Warum Anleger bei ESG-Fonds mitbestimmen sollten

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Derzeit kommen verschiedene ESG-Aktienfonds auf den Markt, die eine Integration der Anlegerpräferenzen in die Allokation des Fonds erlauben. In der Regel werden die Anleger nach ihren Präferenzen in Sachen ESG, teilweise auch nach Ausschlusskriterien befragt. Die Fondsmanager versuchen dann diese Präferenzen bei der Portfolioallokation umzusetzen. Wie sinnvoll ist dieses Konzept? Wo liegen die Vor- und Nachteile in der Praxis?

„Wenn Gott mir nur ein klares Zeichen geben würde, wie das Einzahlen einer großen Summe Geld auf ein Schweizer Bankkonto, das auf meinen Namen lautet“, seufzte der US-amerikanische Komiker und Regisseur Woody Allen einmal. Wer nicht auf den Gottesbeweiß in Form eines unerwarteten Geldsegens warten will, sucht nach anderen Möglichkeiten, sein Kapital zu investieren und zu vermehren.

Aktuell stehen aufgrund des guten Börsenumfeldes Aktienfonds hoch im Kurs und darunter im Speziellen nachhaltige bzw. ESG-Aktienfonds. Vielen Anlegern ist wichtig, dass bei ihrer Geldanlage die Kriterien E (Ökologie), S (Soziales) und G (Governance = Grundsätze der guten Unternehmensführung) berücksichtigt werden.

Neuerdings gehen verschiedene ESG-Fonds ein Stück weiter: Neben der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in ihre Investitionen, ist dort eine Art „Mitbestimmung“ der Anleger vorgesehen. Bei herkömmlichen aktiv gemanagten Fonds ist dies genau nicht der Fall. Hier bestimmt allein das Fondsmanagement, welche Aktien ge- und verkauft werden.

Wichtig zu wissen ist dabei, dass es sich dabei nicht um eine „harte“ Mitbestimmung handelt, sondern um ein Stimmungsbild, an dem sich jedoch das jeweilige Fondsmanagement orientieren will. Wie sind diese neuen ESG-Fonds ausgestaltet? Und: Macht eine Berücksichtigung der Anlegerwünsche bei Aktienfonds überhaupt Sinn und wie funktioniert es in der Praxis?

Verschiedene Fonds-Modelle mit Anlegerintegration am Markt

Bei den am Markt vorhandenen Fonds gibt es unterschiedliche Modelle. Ein Fondsanbieter hat seine Anleger beispielsweise in einem dreistufigen Modell befragt. In der ersten Stufe konnten die Befragten Geschäftsaktivitäten ausschließen.

Das Ergebnis: Auf die schwarze Liste kamen Waffen, Fracking, schädliche Chemikalien, Massentierhaltung u.a.m. In einem zweiten Schritt wurden die Anleger nach den ESG-Kriterien selbst befragt. Hier hatten der Ausschluss von Kinder- und Zwangsarbeit sowie die Achtung der Menschenrechtsstandards die höchste Priorität. In einem dritten Schritt schließlich wurden die Anleger nach ihren Präferenzen beim Impact Investing befragt – also Investitionen, die aktiv zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Hier war den Befragten der Schutz der Meere und der Ökosysteme sowie die Versorgung mit sauberem Wasser wichtig.    

Ein anderer Ansatz am Markt ist eine Abstimmung der Anleger anhand eines ESG-Kriterienkatalogs wie beispielsweise beim Degussa Bank Nachhaltigkeitsfonds Akzentuiert. Dieser Katalog besteht aus sechs Kriterien.

Davon sind drei dem Bereich E zuzuordnen (Umweltmanagement, Produkte & Dienstleistungen, Öko-Effizienz). Zwei Kategorien sind dem Bereich S (Mitarbeiter & Zulieferer, Gesellschaft & Produktverantwortung) und eine Kategorie dem Bereich G (Corporate Governance & Wirtschaftsethik). Am Ende steht eine Gewichtung dieser sechs Kategorien, die für das Fondsmanagement als Leitschnur dient.

Das Ergebnis: Die E-Kriterien erhielten bei einer ersten Befragung im Frühjahr 2021 eine Gewichtung von 55,0 Prozent. Der sozialen Nachhaltigkeit (S) wurde eine Gewichtung von 31,7 Prozent zugewiesen. Die verbleibenden 13,3 Prozent entfallen auf die Governance-Kriterien. Diese sechs Kategorien orientieren sich an den ESG-Ratings der Agentur ISS (Institutional Shareholder Services Germany), eine der etablierten Rating-Agenturen im Bereich ESG.

Das Fondsmanagement kann dann genau in die Unternehmen investieren, die in den gewünschten Kriterien am besten abgeschnitten haben. Auf diese Weise wird das Anlegervotum im Fondsportfolio abgebildet.

Nachteile: Mehr Aufwand als bei klassischen Aktienfonds

Dieses Konzept unterscheidet sich von klassischen Aktienfonds, bei denen die Anleger üblicherweise keinen Einfluss nehmen. Es hat Vorteile und Nachteile. Zunächst ein Blick auf die Nachteile:

Die Befragung – in welchem Turnus auch immer – stellt für die Anleger einen gewissen Aufwand dar. Viele Anleger wollen sich nicht umfassend mit ihrer Geldanlage befassen. Dies zeigt auch der Trend zu ETFs, die man jahrelang „liegenlassen“ – oder einfach via Sparplan mit festen Beträgen über einen langen Zeitraum besparen kann.

Bei den ESG-Fonds der neuen Generation müssen sich die Anleger die Zeit nehmen, regelmäßig an der Abstimmung teilzunehmen. Sie haben natürlich auch die Freiheit, dies nicht zu tun, aber damit verlieren sie den Einfluss auf die Geldanlage. Die Abstimmung bedeutet übrigens auch für den Fondsmanager einen gewissen Aufwand, da er sich organisieren muss. 

Der zweite Nachteil ist, dass Privatanleger natürlich meist keine ESG-Experten sind und hier Fehleinschätzungen unterliegen oder subjektive Meinungen zu bestimmten Themen haben können. Ein Beispiel sind die Governance-Kriterien. In der Regel werden diese als nicht so wichtig im Vergleich zu den Ökologie-Kriterien gewertet. Allerdings können sich diese Kriterien wie beispielsweise Risikomanagement, Compliance Maßnahmen gegen Korruption und Betrug als entscheidend erweisen.  

Der dritte und vielleicht größte Nachteil sind die Kosten, die die Anlegerintegration verursacht. Die Abstimmung kann nach jeder Durchführung Umschichtungen im Fondsportfolio notwendig machen. Dies verursacht Transaktionskosten, die sich negativ auf die Rendite der Anlage auswirken können. Allerdings werden Umschichtung aufgrund geänderten ESG- oder Aktienbewertungen nicht als Risiko von einem aktiven Portfoliomanager betrachtet, sondern als einen festen Bestandteil des aktiven Fondsmanagements. Umschichtungen im Portfolio sind nichts Ungewöhnliches.

Vorteile: Einflussnahme, mehr Identifikation und längere Anlagedauer

Diesen Nachteilen steht jedoch eine Reihe von Vorteilen gegenüber:
Erstens haben Anleger, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, meist den Wunsch, aktiv Einfluss zu nehmen und Nachhaltigkeitsaspekte mitzubestimmen. Oft wollen sie sich in allen Lebensbereichen möglichst nachhaltig verhalten. In vielen Bereichen ist dies bereits möglich.

Man kauft seine Lebensmittel im Bioladen, bezieht seinen Strom von einem grünen Anbieter, kauft seine Kleider bei einem Fair-Trade-Anbieter, hat Solarzellen auf dem Dach und fährt vielleicht sogar ein E-Auto. Die Investment-Branche hinkt vor allem bei Privatanlegern diesem Trend noch hinterher. Es gibt hier eine große Nachfrage, für die es noch kein adäquates Angebot gibt. 

Der zweite Vorteil ist, dass Anleger sich bei der regelmäßigen Abstimmung mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen. Sie müssen überlegen, welche Kriterien ihnen wichtig sind und wie sie gewichtet werden sollen. Wie bereits erwähnt, stehen die Kriterien in der Praxis teilweise auch in Widerspruch zueinander.

Hier muss sich jeder Anleger mit diesem Zielkonflikt befassen und dann bewusst eine Entscheidung treffen. Die Präferenzen können sich übrigens auch im Zeitablauf verändern und unterliegen generellen Moden. Aktuell ist beispielsweise das Thema E-Mobilität an der Börse stark im Trend. Dies kann sich in einigen Jahren aber stark ändern, wenn plötzlich andere Antriebs-Technologien im Vordergrund stehen. 

Der dritte Vorteil einer aktiven Einbindung ist, dass sich die Anleger gründlich überlegen müssen, auf wieviel Rendite sie bereit sind, zu verzichten. Bestimmte Aktien – beispielsweise aus den Bereichen Rüstung, Tabak oder Alkohol – haben in den vergangenen Jahren teilweise sehr gut performt. Wenn Unternehmen ausgeschlossen werden, kann das Renditepotenziale schmälern.

Der vierte Vorteil ist, dass die Bindung der Anleger an ihren Fonds gestärkt wird. Wenn man regelmäßig abstimmt und die anschließende Umschichtung im Fondsportfolio verfolgen kann, stärkt das die Identifikation. Dies kann dazu beitragen, die Anleger längerfristig im Fonds zu halten, was aus Investment-Sicht zu begrüßen ist. Denn der Vorteil einer Investition am Aktienmarkt zeigt sich vor allem in der langen Frist. Natürlich ist dies auch ein Vorteil für den Fondsanbieter. Wenn mehr Anleger länger im Fonds bleiben, verdient dieser auch länger Verwaltungsgebühren.

Fazit: Für Anleger, denen Nachhaltigkeit wirklich wichtig ist und die die Bereitschaft und den Wunsch mitbringen, sich mit den ESG-Aspekten und Folgen ihrer Geldanlage regelmäßig zu befassen, kommen die neuen ESG-Fonds in Frage.

Die Autoren: Svilen Katzarski, Gilbert Baldia, Keith Vine, Asset Management und Andreas Flossdorf, Projektmanager bei der Degussa Bank AG

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