Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich zwischen 2015 und 2023 von drei auf 5,7 Millionen nahezu verdoppelt. Der Anteil in der Bevölkerung ist damit von 3,21 auf 6,24 Prozent gestiegen. Laut dem neuen Barmer-Pflegereport 2025 lässt sich dieser Anstieg jedoch nur zu einem kleineren Teil durch die alternde Gesellschaft erklären. Von 3,03 Prozentpunkten Zuwachs entfallen lediglich 0,44 Punkte auf rein demografische Effekte. Einen deutlich stärkeren Einfluss hat die Pflegereform aus dem Jahr 2017 mit der Einführung der Pflegegrade.
Die Analyse kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die von der Gesundheitsministerkonferenz eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe Eckpunkte für eine umfassende Reform der Pflegeversicherung erarbeiten soll. Vorgaben im „Zukunftspakt Pflege“ schließen neue Ausgaben aus, sofern sie nicht unmittelbar auf demografische Entwicklungen beruhen. Vor diesem Hintergrund nennt Barmer-Chef Christoph Straub die anstehende Reform eine „Mammutaufgabe“, da die soziale Pflegeversicherung bereits heute stark unter Druck steht. „Die Aufwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung steigen stark an. Das liegt weniger an der alternden Gesellschaft, sondern vielmehr an der Leistungsausweitung durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Jahr 2017“, so Straub.
Krankheitslast steigt – doch sie erklärt den Pflegeanstieg nur bedingt
Der Pflegereport zeigt, dass die Krankheitslast nicht der entscheidende Treiber des Anstiegs ist. Analysiert wurden sechs akute und sechs dauerhafte Erkrankungen wie Krebs, Demenz, Parkinson, Hirninfarkt und Herzinsuffizienz. Bei allen stieg der Anteil der Betroffenen, die zugleich pflegebedürftig sind. Während 2017 etwa 11,4 Prozent der an Krebs Erkrankten pflegebedürftig waren, lag der Wert 2023 bereits bei 20,0 Prozent. Bei Demenz stieg der Anteil von 68,1 auf 78,5 Prozent.
Auch die Zahl der neu Pflegebedürftigen nahm bei fast allen untersuchten Erkrankungen zu. Studienautor Heinz Rothgang führt dies direkt auf den seit 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriff zurück. „Ein Hauptgrund für den Anstieg der Pflegebedürftigen ist der seit Januar 2017 geltende neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Er hat neben der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade zu einer deutlichen Leistungsausweitung geführt.“
Barmer-Vorstand Straub fordert daher stärkere finanzielle Beteiligungen von Bund und Ländern. Dazu gehören aus seiner Sicht die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige durch den Bund sowie eine stärkere Entlastung Pflegebedürftiger bei Investitionskosten und Ausbildungsumlagen durch die Länder.
Längere Pflegezeiten und große Unterschiede nach Erkrankung
Der Pflegereport zeigt zudem, dass sich die Dauer von Pflegebedürftigkeit im Pflegegeldbezug und in Pflegegrad 1 spürbar verlängert hat. In den ersten 25 Monaten nach Beginn der Pflegebedürftigkeit stieg die Pflegezeit zwischen 2018 und 2022 im Schnitt um einen halben Monat – unabhängig von der Grunderkrankung. Zudem variieren die Verläufe stark: Menschen mit Demenz werden im Durchschnitt rund zweieinhalb Monate länger stationär gepflegt als Pflegebedürftige ohne Demenz. Bei Parkinson dauert die Pflege in häuslicher Umgebung gut zwei Monate länger.
Straub sieht Handlungsbedarf in der Steuerung von Patientenströmen: „Da die Pflegebedürftigen bei langsam voranschreitenden Erkrankungen heute früher Pflegeleistungen erhalten können, bleiben sie auch länger im System.“ Um die Inanspruchnahme besser zu steuern, sei ein Primärversorgungssystem nötig, das Versorgung unabhängig von Status, Einkommen und Wohnort ermöglicht. Dazu zählen eine stärkere Aufwertung der Pflege als Heilberuf, die Weiterentwicklung der Profession von der Hilfskraft bis zur akademisierten Pflege sowie eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung, die Pflege systematisch einbindet.
Reformdruck wächst – strukturelle Lösungen gefordert
Die aktuelle Analyse macht deutlich, dass die Belastung der Pflegeversicherung nicht primär aus der demografischen Entwicklung resultiert. Leistungsausweitungen und erweiterte Zugänge seit 2017 haben die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich erhöht und führen zu einer längerfristigen Bindung an das System. Für die anstehende Pflegereform bedeutet das: Strukturelle Anpassungen und eine breitere Finanzierungsbasis werden zunehmend unvermeidlich, um die Versorgung dauerhaft sicherzustellen.















