BU: „Für Schüler und Studenten dürfte es bis zu 15 Prozent teurer werden“

Guido Bader
Foto: Stuttgarter
Der Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter, Dr. Guido Bader

Jeder vierte Berufstätige wird im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal BU. Dennoch hapert es an der Bereitschaft zur Absicherung. Cash. sprach mit Dr. Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Versicherungsgruppe und Vorstandsmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung, über fehlende Sensibilität, die zunehmende Unterteilung in Berufsgruppen und die Folgen der Garantiezinssenkung.

Wir hören immer wieder in Gesprächen, dass sich die Menschen seit Beginn der Pandemie deutlich stärker auf die eigene Gesundheit besinnen. Die Themen Gesundheitsschutz und Gesunderhaltung haben deutlich mehr Priorität gewonnen. Wie hat sich der BU-Absatz bei der Stuttgarter Lebensversicherung in den vergangenen 18 Monaten entwickelt?

Bader: Das Neugeschäft läuft bombig. Bei der Stuttgarter hat sich der BU-Absatz in den vergangenen 18 Monaten extrem gut entwickelt, phasenweise sogar mehr als verdoppelt. Seit der Überarbeitung unseres Produktes Mitte 2020 haben wir einen extrem guten Neugeschäftszulauf. Besonders gut läuft es – trotz der pandemiebedingten Lockdowns – bei denjenigen Vertriebspartnern, die professionell in der Beratung sind und stark auf die Videoberatung und digitale Beratungsansätze setzen. Ein Stück weit führe ich den Zuwachs aber auch darauf zurück, dass sich die Menschen zurückbesinnen und bei der Risikoabsicherung und Vorsorge einfach mehr tun.

Jeder vierte Berufstätige wird im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal BU. Auf der anderen Seite gibt es gerade einmal 17 Millionen BU-Verträge. Das ist relativ wenig. Haben Sie eine Erklärung, warum sich die Mehrheit der Berufstätigen hier nicht absichert?

Bader: Vor 20 Jahren war noch die Erklärung, dass die Jahrgänge bis 1963 durch die gesetzliche Erwerbsminderungsrente geschützt waren. Das hilft dem Gros der Arbeitnehmer heute nicht mehr. Insofern ist die niedrige Absicherungsrate in meinen Augen dramatisch. Die Leute sind sich des Risikos nicht bewusst. Eines der Probleme ist, dass junge Menschen das Risiko nicht wirklich richtig einschätzen.

Im Prinzip müsste man als Berufsanfänger oder Studierender einsteigen. Gesund und ohne Vorerkrankungen. Wenn ich zu lange warte, ist es meistens zu spät, weil ich ein ganzes Bündel Vorerkrankungen mitbringe. Dann wird der Schutz sehr teuer oder ich erhalte ihn gar nicht mehr. Von daher haben die Vermittler viel Arbeit vor sich, vor allem die jungen Menschen zu überzeugen.

In nahezu jeder Umfrage erklären die Befragten, die BU sei ihnen zu teuer. Andererseits kommen die Botschaften, dass ein BU-Abschluss in jungen Jahren Sinn macht, (Stichworte: Gesundheitsprüfung, Preis) bislang nicht an.

Bader: Das Risiko wird unterschätzt und der Preis ist das andere Problem. Für 50 Euro im Monat ist eine adäquate BU-Absicherung oft nicht zu bekommen. Denn was bringt es mir, 500 oder 1.000 Euro Monatsrente abzuschließen und dann trotzdem noch auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein, die womöglich noch gegengerechnet wird.

Ich brauche ein signifikantes Niveau. Und dann bin ich schnell bei bis zu 100 Euro Beitrag im Monat. Aber es ist meine Arbeitskraft, die ich absichere. Viel höhere Güter als Gesundheit und Arbeitskraft habe ich nicht. Das müssen wir den Menschen vor Augen führen.

Sie bieten das Produkt auch für Schüler an, obwohl Sie sich lange dagegen gestemmt hatten.

Bader: In der Tat habe ich mich lange dagegen gewehrt. Aber es zeigt sich, dass es ein Standard im Markt geworden ist. Deswegen bieten auch wir seit einiger Zeit eine Schüler-BU an. Es ist nicht unsere Kernzielgruppe, aber eine Zielgruppe. Einer der Hauptgründe für BU ist mittlerweile die Psyche. Und psychische Erkrankungen setzen mitunter schon sehr früh an. Stichwort Studienstress. Deswegen macht es durchaus Sinn, frühzeitig abzusichern.

Sie sagten aber eben, dass Sie sich dagegen gewehrt haben. Warum?

Bader: Als Aktuar sage ich, weil das Berufsbild bei Schülern nicht klar ist. Beim Studierenden, wenn er sein Fach gefunden hat, ist es in der Regel klar. Nach meinem Dafürhalten kann man bei einem Studierenden ab dem vierten oder fünften Semester oder nach dem Bachelor klar sagen, in welche Richtung der spätere Beruf gehen wird.

Insofern ist beim Schüler die Preisfindung deutlich schwieriger. Letztlich war es aber auch der Markt, also die Vermittler, die hier eine Lösung gefordert hatten. Zudem sind die Risiken meiner Einschätzung nach inzwischen aktuariell beherrschbar. Denn eines möchte ich nicht: Ein Produkt einführen und dann nachträglich den Beitrag anpassen, weil ich mich verkalkuliert habe.

Wie jung ist der BU-Versicherte, wenn er bei der Stuttgarter seinen Vertrag abschließt?

Bader: Das durchschnittliche Alter liegt derzeit bei 31,6 Jahren.

Wie Beitragsstabil sind Sie?

Bader: Die Stuttgarter Leben hat die Beiträge, genauer gesagt die den Beitrag senkenden Überschüsse, in der BU noch nie angepasst. Unabhängige Marktvergleiche zeigen, dass wir zu den beitragsstabilsten BU-Versicherern im Markt gehören. Das halte ich für ein ganz hohes Gut.

Manfred Poweleit hatte vor Jahren einen Map-BU-Report unter den Titel gestellt „Wer zickt und wer zahlt“. Gehören Sie zu den zickenden oder zahlenden BU-Versicherern. Wie hoch ist ihre Klagequote?

Bader: Die Anzahl der Klagen ist bei uns sehr gering. Unsere Prozessquote lag im Jahr 2020 bei 1,94 Prozent. Bei der Leistungsquote liegen wir nach Morgen & Morgen bei 74 Prozent. Das entspricht vier „Kringeln“ oder einem „sehr gut“. Ist sie zu hoch, ist Morgen & Morgen auch skeptisch.

Weil dann unterstellt wird, man würde ungesehen alles anerkennen. Der größte Teil unserer Nichtanerkennung liegt daran, dass der für eine Leistung notwendige Invaliditätsgrad von 50 Prozent nicht erreicht wird.

Der Transmissionsriemen, um Kunden davon zu überzeugen, ist letztlich der Vermittler. Was unternehmen sie hier als Stuttgarter?

Bader: Im Rahmen unserer easi-Kampagne haben wir umfassende Schulungsmaterialien für die unabhängigen Vermittler erstellt. Dazu gehören natürlich auch Seminare. Wir hatten extrem viele Anmeldungen zu unseren Webkonferenzen.

Das Interesse der Vermittler ist enorm. Dort zeigen wir anhand realer Beispiele, was passieren kann. Um es schlichtweg griffiger zu machen. Die Überzeugungsarbeit draußen beim Kunden muss letztlich aber der Vermittler leisten.

Michael Franke hat einmal gesagt, nicht das Produkt benötige die Hilfe, sondern der Verbraucher. Würden Sie dem zustimmen?

Bader: Michael Franke hat absolut Recht. Die BU ist gerade durch die quasi schonungslosen Ratings zu einem sehr guten, vereinheitlichten Hochleistungsprodukt geworden. Die Ratings stellen sicher, dass die wesentlichen Qualitätsmerkmale von allen wichtigen Anbietern mit FFF oder FFF+ auch eingehalten werden.

Der Vermittler muss sich hier deutlich weniger Gedanken machen als etwa bei einer Hausrat- oder Wohngebäudeversicherung. Die Leistungen der BU-Produkte sind gerade durch die Arbeit von Franke und Bornberg oder Morgen & Morgen stark normiert. Der Verbraucher muss aber weiterhin von der Notwendigkeit des Produktes überzeugt werden.

Sie sagten es gerade: Die Qualität der Tarife ist auf einem sehr hohen Niveau. Der Wettbewerb findet eher über den Preis statt. Experten wie Michael Franke und Ellen Ludwig kritisieren, dass immer mehr Versicherungsunternehmen die Versicherten in immer kleinere Berufsgruppen einteilen. Die Folge: Für ausgewählte Zielgruppen wird der vorher günstige Schutz noch günstiger, während er für viele Erwerbstätige mit niedrigerem Bildungsabschluss, körperlich Tätige und Menschen mit gesundheitlichen Problemen kaum noch bezahlbar ist. Diese extreme Differenzierung mag mathematisch korrekt sein, aber ist sie moralisch im Sinne einer Versicherungsidee noch vertretbar?

Bader: Als Aktuar sage ich Ihnen, wenn eine Preisdifferenzierung sinnvoll kalkulierbar und möglich ist und ich als Anbieter im Markt eine Preisdifferenzierung vornehme, erhalte ich automatisch die guten Risiken. Diejenigen, die keine Preisdifferenzierung vornehmen, bekommen die schlechten Risiken.

Sie werden gnadenlos antiselektiert, wenn Sie nicht differenzieren – insbesondere im Markt der freien Vermittler. Wenn ein Anbieter selektiert, muss der Markt ebenfalls nachziehen und differenzieren. Ansonsten hat derjenige, der es nicht tut, die Antiselektion und damit die hohen Schäden. Das ist die mathematisch aktuarielle Antwort.

Und was sagt der Mensch?

Bader: Was ist Gerechtigkeit? Wenn ich aufgrund meines Lebenswandels, beispielsweise als Nichtraucher, weniger für die Risikolebensversicherung bezahle? Wenn ich aufgrund meines Berufs weniger Invaliditätsrisiken habe, dann ist mein persönliches Gerechtigkeitsempfinden vermutlich, dass ich auch weniger für die BU-Absicherung bezahlen möchte als andere.

Bei der BU-Versicherung kann man das vielleicht noch ein wenig relativieren. Denn nicht jeder ist aufgrund seiner Grundvoraussetzungen in der Lage etwa einen akademischen Beruf mit geringen Invaliditätsrisiken auszuüben. Ich glaube aber, wenn es dort keine Eingriffe beziehungsweise Nivellierungen seitens des Gesetzgebers gibt – solche Nivellierung gab es ja schon, Stichwort Unisex – dann gibt es für die Branche nur die Differenzierung.

Und sinnvolle Ventillösungen für diejenigen, die sich die BU nicht mehr leisten können, gibt es in Form von Produkten wie der Grundfähigkeit. Sie ist das zentrale Zweitprodukt in der Invalidität, um für die Erwähnten noch ein Angebot zu haben.

In der Grundfähigkeit fehlt es derzeit noch an Standards, wie wir sie bei der BU kennen? Es gibt keine einheitlichen Definitionen und der Markt hat sich bei Weitem noch nicht gefunden.

Bader: Ich bin mir sicher, dass wir auch dort einen Konvergenzprozess erleben werden. Aber Sie haben völlig Recht. Momentan blicken wir dort noch auf eine wesentlich breitere und komplexere Produktlandschaft.

Die Folgen der Garantiezinsenkung…

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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