu Anleihen und Liquidität vor. Die Unternehmensgewinne dürften leicht steigen, jedoch weit weniger als von den Analysten derzeit erwartet. Aber die Aktienbewertungen werden vom Niedrigzinsumfeld und der allgemeinen wirtschaftlichen Stabilisierung unterstützt. Die Aktien der Nicht-US-Unternehmen könnten durch die Veröffentlichung der korrigierten Wirtschaftskennzahlen für Europa und die Schwellenländer von einem attraktiveren Aufwertungspotenzial gestützt werden.

Wichtige Termine 2020

Das Performance-Potenzial der Aktien ist natürlich von der Entwicklung einiger heute erkannter Risiken abhängig: Pause im Handelskrieg zwischen den USA und China, Abschaffung aller oder einiger Zölle – das Jahr wird von den Präsidentschaftswahlen in den USA geprägt sein. Zwei Zeiträume werden in diesem Zusammenhang besonders wichtig sein: das erste Halbjahr – „Super Tuesday“ am 3. März und der Parteitag Mitte Juli, auf dem der demokratische Präsidentschaftskandidat benannt wird; der Monat Oktober mit den drei Präsidentschaftsdebatten. In Europa werden die Unterzeichnung eines Brexit-Abkommens und daran anschließend die Eröffnung von Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU erwartet.

Themenorientierte, verantwortungsbewusste Anlagen

Unsere aktuellen Überzeugungen für das nächste Jahr beziehen sich auf kurzfristige Möglichkeiten und auf längerfristige Trends. Wir denken, dass durch die Veröffentlichung der korrigierten Wirtschaftskennzahlen die Themen „Value“ und globale Zyklen im ersten Halbjahr 2020 weiterhin unterstützt werden. Einige seit vielen Jahren von den Anlegern verschmähten Werte haben 2019 tatsächlich Rekordabschläge erreicht. Hauptsächlich betrifft dies europäische Werte. Sie bieten ein erhebliches Rebound-Potenzial und eine hohe Dividendenrendite. Profitieren könnten hiervon insbesondere die Finanz- und Automobilwerte.
In einer langfristigeren Perspektive dürften Geldanlagen in die durch die staatliche Budgetpolitik geförderte Infrastruktur an Bedeutung gewinnen. Diese Infrastrukturen können Bereiche der Digitalisierung oder auch den Kampf gegen die Klimaerwärmung umfassen. Genauso dürften Unternehmen, die sich mit dem Klimawandel, der Automatisierung, medizinischer Ausrüstung oder Biotechnologie beschäftigen, auch in einer schwach wachsenden Weltwirtschaft weiterhin von einem attraktiven Wachstum profitieren.

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