„Digitalisierung bedeutet nicht das Abschaffen der Beratung“

Foto: Barbara Kösling
Cash. Redakteur und Ressortleiter Versicherungen, Jörg Droste

Das Coronavirus hat den digitalen Wandel beschleunigt. Maklerpools und Digitalversicherer sind sich einig: Digitale Geschäftsmodelle profitieren von dem Wandel. Gleichwohl ist bei Künstlicher Intelligenz und Chatbots der Weg noch weit. Und insbesondere die große Mitte der Versicherungsbranche läuft Gefahr, den digitalen Anschluss zu verlieren.

Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass das eine Jahr Coronapandemie für mehr Schub im digitalen Umbau der Versicherungsbranche gesorgt hat, als die vergangenen drei Jahre zuvor. In der Tat hat gerade der erste Lockdown zwischen März und Mai 2020 einen Veränderungsprozess angeschoben.

Homeoffice und Konktatbeschränkungen haben die physischen Beratung nahezu unmöglich gemacht: Digitale Absatzkanäle, Insurtechs, Versicherungsplattformen oder Vertriebe, mit starker digitaler Ausrichtung waren die Profiteure. „Für uns war die Pandemie der Motor, weil wir zur richtigen Zeit an vielen richtigen Stellschrauben gedreht haben“, sagt Christian Wetzel, WIFO-Geschäftsführer.

Trotz Kontaktbeschränkungen habe man etwa sehr viele neue bAV-Projekte realisieren können. Der digitale Beratungsansatz berge Vorteile, weil man die Rahmendaten mit der Personalabteilung direkt klären könne und die Prozesse digital liefen.

Doch nicht nur die bAV profitiert von dem digitalem Weg, wie Christian Buschkotte, Managing Director des digitalen Gewerbeversicherers andsafe, sekundiert. Die Provinzial-Tochter registrierte einen deutlichen Anstieg. Insbesondere in den Direktkanälen – B2C. Zudem habe auch der Vertrieb über Plattformen wie Finanzcheck 24, Verivox oder Gewerbeversicherung 24 deutlich zugelegt.

„Dass eine Allianz, eine Axa oder eine Zurich in der Lage sind, große Digitalisierungsprojekte zu stemmen, steht außer Frage“


Bestätigt wird Buschkottes Aussage von Stephen Voss, Vertriebs- und Marketing-Vorstand der Neodigital Versicherung. Der März sei zwar einer der schlechtesten Monate seit Bestehen gewesen. Aber dann habe eine massive Erholung stattgefunden. Zwar sei der stationäre Vertrieb zurückgekommen. „Die anfänglichen Verluste konnten über das Jahr nicht mehr kompensiert werden können. Die Online-Kanäle sind viel stärker gewachsen“, so Voss. Die digitale Ausrichtung als Folge der Coronpandemie verstärkt den Druck auf die Versicherungsbranche. Insbesondere kleinere und mittlere Versicherer laufen Gefahr, den digitalen Anschluss zu verlieren.

Schnell kauft oder überholt langsam

Früher er hieß es immer, Groß kauft klein. Heute geht es mehr darum, dass Schnell langsam kauft oder überholt“, sagt Wetzel. Er sieht in der direkten Verkaufsstrategie der digitalen Wettbewerber eine ganz große Chance. Auch weil Service und Geschwindigkeiten zu entscheidenden Punkten würden. „Ich habe keine Lust zwei Wochen auf eine Police zu warten. Ich will das just in time haben“, sagt Wetzel. Gerade dort laufen die Newcomer in der Pandemie den Etablierten den Rang an. Die Entwicklung dürfte mittelfristig Folgen für den Markt haben.

Die Zeit läuft ab

„Wir haben 564 Versicherungsgesellschaften im deutschen Markt und die sind nicht alle groß. Das eine Allianz, eine Axa, ein Zurich-Konzern in der Lage sind, große Digitalisierungprojekte zu stemmen, steht außer Frage“, sagt Voss. Der Neodigital-Vorstand sorgt sich aber um die große Mitte der Branche; die, die groß genug seien, um am Kunden zu arbeiten, aber zu klein um große Digitalisierungsprojekte zu stemmen. Fragt man, wie viel Zeit der Branche bleibt, ist die Antwort deutlich.

„Die Zeit ist gegebenenfalls schon abgelaufen. Das heißt ich muss jetzt handeln“, betont WIFO-Geschäftsführer Wetzel. Letztlich gäben die Kunden das Tempo und den Zeithorizont für den digitalen Umbau vor, ergänzt andsafe Managig Director Buschkotte. „Die Kunden zwischen Mitte 30 und Mitte 20 erwarten etwas ganz anderes. Will ich diese Generation behalten, muss ich schnell sein“, sagt Buschkotte. Ein Fehler sieht Neodigital-Vorstand Voss zudem darin, zu glauben, dass die Digitalisierung noch ein Generationen-Thema sei.

Ein guter Berater ist auch über ein anderes Medium gut

„Das allein auf die junge technikaffine Generation zu beschränken wäre fatal“, warnt er. Auch die Älteren neigten zum schnellen Abschluss. Voss sieht eine Lösung in einem kundezentrierten Denkansatz: „Wie müssen Prozess, Abschluss und Service laufen, damit es für den Kunden gut ist?“ Ohne Frage steht die Branche vor großen Veränderungen, auch weil das Smartphone als neues Medium für den Abschluss immer stärker an Bedeutung gewinnen wird.

Gleichwohl sind sich die Experten einig: „Digitalisierung bedeutet nicht das Abschaffen der Beratung. Es läuft nur über ein anderes Medium. Ein guter Berater ist auch über ein anderes Medium gut.“ (dr)

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