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Warum Bonusprogramme in der Krankenversicherung wirken können

Abdulkadir Cebi, Assekurata
Foto: Assekurata
Abdulkadir Cebi, Assekurata

Ein Bonusmodell für Versicherte, die selten zum Arzt gehen – diese Idee sorgt für Diskussionen. Cash. sprach mit dem PKV-Experten Abdulkadir Cebi, Bereichsleiter bei Assekurata, über die Chancen und Grenzen solcher Anreizsysteme und die Rolle von Prävention im Gesundheitssystem.

Sie nennen in Ihrer aktuellen Assekurata-Analyse medizinischen Fortschritt, demografische Entwicklung und Preissteigerungen als Kostentreiber in der PKV. Welcher dieser Faktoren wirkt sich derzeit am stärksten auf die Beitragsentwicklung in der PKV aus – und warum?

Cebi: Grundsätzlich werden medizinischer Fortschritt, demografische Entwicklung und Preissteigerungen unter dem Begriff „medizinische Inflation“ zusammengefasst. Dieser Begriff beschreibt die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die über die allgemeine Inflation hinausgehen. Haupttreiber sind hierbei der medizinisch-technische Fortschritt, höhere Behandlungskosten und demografische Veränderungen. Diese Faktoren hängen eng zusammen und führen gemeinsam zu wachsenden Ausgaben im Gesundheitswesen. Die medizinische Inflation ist jedoch kein neues Phänomen. Auch in Zeiten mit geringeren Beitragsanpassungen in der PKV war sie bereits vorhanden und wurde von den Unternehmen bei der Tarifkalkulation berücksichtigt. Hierfür wird der sogenannte Sicherheitszuschlag verwendet, der zukünftige Kostensteigerungen abfedern soll. Aktuell sehen wir jedoch eine besondere Entwicklung: Nach der Corona-Pandemie kam es zu Nachholeffekten. Das bedeutet, dass verschobene Behandlungen und vor allem kostenintensive Krankenhausaufenthalte nachgeholt wurden. Gleichzeitig ist die generelle Nutzung von Gesundheitsleistungen gestiegen. Besonders die hohe Zahl an Leistungseinreichungen führt aktuell bei den Versicherern zu deutlich höheren Ausgaben. Hinzu kommen steigende Ausgaben für Arzneimittel. Diese Faktoren wirken derzeit am stärksten.

Welche strukturellen oder regulatorischen Ansätze wären aus Ihrer Sicht notwendig, damit die PKV langfristig sowohl stabile Beiträge als auch finanzielle Solidität gewährleisten kann?

Cebi: Die PKV hat verschiedene Mechanismen, um die langfristige Stabilität der Beiträge zu sichern. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Beitragsanpassungen systembedingt sind und leider nicht vermieden werden können. Stabilität bedeutet hier, dass Beitragssteigerungen langfristig moderat ausfallen sollen. Um insbesondere ältere Versicherte zu entlasten, gibt es in der PKV einige Instrumente. Dazu gehören Altersrückstellungen, der gesetzliche Zuschlag von zehn Prozent sowie Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen, die dazu beitragen, Beitragserhöhungen zu dämpfen. Zusätzlich bieten spezielle Beitragsentlastungstarife eine Möglichkeit, zusätzlich gezielt für eine spätere Beitragsminderung zu sparen. Diese Option ist vor allem für jüngere Versicherte interessant. In der Vergangenheit gab es Vorschläge, den gesetzlichen Zuschlag als wichtiges Instrument zur Beitragsentlastung ab 65 flexibler zu gestalten, beispielsweise in Bezug auf Höhe, Zahldauer oder den Zeitraum der Verwendung. Dies wäre kein völlig neuer Ansatz, sondern eine Anpassung eines bestehenden Instruments. Generell kann es helfen, wenn mehr jüngere Menschen in die PKV aufgenommen werden könnten, um das Durchschnittsalter in den Tarifen zu senken. Die jährliche Erhöhung der Jahresarbeitsentgeltgrenze geht jedoch genau in die andere Richtung. Grundsätzlich kann die PKV von strukturellen Anpassungen profitieren, die unabhängig vom Versorgungssystem auf eine gezieltere Leistungssteuerung abzielen. Wichtig wäre hierbei, die Branche bei künftigen Reformvorhaben stärker einzubinden und ihr mehr Gestaltungsspielräume – etwa bei der Beschaffung von Leistungen oder Arzneimitteln – zu eröffnen. Dies könnte positive Effekte auf die Leistungsentwicklung haben und langfristig zu einer höheren Beitragsstabilität führen. Eine sinnvolle Maßnahme wäre es, die Anpassungsrhythmen zu verkürzen und beispielsweise den Rechnungszins als zusätzlichen auslösenden Faktor für Beitragsanpassungen zuzulassen. Gerade in der Niedrigzinsphase hätten dadurch manche Beitragssprünge abgefedert werden können, was zu einer gleichmäßigeren Beitragsentwicklung geführt hätte. Nicht zu unterschätzen ist die gesundheitsfördernde und damit kostenentlastende Wirkung der Prävention. Hier sollte die PKV mehr Möglichkeiten erhalten, ihren Versicherten im Bestand individuelle Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebote zu unterbreiten. Daher sollten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für innovative Angebote der primären Prävention inklusive der Vorsorge und Früherkennung auch für die PKV geschaffen werden.


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In der Diskussion um eine Reduzierung der hohen Gesundheitskosten stellt der Chef der Klinikengruppe Sana bestimmte Leistungen für betagte Menschen infrage. „Wir müssen als Gesellschaft uns fragen, ob wir in jeder Lebensphase, wo die Menschen sind, und da rede ich jetzt auch 80 aufwärts sozusagen, diesen Menschen am Ende des Tages die vollumfängliche Medizin zukommen lassen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Thomas Lemke im Podcast „Table.Today“. Hat er Recht?

Cebi: Die Idee, ältere Menschen von bestimmten Leistungen auszuschließen, ist ethisch und moralisch problematisch, wie auch die aktuelle Diskussion zeigt. Wichtig ist dabei zu betonen, dass Herr Lemke sich auf Leistungen wie Implantate, Hüften oder Kniegelenke bezogen hat und explizit nicht auf die klassische oder Notfallversorgung. Vielmehr stellt sich die grundsätzliche Frage, ob bestimmte selektive und hochwertige Leistungen auch künftig vollständig von der Solidargemeinschaft getragen werden sollen – und das ohne zusätzliche Eigenbeteiligung der Versicherten. Angesichts des demografischen Wandels und der absehbaren Kostenentwicklung sollte diese Diskussion offen und sachlich geführt werden. Insofern hat Herr Lemke durchaus Recht: Früher oder später wird sich unsere Gesellschaft dieser Frage stellen müssen. Grundsätzlich gibt es in der GKV durch das Sozialgesetzbuch klare Vorgaben, wie Leistungen gestaltet sein müssen: Sie sollen wirtschaftlich sein, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten. Ein ähnliches Prinzip gibt es in der PKV, wo die medizinische Notwendigkeit Grundvoraussetzung für eine Leistung ist.

Lemke schlug außerdem ein Bonusmodell vor, um die Zahl von Arztbesuchen in Deutschland zu verringern. So könnten Versicherte etwa 100 bis 200 Euro pro Jahr erstattet bekommen, wenn sie nur zwei Mal oder weniger zum Arzt gehen, regte der Chef des Klinikkonzerns an. Was halten Sie davon?

Cebi: Anreizsysteme sind ein interessanter und wahrscheinlich auch massentauglicher Ansatz, um Kosten im Gesundheitssystem zu stabilisieren. In der PKV gibt es bereits ein ähnliches Modell, dass bei vielen Versicherern durch Beitragsrückerstattungen bei Leistungsfreiheit umgesetzt wird. Nach unseren Erfahrungen entfaltet eine gut konzipierte und klar kommunizierte Beitragsrückerstattung in der Regel eine beitragsstabilisierende Wirkung da Versicherte motiviert werden, Leistungen nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie wirklich notwendig sind. Allerdings ist es wichtig, dass solche Anreizsysteme nicht zu Lasten der Prävention gehen. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen müssen weiterhin gefördert werden, da sie dazu beitragen, schwere Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Werden Vorsorgemaßnahmen vernachlässigt, können später eintretende schwere Erkrankungen das Gesundheitssystem noch stärker belasten. Grundsätzlich verfolgt die GKV bereits einen präventiven Ansatz, indem sie gesundheitsbewusstes Verhalten fördert. In der PKV ist dies nur eingeschränkt möglich. Am Ende helfen gesunde Menschen am meisten dabei, Kosten einzusparen.

Die Fragen stellte Kim Brodtmann, Cash.

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