Augen auf bei der Aktienauswahl

Christoph Niesel
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Christoph Niesel, Union Investment

2024 hat das Zeug, ein weiteres gutes Aktienjahr zu werden. Allerdings werden nicht alle Titel gleichermaßen von den übergeordneten globalen Trends profitieren.

Die ersten neun Monate des Aktienjahres 2023 folgten im Wesentlichen einem klaren Muster. Wenige Unternehmen konnten immense Kursgewinne verzeichnen, das Gros handelte eher richtungslos. Die wenigen Aktien, die förmlich durch die Decke gingen, waren die sogenannten Glorreichen Sieben. Amazon, Apple, Microsoft, Alphabet, Nvidia, Meta und Tesla. Sie alle einte eins: Ihre Nähe zum Thema Künstliche Intelligenz, dem Gewinnerthema des Börsenjahres 2023. Allein die Aktie des Chipherstellers Nvidia kletterte binnen eines Jahres um mehr als 190 Prozent, das Papier von Meta verbesserte sich um fast 200 Prozent. Keine Frage: Die Glorreichen Sieben zogen den gesamten Aktienmarkt mit nach oben. Ähnlich positiv haben sich nur die wenigen Unternehmen entwickelt, die sich im Pharmasektor mit Abnehm-Medikamenten von der Konkurrenz absetzen konnten.

Das Bild änderte sich erst Ende Oktober – und keinesfalls zum schlechten: Als sich abzeichnete, dass die großen Notenbanken ihre Zinserhöhungen nicht weiter fortsetzen würden und sich die Inflation zwar nicht auf dem Zielniveau, aber doch im Sinkflug befindet, starteten auch viele andere Unternehmenspapiere in eine wahre Jahresendrally. Am Ende verzeichneten die globalen Aktienmärkte einen durchschnittlichen Gewinn von rund 20 Prozent – deutlich mehr, als selbst die optimistischsten Marktbeobachter noch vor Jahresfrist prognostiziert hatten.

Ausgewogeneres Jahr

Doch wohin geht die Reise im Jahr 2024? Vieles spricht für ein weiteres positives und ein ausgewogeneres Aktienjahr als 2023. Im Jahresverlauf sollten die Notenbanken in den USA und Europa mit den ersten Zinssenkungen beginnen, auch die Inflation dürfte sich weiter zurückbilden. Beides ist grundsätzlich gut für Aktien. Gleichzeitig sollte sich vor allem ab der zweiten Jahreshälfte das konjunkturelle Umfeld verbessern. Konkret sollte das Wachstum in den USA im Gesamtjahr 2024 etwa 1,6 Prozent betragen, für die Eurozone sollte eine Verbesserung der wirtschaftlichen Dynamik um 0,3 Prozent zu erreichen sein.

Die Gemengelage ist günstig für eine ganze Reihe von Sektoren. Insbesondere zyklische Aktien, etwa aus der Industrie und dem Infrastrukturbereich, haben gute Chancen auf Kurssteigerungen. Beide profitieren zusätzlich von der grünen Transformation der Wirtschaft und den großvolumigen Infrastrukturpaketen, die beispielsweise die US-Regierung geschnürt hat. Grundsätzlich spricht die Zinslandschaft darüber hinaus auch für Unternehmen mit einem höheren Schuldenstand. Und auch die Bauwirtschaft dürfte wieder anziehen, wenn die Zinsen sinken.

Künstliche Intelligenz bleibt ein Treiber

Darüber hinaus sollten auch diejenigen Aktien weiter steigen, die in einer strukturellen, das heißt langfristig anhaltenden Wachstumsgeschichte eine maßgebliche Rolle spielen. Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass das Thema KI im neuen Jahr nicht wieder eine Sonderrolle spielen wird. Dementsprechend sollten auch die eingangs zitierten Glorreichen Sieben vor einem weiteren guten Jahr stehen.

Grundsätzlich gilt mit Blick auf das Thema KI aber: Künstliche Intelligenz kann für viele Unternehmen ein unterstützender Faktor sein – nicht nur in der Tech-Branche. In mehreren Ländern gibt es bereits Supermärkte ohne Personal, aber mit KI. Bei allen datenintensiven Geschäftsmodellen lassen sich mit KI Synergien erzielen. Das kann den Automobilbau ebenso betreffen wie Gesundheit und Finanzen. Die Gewinner des KI-Booms werden am Ende diejenigen Unternehmen sein, die die Vorteile von KI optimal für sich nutzen können.

Selektion ist Trumpf

Für Anleger gilt es 2024, bei der Auswahl der Aktien besonders wachsam zu sein. Unter dem Strich ist für das neue Jahr ein Gewinnwachstum von durchschnittlich zehn Prozent zu erwarten, im gleichen Rahmen sollten sich die Kursanstiege der globalen Börsen bewegen. Aber die Spreizung zwischen den Unternehmensgewinnen dürfte erheblich sein. Denn nicht alle Unternehmen werden im aktuellen konjunkturellen Umfeld gleichermaßen profitieren. Sollte beispielsweise die Konjunktur in China nicht wieder in Tritt kommen, dann werden Unternehmen mit einem hohen Umsatzanteil im Reich der Mitte erhebliche Probleme haben, ihre Gewinne auszuweiten. Das kann belastend sein für Unternehmen aus zyklischen Bereichen wie Automobil, Chemie und Industrie – aber eben nur für einige.

Gleichzeitig gilt aber auch: Wenn diese Branchen wieder anziehen, dann kann das über die jeweiligen Sektoren hinaus abstrahlen. Hersteller von analogen Speicherchips wie etwa Infineon oder NXP hängen sehr stark am Erfolg der Automobilbranche, aber auch der Industrie und der Erneuerbare-Energien-Branche: Steigert die ihren Absatz, dann verbessert sich auch die Auftragslage der Chipproduzenten. Eine genaue Analyse muss daher der erste Schritt auf dem Weg zu einem erfolgreichen Aktienjahr sein. Wenn diese auf Einzeltitelbasis erkennen lässt, dass ein Unternehmen über eine qualitativ starke Bilanz verfügt, über ein starkes Management-Team, und dass die Aktie an der Börse nicht zu hoch bewertet ist, dann kommt das Unternehmen für ein vielversprechendes Investment in Frage.

Autor Christoph Niesel ist Aktienfondsmanager bei Union Investment.

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