Der demografische Wandel ist längst Realität. Deutschland altert – und das mit enormer Geschwindigkeit. Sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung verändern die Gesellschaft grundlegend. Für die Versicherungswirtschaft bedeutet dies nicht nur zusätzliche Verantwortung, sondern auch die Chance, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Entscheidend wird sein, wie schnell und flexibel die Branche auf diese Dynamik reagiert.
Das Umlageverfahren der Sozialversicherungen stößt an seine Grenzen. Immer weniger Erwerbstätige tragen die Kosten einer alternden Gesellschaft. Laut einer aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV muss der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2050 von 42 auf 53 Prozent steigen, um das heutige Versorgungsniveau zu halten. Das belastet vor allem junge Menschen und gefährdet Arbeitsplätze sowie die Wettbewerbsfähigkeit.
Auch private Versicherer müssen ihre Angebote an die alternde Gesellschaft anpassen. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass junge Menschen wenig Interesse an Versicherungen haben. Die Branche muss daher sowohl auf die Bedürfnisse älterer Kunden reagieren als auch neue Wege finden, um die junge Generation für Vorsorge und Absicherung zu gewinnen.
Besonders deutlich zeigt sich der Wandel im Bereich Gesundheit und Pflege. Mit zunehmendem Alter steigen die Ausgaben für medizinische Leistungen erheblich. Ältere Menschen verursachen im Durchschnitt drei- bis viermal höhere Kosten als jüngere. Es stellt sich die zentrale Frage, wie eine bezahlbare Gesundheitsvorsorge auch künftig gesichert werden kann.
Die gesetzliche Pflegeversicherung deckt dabei nur einen Teil der Kosten ab. Der Eigenanteil für stationäre Pflege liegt heute bereits bei über 3.000 Euro pro Monat – eine Belastung, die für viele Familien kaum zu stemmen ist. Private Pflege- und Krankenversicherer können hier Lösungen bieten, die weit über klassische Policen hinausgehen.
Innovative Ansätze entstehen durch Prävention und digitale Hilfsmittel. Gesundheits-Apps, Telemedizin und personalisierte Coachings helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und Therapien effizienter zu gestalten. Versicherer entwickeln sich damit zunehmend vom reinen Kostenträger zum Gesundheitspartner – ein Rollenwechsel, der nicht nur Versorgungslücken schließt, sondern auch neue Bindung zwischen Kunden und Anbietern schafft.

Björn Käding (Foto: Forvis Mazars)
Auch im Bereich der Altersvorsorge zeigt sich der Handlungsdruck. Das sinkende Rentenniveau verdeutlicht: Die gesetzliche Rente allein wird nicht ausreichen, um den Lebensstandard im Alter abzusichern. Laut der Deutschen Rentenversicherung wird das Rentenniveau von heute rund 50 Prozent in den nächsten zehn Jahren auf etwa 45 Prozent sinken. Daraus ergibt sich ein wachsender Handlungsbedarf für Lebensversicherer: Sie sind gefordert, ihre Rolle als verlässlicher Partner in der ergänzenden Altersvorsorge weiter auszubauen und mit innovativen Produktlösungen die zunehmenden Versorgungslücken gezielt zu schließen.
Doch klassische Modelle geraten unter Druck. Kapitalbildende Lebensversicherungen verlieren an Attraktivität, während flexible Rentenprodukte und hybride Konzepte stärker gefragt sind. Rentenversicherungen, die dynamische Auszahlungsmodelle bieten oder mit Pflegebausteinen kombiniert werden, passen besser zu den realen Lebensphasen einer alternden Bevölkerung. Versicherer, die diese Entwicklungen frühzeitig aufgreifen, können ihre Rolle als verlässlicher Partner für generationengerechte Vorsorge festigen.
Junge Generation nicht verlieren
Ein weiteres Spannungsfeld: Während ältere Kundinnen und Kunden den Wert von Absicherung zunehmend erkennen, bleibt die junge Generation oft distanziert. Viele sehen Versicherungen als kompliziert, teuer oder schlicht nicht relevant. Für die Branche ist dies ein Risiko – denn ohne das Vertrauen der kommenden Erwerbstätigen droht eine Versorgungslücke, die auch privat nicht geschlossen werden kann.
Hier braucht es neue Zugänge. Digitale Vertriebskanäle, transparente Produkte und eine Kommunikation, die Lebensrealitäten junger Menschen ernst nimmt, sind unverzichtbar. Kooperationen mit InsurTechs oder integrierte Angebote: Hierbei wird die Versicherung nicht mehr als Hauptprodukt, sondern als sinnvoller Zusatzservice angeboten, wie etwa die Reiserücktrittsversicherung bei der Flugbuchung oder die Zahnzusatzversicherung beim Kauf einer elektrischen Zahnbürste.
Digitalisierung als Schlüssel
Parallel dazu verändert die Digitalisierung das Geschäft selbst. Künstliche Intelligenz, automatisierte Schadensabwicklung und datenbasierte Services sind längst Realität. Sie machen Prozesse effizienter und eröffnen neue Möglichkeiten, Kundenbedürfnisse individuell zu bedienen.
Auch Nachhaltigkeit spielt eine wachsende Rolle. Immer mehr Menschen erwarten ethische Investments und transparente Produkte. ESG-konforme Angebote können nicht nur das Image stärken, sondern auch gezielt Kundengruppen ansprechen, die großen Wert auf ökologische und soziale Kriterien legen.
Der Auftrag der Branche
Der demografische Wandel ist eine Herausforderung von historischem Ausmaß. Er verlangt von der Versicherungswirtschaft mehr als nur Produktanpassungen. Es geht um eine strategische Neuausrichtung: Versicherer müssen stärker als Partner für Gesundheit, Vorsorge und Lebensplanung auftreten, die Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen ernst nehmen und innovative Lösungen in ihr Kerngeschäft integrieren.
Wer diese Rolle annimmt, kann sich in einem herausfordernden Umfeld behaupten – und zugleich gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Denn eines ist klar: Die demografische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Doch wie wir ihr begegnen, liegt in unserer Hand.
Dorthe und Björn Käding sind Aktuare (DAV) im Versicherungsteam bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars in Deutschland am Standort Hamburg.